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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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und das ganze Land ausbreitete. Das belgische Volk erhob sich, um seine
Rechte "nieder zu gewinnen. Die Fahne des Hauses Nassau machte den alten
brabantischen Farben Platz, welche einige junge Leute unter den Hochrufen der
Menge auf dem Stadthause von Brüssel aufhißten. Die Bewegung nahm von
da an einen ausschließlich nationalen Charakter an, doch forderte man zunächst
in der Petition, die an den König abging, nur Trennung der Verwaltung der
südlichen Provinzen von derjenigen der nördlichen; die Rechte der Dynastie
sollten gewahrt bleiben. Der König berief die Generalstaaten ans den 13. Sep¬
tember zu einer außerordentlichen Sitzung uach dem Haag. Hier begab er sich
in deren Mitte und hielt eine Ansprache an sie, in welcher er die ihm ausge¬
drückten Wünsche nach einer Abänderung des Grundgesetzes und selbst einer
Trennung der durch die Verträge von 1814 und 1815 verbundenen Länder
nicht verschwieg, aber zuletzt erklärte: "Völlig bereit, billigen Wünschen ent-
gegenzukommen, werde ich niemals dein Parteigeiste weichen und niemals in
Maßregeln willigen, welche die Wohlfahrt und das Interesse des Vaterlandes
den Leidenschaften und der Gewaltthätigkeit opfern würden."

Mit dem Parteigeiste war die belgische Opposition und ihr Wunsch uach
Trennung gemeint. Dennoch wurde der zweiten Kammer der Generalstaaten
eine Botschaft mitgetheilt, in welcher der König die Abgeordneten einlud, sofort
zu prüfen, ob die Erfahrung die Nothwendigkeit einer Modification der nationalen
Einrichtungen ergeben habe, und ob es in diesem Falle nützlich sei, das, was
durch die Vorträge und das Grundgesetz zwischen den beiden großen Theilen
des Königreichs festgestellt' worden, anders zu gestaten:. Der König wünschte
eine unverzügliche offene Mittheilung der Ansichten der Abgeordneten über diese
wichtigen Fragen, die Debatte über die Botschaft begann sofort, und sie wurde
durch den Gang der Ereignisse beschleunigt. Am 29. September zerfiel das
Königreich der Niederlande zu gleicher Zeit im Haag und in Brüssel, hier dnrch
einen heldenmüthigen Kampf, dort durch ein entscheidendes Votum. 50 Abge¬
ordnete gegen 44 erklärten sich für die Scheidung des Königreichs in zwei Theile,
55 gegen, 43 für die Nothwendigkeit einer Abänderung der Verfassung. Die
Regierung hatte gethan, als ob sie mit dem Anrufen der Entscheidung der Volks¬
vertretung über diese beiden großen Fragen der öffentlichen Meinung in Bel¬
gien Genugthung geben "volle, in Wirklichkeit aber wartete sie nur auf die Un¬
terwerfung Brüssels, um das Werk von 1815 wiederherzustellen.

In demselben Augenblicke, wo der Gesetzgebende Körper zur Intervention
zwischen den beiden Theilen des Königreichs berufen wurde, erhielten die könig¬
lichen Truppen Befehl, sich gegen Brüssel in Marsch zu setzen, und veröffentlichte
der Prinz Friedrich der Niederlande eine sehr drohende und gegen die "Hanpt-
cmstifter des Aufruhrs" unerbittliche Proclamation. Dieselbe hatte in Belgien


und das ganze Land ausbreitete. Das belgische Volk erhob sich, um seine
Rechte »nieder zu gewinnen. Die Fahne des Hauses Nassau machte den alten
brabantischen Farben Platz, welche einige junge Leute unter den Hochrufen der
Menge auf dem Stadthause von Brüssel aufhißten. Die Bewegung nahm von
da an einen ausschließlich nationalen Charakter an, doch forderte man zunächst
in der Petition, die an den König abging, nur Trennung der Verwaltung der
südlichen Provinzen von derjenigen der nördlichen; die Rechte der Dynastie
sollten gewahrt bleiben. Der König berief die Generalstaaten ans den 13. Sep¬
tember zu einer außerordentlichen Sitzung uach dem Haag. Hier begab er sich
in deren Mitte und hielt eine Ansprache an sie, in welcher er die ihm ausge¬
drückten Wünsche nach einer Abänderung des Grundgesetzes und selbst einer
Trennung der durch die Verträge von 1814 und 1815 verbundenen Länder
nicht verschwieg, aber zuletzt erklärte: „Völlig bereit, billigen Wünschen ent-
gegenzukommen, werde ich niemals dein Parteigeiste weichen und niemals in
Maßregeln willigen, welche die Wohlfahrt und das Interesse des Vaterlandes
den Leidenschaften und der Gewaltthätigkeit opfern würden."

Mit dem Parteigeiste war die belgische Opposition und ihr Wunsch uach
Trennung gemeint. Dennoch wurde der zweiten Kammer der Generalstaaten
eine Botschaft mitgetheilt, in welcher der König die Abgeordneten einlud, sofort
zu prüfen, ob die Erfahrung die Nothwendigkeit einer Modification der nationalen
Einrichtungen ergeben habe, und ob es in diesem Falle nützlich sei, das, was
durch die Vorträge und das Grundgesetz zwischen den beiden großen Theilen
des Königreichs festgestellt' worden, anders zu gestaten:. Der König wünschte
eine unverzügliche offene Mittheilung der Ansichten der Abgeordneten über diese
wichtigen Fragen, die Debatte über die Botschaft begann sofort, und sie wurde
durch den Gang der Ereignisse beschleunigt. Am 29. September zerfiel das
Königreich der Niederlande zu gleicher Zeit im Haag und in Brüssel, hier dnrch
einen heldenmüthigen Kampf, dort durch ein entscheidendes Votum. 50 Abge¬
ordnete gegen 44 erklärten sich für die Scheidung des Königreichs in zwei Theile,
55 gegen, 43 für die Nothwendigkeit einer Abänderung der Verfassung. Die
Regierung hatte gethan, als ob sie mit dem Anrufen der Entscheidung der Volks¬
vertretung über diese beiden großen Fragen der öffentlichen Meinung in Bel¬
gien Genugthung geben »volle, in Wirklichkeit aber wartete sie nur auf die Un¬
terwerfung Brüssels, um das Werk von 1815 wiederherzustellen.

In demselben Augenblicke, wo der Gesetzgebende Körper zur Intervention
zwischen den beiden Theilen des Königreichs berufen wurde, erhielten die könig¬
lichen Truppen Befehl, sich gegen Brüssel in Marsch zu setzen, und veröffentlichte
der Prinz Friedrich der Niederlande eine sehr drohende und gegen die „Hanpt-
cmstifter des Aufruhrs" unerbittliche Proclamation. Dieselbe hatte in Belgien


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/102>, abgerufen am 18.06.2024.