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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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so glücklich, nicht so frisch und unmittelbar wie seine Genrebilder ans dem
modernen Leben. Es fehlt ihnen die lebenswahre Charakteristik, und die Com-
position ist gesucht und nicht ungezwungen. Glücklicher war Grützner mit dem
Beitrage, welchen er zu der von uns bereits besprochenen Ekkehard-Galerie
lieferte. Da konnte er in der Scene aus dem Klosterkeller "Rudiman und Ker-
hildis" eine Tonart anschlagen, die ihm vollkommen geläufig war.

Nicht minder als das, was auf der Bühne geschah, interessirte den Maler
auch das bunte Treiben hinter den Coulissen. Ein figurenreiches Bild aus den
ersten siebziger Jahren, welches eine Gesellschaft von Bühnenkünstlern in der
Garderobe darstellte, zeichnete sich dnrch eine geistreiche Charakteristik und große
Mannigfaltigkeit aus. Noch pikanter war "Mephisto hinter den Coulissen", ein
Schauspieler im rothen Teufelscostüm, der mit einer schmucken, noch sehr schüchternen
Balleteuse scherzt. Neuerdings hat sich leider in der Production Grützners ein
Rückgang bemerkbar gemacht. Der Quell seiner Erfindung sprudelt nicht mehr
so frisch wie früher, und seine Farbe ist stumpf, trocken und phlegmatisch ge¬
worden. Eine "Klosterweinlese", eine Scene aus dem italienischen Volksleben,
welche ans der vorjährigen Münchener Ausstellung zu sehen war, bewies nur,
daß sich Grützner auf ein Gebiet begeben hatte, auf welchem er nicht heimisch
ist. Sein virtuoses Können scheint innerhalb der blauweißen Grenzpfähle be¬
schlossen zu sein.

Weniger drastisch, feiner und vornehmer geartet ist der Humor, mit welchem
Heinrich Lossow, geboren am 10. Mürz 1843 in München, seine zierlichen,
koketten Figuren aus der Rococozeit zu beleben weiß. Auf den Wunsch des
Vaters, der ein Bildhauer aus der Schule Schwanthalers war, sollte auch er
sich dieser Kunst widmen, er entschied aber, nachdem er einige Zeit nicht ohne
Nutzen für seiue späteren Werke im Atelier des Vaters gearbeitet, für die Malerei.
Auch er mußte bei Piloty die übliche schauderhafte Begebenheit malen, und er
wählte dazu das Motiv aus dem Einführungsgedichte zu Heines "Buch der
Lieder", wie der junge Dichter die Sphinx umarmt und küßt und "Derweilen
des Mundes Kuß mich beglückt, Verwunden die Tatzen mich gräßlich". Er
bewies sein Talent zur Genüge schon dadurch, daß er sich mit der Darstellung
dieser abenteuerlichen Scene nicht lächerlich machte, sondern dieselbe im Gegen¬
theil noch mit den süßen Schauer der Romantik zu umgeben wußte. Glücklicher¬
weise gewann jedoch diese Schauerromautik keinen Einfluß auf den jungen Maler.
Indem er den jungeu Dichter in das Gewand der Rococozeit kleidete, that er
schon den ersten Schritt auf jenes Gebiet, welches er sich sodann als seine
specielle Domäne erkor. Wie von einem Pilotyschttler nicht anders zu erwarten,
machte er gründliche Studien, um sich eine genaue Kenntniß der Costüme, der
Architektur, des Mobiliars im 18. Jahrhundert anzueignen, und da er 1870


so glücklich, nicht so frisch und unmittelbar wie seine Genrebilder ans dem
modernen Leben. Es fehlt ihnen die lebenswahre Charakteristik, und die Com-
position ist gesucht und nicht ungezwungen. Glücklicher war Grützner mit dem
Beitrage, welchen er zu der von uns bereits besprochenen Ekkehard-Galerie
lieferte. Da konnte er in der Scene aus dem Klosterkeller „Rudiman und Ker-
hildis" eine Tonart anschlagen, die ihm vollkommen geläufig war.

Nicht minder als das, was auf der Bühne geschah, interessirte den Maler
auch das bunte Treiben hinter den Coulissen. Ein figurenreiches Bild aus den
ersten siebziger Jahren, welches eine Gesellschaft von Bühnenkünstlern in der
Garderobe darstellte, zeichnete sich dnrch eine geistreiche Charakteristik und große
Mannigfaltigkeit aus. Noch pikanter war „Mephisto hinter den Coulissen", ein
Schauspieler im rothen Teufelscostüm, der mit einer schmucken, noch sehr schüchternen
Balleteuse scherzt. Neuerdings hat sich leider in der Production Grützners ein
Rückgang bemerkbar gemacht. Der Quell seiner Erfindung sprudelt nicht mehr
so frisch wie früher, und seine Farbe ist stumpf, trocken und phlegmatisch ge¬
worden. Eine „Klosterweinlese", eine Scene aus dem italienischen Volksleben,
welche ans der vorjährigen Münchener Ausstellung zu sehen war, bewies nur,
daß sich Grützner auf ein Gebiet begeben hatte, auf welchem er nicht heimisch
ist. Sein virtuoses Können scheint innerhalb der blauweißen Grenzpfähle be¬
schlossen zu sein.

Weniger drastisch, feiner und vornehmer geartet ist der Humor, mit welchem
Heinrich Lossow, geboren am 10. Mürz 1843 in München, seine zierlichen,
koketten Figuren aus der Rococozeit zu beleben weiß. Auf den Wunsch des
Vaters, der ein Bildhauer aus der Schule Schwanthalers war, sollte auch er
sich dieser Kunst widmen, er entschied aber, nachdem er einige Zeit nicht ohne
Nutzen für seiue späteren Werke im Atelier des Vaters gearbeitet, für die Malerei.
Auch er mußte bei Piloty die übliche schauderhafte Begebenheit malen, und er
wählte dazu das Motiv aus dem Einführungsgedichte zu Heines „Buch der
Lieder", wie der junge Dichter die Sphinx umarmt und küßt und „Derweilen
des Mundes Kuß mich beglückt, Verwunden die Tatzen mich gräßlich". Er
bewies sein Talent zur Genüge schon dadurch, daß er sich mit der Darstellung
dieser abenteuerlichen Scene nicht lächerlich machte, sondern dieselbe im Gegen¬
theil noch mit den süßen Schauer der Romantik zu umgeben wußte. Glücklicher¬
weise gewann jedoch diese Schauerromautik keinen Einfluß auf den jungen Maler.
Indem er den jungeu Dichter in das Gewand der Rococozeit kleidete, that er
schon den ersten Schritt auf jenes Gebiet, welches er sich sodann als seine
specielle Domäne erkor. Wie von einem Pilotyschttler nicht anders zu erwarten,
machte er gründliche Studien, um sich eine genaue Kenntniß der Costüme, der
Architektur, des Mobiliars im 18. Jahrhundert anzueignen, und da er 1870


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/131>, abgerufen am 23.07.2024.