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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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schuldigen Pachtsteuern nicht zu zahlen. Hier werden die Abgaben direct ver¬
weigert, dort wird der Grundherr mit Brandbriefen überschüttet und ihm mit
dem Tode gedroht, wenn er den Pachtzins nicht ganz erläßt. Anderswo richtet
sich die Wuth der Malcontenten wieder gegen die ehrlichen Pächter, welche das
Verbrechen begangen haben, den Pachtzins zu erlegen; ein paar maskirte
Männer lauern ihm auf und brennen den Ahnungsloses über den Haufen; dort
erscheinen in der Hütte eines Pächters ein paar Hallunken von der "Liga" und
drohen ihm mit den ärgsten Qualen, wenn er seine Pflicht dem Grundherr"
gegenüber erfüllt. Ebenso geht es den Justizbeamten und den Agenten der
einzelnen Grundbesitzer. Die Bevölkerung ist in steter Aufregung und in steter
Angst und Ungewißheit über ihr Schicksal. Eine Entscheidung muß getroffen
werden, und was soll der arme Pächter mitten im Lande thun, wenn er von
solchen Banden heimgesucht wird, die ihm den rothen Hahn aufs Dach setzen,
seine Pferde und fein Vieh vergiften und ihm selber das Lebenslicht ausblasen,
weil -- er seine Pflicht erfüllt? Das Gesetz hat nicht die Kraft, und wenn die
Kraft, so doch nicht die nöthige Schlauheit, ihn zu schützen. Wehrlos, wie er
ist, schlägt er sich, um Ruhe zu haben, auf die Seite der Unzufriedenen und geht
mit ihnen gegen seinen eigenen Grundherrn. Auf solche Weise wird das Land
schon lange vor dem Ausbruch der Bewegung geschürt. Mittlerweile sind die
Ernten vorübergegangen und haben kein Erträgniß geliefert; der letzte Heller
ist aufgezehrt, der Credit natürlich schon lange versiegt. Der stors Ksopör
und Kleinhändler, der schon seinen ganzen Waarenvorrath und mehr auf Credit
geliefert hat und keine Barmittel besitzt, um neue Waaren zu kaufen, auch
nicht geneigt ist, dem ohnehin schon stark bei ihm verschuldeten Bauer noch weiter
zu creditiren, weiß sich ebensowenig zu helfen wie der Bauer selbst. Der
Ernte-Ertrag reicht gerade hin, den Pachtzins zu zahlen. Wird dieser erlegt,
so bleibt für den Bauer ebensowenig etwas wie für den sroro Kssxsr. So
ist denn der letztere, der kleine Handelsmann und der Victualienhändler, schon in
seinem eigensten Interesse ein anderer Feind des Grundherrn und wünscht
gleichfalls, der Bauer möge den Pachtzins nicht erlegen. Es bilden sich derart
in jedem Orte im Lande kleine Coterien, die durch Agitatoren noch aufgeregt
werden. Dann werden die Massenmeetings einberufen, wo Tausende und Aber¬
tausende von Bauern und Kaufleute zusammenströmen -- nicht etwa mit den
Waffen in der Hand, um die Landlords hinauszuwerfen, sondern anfänglich
nur aus Neugierde, um zu hören, was sich etwa thun läßt. Was aber ist die
Theorie, die ihnen von den Demagogen hier aufgetischt wird? Vages Zeug,
das in England und anderwärts nur Lachen erregen würde. Nicht so bei der
leichtgläubigen Bevölkerung Irlands. Hier hören sie, daß der Bauer, und nicht
der gesetzliche Lauberde, der Besitzer des Grund und Bodens sei. Hier wird


schuldigen Pachtsteuern nicht zu zahlen. Hier werden die Abgaben direct ver¬
weigert, dort wird der Grundherr mit Brandbriefen überschüttet und ihm mit
dem Tode gedroht, wenn er den Pachtzins nicht ganz erläßt. Anderswo richtet
sich die Wuth der Malcontenten wieder gegen die ehrlichen Pächter, welche das
Verbrechen begangen haben, den Pachtzins zu erlegen; ein paar maskirte
Männer lauern ihm auf und brennen den Ahnungsloses über den Haufen; dort
erscheinen in der Hütte eines Pächters ein paar Hallunken von der „Liga" und
drohen ihm mit den ärgsten Qualen, wenn er seine Pflicht dem Grundherr«
gegenüber erfüllt. Ebenso geht es den Justizbeamten und den Agenten der
einzelnen Grundbesitzer. Die Bevölkerung ist in steter Aufregung und in steter
Angst und Ungewißheit über ihr Schicksal. Eine Entscheidung muß getroffen
werden, und was soll der arme Pächter mitten im Lande thun, wenn er von
solchen Banden heimgesucht wird, die ihm den rothen Hahn aufs Dach setzen,
seine Pferde und fein Vieh vergiften und ihm selber das Lebenslicht ausblasen,
weil — er seine Pflicht erfüllt? Das Gesetz hat nicht die Kraft, und wenn die
Kraft, so doch nicht die nöthige Schlauheit, ihn zu schützen. Wehrlos, wie er
ist, schlägt er sich, um Ruhe zu haben, auf die Seite der Unzufriedenen und geht
mit ihnen gegen seinen eigenen Grundherrn. Auf solche Weise wird das Land
schon lange vor dem Ausbruch der Bewegung geschürt. Mittlerweile sind die
Ernten vorübergegangen und haben kein Erträgniß geliefert; der letzte Heller
ist aufgezehrt, der Credit natürlich schon lange versiegt. Der stors Ksopör
und Kleinhändler, der schon seinen ganzen Waarenvorrath und mehr auf Credit
geliefert hat und keine Barmittel besitzt, um neue Waaren zu kaufen, auch
nicht geneigt ist, dem ohnehin schon stark bei ihm verschuldeten Bauer noch weiter
zu creditiren, weiß sich ebensowenig zu helfen wie der Bauer selbst. Der
Ernte-Ertrag reicht gerade hin, den Pachtzins zu zahlen. Wird dieser erlegt,
so bleibt für den Bauer ebensowenig etwas wie für den sroro Kssxsr. So
ist denn der letztere, der kleine Handelsmann und der Victualienhändler, schon in
seinem eigensten Interesse ein anderer Feind des Grundherrn und wünscht
gleichfalls, der Bauer möge den Pachtzins nicht erlegen. Es bilden sich derart
in jedem Orte im Lande kleine Coterien, die durch Agitatoren noch aufgeregt
werden. Dann werden die Massenmeetings einberufen, wo Tausende und Aber¬
tausende von Bauern und Kaufleute zusammenströmen — nicht etwa mit den
Waffen in der Hand, um die Landlords hinauszuwerfen, sondern anfänglich
nur aus Neugierde, um zu hören, was sich etwa thun läßt. Was aber ist die
Theorie, die ihnen von den Demagogen hier aufgetischt wird? Vages Zeug,
das in England und anderwärts nur Lachen erregen würde. Nicht so bei der
leichtgläubigen Bevölkerung Irlands. Hier hören sie, daß der Bauer, und nicht
der gesetzliche Lauberde, der Besitzer des Grund und Bodens sei. Hier wird


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/100>, abgerufen am 25.08.2024.