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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Lehmhütten, deren einziger Raum ihnen gleichzeitig als Schlafstätte, Küche, Stall
und Scheune dient. Von dem Tage an, an welchem der Jrländer heirathet,
ist er selbst bei der schwersten Tagesarbeit nur nothdürftig im Stande, sich und
seine Familie vor dem Hungertode zu schützen. Von den 7, im besten Falle
8 Schillingen Wochenlohn, die er erhält, zahlt er häufig sechs Pence bis zu
einem Schilling wöchentliche Miethe für sein elendes Koino. Der Rest -- also
1 Schilling den Tag -- ist alles, was ihm bleibt, um sich und seine Familie
zu nähren und zu kleiden! Hat der Landlord kein Erbarmen und läßt ihm
nicht für den Winter eine Thüre zu seinem Hause machen, die Löcher im Dache
verstopfen und ans seinen Waldungen Holz schlagen, so ist das Loos der Un¬
glücklichen leicht zu ahnen. Das Elend ist in manchen Districten Irlands
wahrhaft haarsträubend. Dazu kommt nun gegenwärtig die wiederholte Mi߬
ernte, das Ausbleiben der einzigen Erwerbsquelle von etwa zwei Millionen
Menschen, und hiermit ist auch die Hoffnung auf weiteren Credit geschwunden.
Gerade so wie in Polen hat auch hier der Geldleiher und Kaufmann sein Netz
um die armen Pächter gewoben; von ihm erhalten sie Kleidung, Werkzeuge,
Samen und Nahrungsmittel. Der ssvindösn insu herrscht in Irland mit un¬
umschränkter Gewalt und dictirt seinen Schuldnern die Bedingungen. Alles
wird um 40, 50 bis 70 Procent über den wahren Marktpreis verkauft, ohne
daß der irische Bauer im Stande wäre, sich von diesem systematischen Saugen
und Rauben loszureißen. Die Pachtzinse müssen gezahlt werden, sonst ist der
Executor hinterher, treibt die Familie aus dem Hause und zerstört es, um ihre
Rückkehr zu verhindern. Die ehrbaren Pächter -- und diese find in Irland
noch immer in der Majorität, zahlen ihre Zinse, aber viele haben nichts, um
zu zahlen, andere wollen nicht zahlen.

Da kommt nun das aufrührerische Element wieder zur Geltung, jene Ueber¬
reste des Fenierthums, die bis heute noch nicht ausgerottet sind; jene geheimen
Gesellschaften diuo riddon-uiM und oran^s-rv.su, die Anhänger der l^na-
iv^Ans u. a. Sie sind zwar stets vorhanden, aber so lange der irische Farmer
zu leben hat, so lange kümmert er sich nicht um sie, und ihre Aufwiegelungen
sind ohne Erfolg. Desto fruchtbarer ist die Saat, die sie säen, in solchen Zeiten
wie die gegenwärtige. Zumeist sind es verwahrloste, aus der Gesellschaft wie
aus dem Pachtbesitz verstoßene Elemente, ohne Mittel, ohne Heimat, ohne
Charakter, theilweise auch politische Agitatoren, die sich zu Anführern des Volkes
aufschwingen wollen, um bei der nächsten Parlamentswahl einen Sitz im Hause
zu bekomme:?. Ihnen fällt das arme, ungebildete und von jeher unzurechnungs¬
fähige Volk zum Opfer. Mit Freuden hören sie die Doctrinen der Demagogen,
die ihnen Freiheit und Reichthum verkünden, Vertreibung der Landesherren
und Besitzergreifung der Güter predigen und das Volk aufmuntern, ihre


Lehmhütten, deren einziger Raum ihnen gleichzeitig als Schlafstätte, Küche, Stall
und Scheune dient. Von dem Tage an, an welchem der Jrländer heirathet,
ist er selbst bei der schwersten Tagesarbeit nur nothdürftig im Stande, sich und
seine Familie vor dem Hungertode zu schützen. Von den 7, im besten Falle
8 Schillingen Wochenlohn, die er erhält, zahlt er häufig sechs Pence bis zu
einem Schilling wöchentliche Miethe für sein elendes Koino. Der Rest — also
1 Schilling den Tag — ist alles, was ihm bleibt, um sich und seine Familie
zu nähren und zu kleiden! Hat der Landlord kein Erbarmen und läßt ihm
nicht für den Winter eine Thüre zu seinem Hause machen, die Löcher im Dache
verstopfen und ans seinen Waldungen Holz schlagen, so ist das Loos der Un¬
glücklichen leicht zu ahnen. Das Elend ist in manchen Districten Irlands
wahrhaft haarsträubend. Dazu kommt nun gegenwärtig die wiederholte Mi߬
ernte, das Ausbleiben der einzigen Erwerbsquelle von etwa zwei Millionen
Menschen, und hiermit ist auch die Hoffnung auf weiteren Credit geschwunden.
Gerade so wie in Polen hat auch hier der Geldleiher und Kaufmann sein Netz
um die armen Pächter gewoben; von ihm erhalten sie Kleidung, Werkzeuge,
Samen und Nahrungsmittel. Der ssvindösn insu herrscht in Irland mit un¬
umschränkter Gewalt und dictirt seinen Schuldnern die Bedingungen. Alles
wird um 40, 50 bis 70 Procent über den wahren Marktpreis verkauft, ohne
daß der irische Bauer im Stande wäre, sich von diesem systematischen Saugen
und Rauben loszureißen. Die Pachtzinse müssen gezahlt werden, sonst ist der
Executor hinterher, treibt die Familie aus dem Hause und zerstört es, um ihre
Rückkehr zu verhindern. Die ehrbaren Pächter — und diese find in Irland
noch immer in der Majorität, zahlen ihre Zinse, aber viele haben nichts, um
zu zahlen, andere wollen nicht zahlen.

Da kommt nun das aufrührerische Element wieder zur Geltung, jene Ueber¬
reste des Fenierthums, die bis heute noch nicht ausgerottet sind; jene geheimen
Gesellschaften diuo riddon-uiM und oran^s-rv.su, die Anhänger der l^na-
iv^Ans u. a. Sie sind zwar stets vorhanden, aber so lange der irische Farmer
zu leben hat, so lange kümmert er sich nicht um sie, und ihre Aufwiegelungen
sind ohne Erfolg. Desto fruchtbarer ist die Saat, die sie säen, in solchen Zeiten
wie die gegenwärtige. Zumeist sind es verwahrloste, aus der Gesellschaft wie
aus dem Pachtbesitz verstoßene Elemente, ohne Mittel, ohne Heimat, ohne
Charakter, theilweise auch politische Agitatoren, die sich zu Anführern des Volkes
aufschwingen wollen, um bei der nächsten Parlamentswahl einen Sitz im Hause
zu bekomme:?. Ihnen fällt das arme, ungebildete und von jeher unzurechnungs¬
fähige Volk zum Opfer. Mit Freuden hören sie die Doctrinen der Demagogen,
die ihnen Freiheit und Reichthum verkünden, Vertreibung der Landesherren
und Besitzergreifung der Güter predigen und das Volk aufmuntern, ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/99>, abgerufen am 23.07.2024.