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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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und den Schmelz seines Colorits. Es ist ersichtlich die Freude an der Farbe
(im poetischen Sinne) welche Meyer beherrscht und ihn stellenweise gegen die
Wirkungen unvollkommener Linien und gewisser Disproportionen der Gestalten
gleichgiltig macht. Ja man könnte noch einen Schritt weiter gehen. Schon bei
der Wahl seiner Stoffe, bei seinen Erfindungen steht für ihn die Lust an der
Buntheit, der Originalität, ja Seltsamkeit der Situationen derart in erster Linie,
daß das eigentliche poetische Problem, der Antheil am inneren Leben seiner
Gestalten, die Darstellung der Leidenschaft darüber in zweite Reihe kommt.

Bei dieser Eigenart ist zweierlei sofort klar. Erstens: der Dichter weicht
jeder uninteressanter Trivialität und dem Wiederkäuen des Hergebrachten mit
einer gewissen Leichtigkeit aus. Sein Auge ist für das Besondere, für die Wir¬
kung ungewöhnlicher Momente geschärft, seine Phantasie zieht den Leser mit sich
und erzeugt eine künstlerisch ganz berechtigte Spannung, die Stimmung, in
welcher der Poet geschaffen, geht auf den Leser über etwa in der Art, wie uns
ein tüchtiger, aber in seiner Licht- und Schattengebung, seiner ganzen Färbung
etwas manieristischer Maler für eine kleine Zeit zwingen kann, die Natur mit
seinen Augen zu sehen. Sodann: die Entwicklungsfähigkeit der charakterisirten
Eigenschaften und der Neigungen des Poeten ist nicht groß, und die Eindrücke,
welche seiue Gebilde hinterlassen, können nicht sehr bestimmte und sehr tiefe sein.
Eine Steigerung der Wirkungen dürfte C. F. Meyer nur nach der psychologischen,
nicht nach der äußerlich malenden Seite der Poesie suchen. Gleichwohl wäre
es vermessen, schon jetzt die Grenze setzen zu wollen, bis zu welchen diese unzwei¬
felhafte Erfindungs- und Compositionskraft Interesse erregen und das erregte
befriedigen kann.

Das umfangreichste Buch Conrad Ferdinand Meyers, der Roman "Georg
Jenatsch", legt in entscheidender Weise Zeugniß für die rasche Beweglichkeit
seiner Phantasie ab. Zeit und Zustände, in denen der Roman spielt: die Tage
des dreißigjährigen Krieges in ihrer Rückwirkung auf das von Religionshaß
und Religivuskämpfen, von den wilden Leidenschaften seiner Parteien und den
Intriguen der großen Mächte zerrissene und zerklüftete Graubünden, leben ohne
falsche Lehrhaftigkeit nur durch die lebendige Anschauung des Dichters namentlich
in den ersten Theilen der Erzählung vor uns auf. Wir wissen nicht, welche
Quellen er benutzt hat, aber wir würden ihm vollkommen zutrauen, daß er aus
des wackeren rhütischen Ritters Fortunat Sprecher von Bernegg "Geschichte der
bündnerischen Unruhen und Kriege" seine sämmtlichen historischen Situationen
geschöpft habe. Dazu gehört dann eben ein Poetenauge und die Freude an der
Belebung des schlicht und trocken Berichteten. Der Held des Romanes ist ohne
Frage eine der interessantesten und räthselhaftesten, wenn auch keine der erfreu¬
lichsten Figuren aus der Geschichte des 17. Jahrhunderts. Georg Jenatsch,


und den Schmelz seines Colorits. Es ist ersichtlich die Freude an der Farbe
(im poetischen Sinne) welche Meyer beherrscht und ihn stellenweise gegen die
Wirkungen unvollkommener Linien und gewisser Disproportionen der Gestalten
gleichgiltig macht. Ja man könnte noch einen Schritt weiter gehen. Schon bei
der Wahl seiner Stoffe, bei seinen Erfindungen steht für ihn die Lust an der
Buntheit, der Originalität, ja Seltsamkeit der Situationen derart in erster Linie,
daß das eigentliche poetische Problem, der Antheil am inneren Leben seiner
Gestalten, die Darstellung der Leidenschaft darüber in zweite Reihe kommt.

Bei dieser Eigenart ist zweierlei sofort klar. Erstens: der Dichter weicht
jeder uninteressanter Trivialität und dem Wiederkäuen des Hergebrachten mit
einer gewissen Leichtigkeit aus. Sein Auge ist für das Besondere, für die Wir¬
kung ungewöhnlicher Momente geschärft, seine Phantasie zieht den Leser mit sich
und erzeugt eine künstlerisch ganz berechtigte Spannung, die Stimmung, in
welcher der Poet geschaffen, geht auf den Leser über etwa in der Art, wie uns
ein tüchtiger, aber in seiner Licht- und Schattengebung, seiner ganzen Färbung
etwas manieristischer Maler für eine kleine Zeit zwingen kann, die Natur mit
seinen Augen zu sehen. Sodann: die Entwicklungsfähigkeit der charakterisirten
Eigenschaften und der Neigungen des Poeten ist nicht groß, und die Eindrücke,
welche seiue Gebilde hinterlassen, können nicht sehr bestimmte und sehr tiefe sein.
Eine Steigerung der Wirkungen dürfte C. F. Meyer nur nach der psychologischen,
nicht nach der äußerlich malenden Seite der Poesie suchen. Gleichwohl wäre
es vermessen, schon jetzt die Grenze setzen zu wollen, bis zu welchen diese unzwei¬
felhafte Erfindungs- und Compositionskraft Interesse erregen und das erregte
befriedigen kann.

Das umfangreichste Buch Conrad Ferdinand Meyers, der Roman „Georg
Jenatsch", legt in entscheidender Weise Zeugniß für die rasche Beweglichkeit
seiner Phantasie ab. Zeit und Zustände, in denen der Roman spielt: die Tage
des dreißigjährigen Krieges in ihrer Rückwirkung auf das von Religionshaß
und Religivuskämpfen, von den wilden Leidenschaften seiner Parteien und den
Intriguen der großen Mächte zerrissene und zerklüftete Graubünden, leben ohne
falsche Lehrhaftigkeit nur durch die lebendige Anschauung des Dichters namentlich
in den ersten Theilen der Erzählung vor uns auf. Wir wissen nicht, welche
Quellen er benutzt hat, aber wir würden ihm vollkommen zutrauen, daß er aus
des wackeren rhütischen Ritters Fortunat Sprecher von Bernegg „Geschichte der
bündnerischen Unruhen und Kriege" seine sämmtlichen historischen Situationen
geschöpft habe. Dazu gehört dann eben ein Poetenauge und die Freude an der
Belebung des schlicht und trocken Berichteten. Der Held des Romanes ist ohne
Frage eine der interessantesten und räthselhaftesten, wenn auch keine der erfreu¬
lichsten Figuren aus der Geschichte des 17. Jahrhunderts. Georg Jenatsch,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/152>, abgerufen am 23.07.2024.