Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.besitzen meist geringe Geschäftserfahrung, es geht dem größten Theil derselben Dem Vernehmen nach wird de Freycinet, wie herkömmlich, den Amtsan¬ besitzen meist geringe Geschäftserfahrung, es geht dem größten Theil derselben Dem Vernehmen nach wird de Freycinet, wie herkömmlich, den Amtsan¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0093" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146022"/> <p xml:id="ID_223" prev="#ID_222"> besitzen meist geringe Geschäftserfahrung, es geht dem größten Theil derselben<lb/> sogar die Fähigkeit ab, gesellschaftlich zu repräsentiren, und so wird die Republik<lb/> bei der Suche nach geeigneten Leuten ihre Noth haben und zwar umsomehr,<lb/> als die allgemeine Besorgniß, die Krisis bedeute trotz aller gegentheiliger Versiche¬<lb/> rungen und trotz des beim Neujahrsempfange im Elysee erfolgten Austausches<lb/> von ausgesuchten Höflichkeiten zwischen Freycinet und Fürst Hohenlohe eine<lb/> Aenderung in der auswärtigen Politik Frankreichs, die größte Vorsicht in der<lb/> Wahl der Vertreter der Republik erheischt. Es ist wahr, die erste französische<lb/> Republik nahm ihre Gesandten, wo sie dieselben fand, aber die Verhältnisse<lb/> haben sich seitdem außerhalb Frankreichs sehr wesentlich geändert, ganz abge¬<lb/> sehen davon, daß die heutige Republik und namentlich die jetzt zur Herrschaft<lb/> gelangte Partei nicht entfernt die großen diplomatischen Talente auszuweisen<lb/> hat wie die Generation von Politikern, aus welcher die Regierung der Fran¬<lb/> zosen im letzten Jahrzehnte des vorigen Säculnms hervorging.</p><lb/> <p xml:id="ID_224"> Dem Vernehmen nach wird de Freycinet, wie herkömmlich, den Amtsan¬<lb/> tritt des neuen Cabinets den Vertretern Frankreichs im Auslande vermittels<lb/> eines Rundschreibens mittheilen und damit die Erklärung verbinden, daß sich<lb/> an der friedlichen Politik der Republik und deren Stellung zu den auswärtigen<lb/> Mächten nichts geändert habe. Die Frage ist aber, ob sich daran nicht in mehr<lb/> oder minder naher Zukunft etwas ändern wird. Auf alle Fälle wird Deutsch¬<lb/> land diese und ähnliche Versicherungen der Friedensliebe unter dem Ministerium<lb/> Freycinet mit mehr Vorsicht aufnehmen müssen als unter Waddingtons Regie¬<lb/> rung. Auch Napoleon III. behauptete immer, sein Regiment sei der Friede,<lb/> aber wer durfte ihm Glauben schenken? Wir besaßen in Waddingtons Charakter<lb/> und in seiner ganzen Persönlichkeit Bürgschaften für ein friedliches und ver¬<lb/> söhnliches Verhalten Frankreichs gegenüber dem deutschen Reiche, Ueber seinen<lb/> Nachfolger sind wir nicht so klar und in Folge dessen nicht so vertrauensvoll,<lb/> und die Verschiebung des Standpunktes der Regierung nach links, sowie die<lb/> Verstärkung des persönlichen Einflusses Gmnbettas sind natürlicherweise nicht<lb/> gerade geeignet, die Gefühle der Zufriedenheit und des Vertrauens bei uns zu<lb/> erhöhen. Das „Cabinet Gambetta ohne Gambetta", wie der Pariser Witz das<lb/> Ministerium vom 28. December getauft hat, eine Gruppe neuer Minister, deren<lb/> Biographien fast sämmtlich daran erinnern, daß sie ihren Focus in der Sphäre<lb/> haben, wo Gambetta als Dictator die nationale Vertheidigung leitete, wird<lb/> seinen Willen, auf die Dauer mit uns in Frieden zu leben, erst beweisen müssen,<lb/> ehe wir ihm trauen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
besitzen meist geringe Geschäftserfahrung, es geht dem größten Theil derselben
sogar die Fähigkeit ab, gesellschaftlich zu repräsentiren, und so wird die Republik
bei der Suche nach geeigneten Leuten ihre Noth haben und zwar umsomehr,
als die allgemeine Besorgniß, die Krisis bedeute trotz aller gegentheiliger Versiche¬
rungen und trotz des beim Neujahrsempfange im Elysee erfolgten Austausches
von ausgesuchten Höflichkeiten zwischen Freycinet und Fürst Hohenlohe eine
Aenderung in der auswärtigen Politik Frankreichs, die größte Vorsicht in der
Wahl der Vertreter der Republik erheischt. Es ist wahr, die erste französische
Republik nahm ihre Gesandten, wo sie dieselben fand, aber die Verhältnisse
haben sich seitdem außerhalb Frankreichs sehr wesentlich geändert, ganz abge¬
sehen davon, daß die heutige Republik und namentlich die jetzt zur Herrschaft
gelangte Partei nicht entfernt die großen diplomatischen Talente auszuweisen
hat wie die Generation von Politikern, aus welcher die Regierung der Fran¬
zosen im letzten Jahrzehnte des vorigen Säculnms hervorging.
Dem Vernehmen nach wird de Freycinet, wie herkömmlich, den Amtsan¬
tritt des neuen Cabinets den Vertretern Frankreichs im Auslande vermittels
eines Rundschreibens mittheilen und damit die Erklärung verbinden, daß sich
an der friedlichen Politik der Republik und deren Stellung zu den auswärtigen
Mächten nichts geändert habe. Die Frage ist aber, ob sich daran nicht in mehr
oder minder naher Zukunft etwas ändern wird. Auf alle Fälle wird Deutsch¬
land diese und ähnliche Versicherungen der Friedensliebe unter dem Ministerium
Freycinet mit mehr Vorsicht aufnehmen müssen als unter Waddingtons Regie¬
rung. Auch Napoleon III. behauptete immer, sein Regiment sei der Friede,
aber wer durfte ihm Glauben schenken? Wir besaßen in Waddingtons Charakter
und in seiner ganzen Persönlichkeit Bürgschaften für ein friedliches und ver¬
söhnliches Verhalten Frankreichs gegenüber dem deutschen Reiche, Ueber seinen
Nachfolger sind wir nicht so klar und in Folge dessen nicht so vertrauensvoll,
und die Verschiebung des Standpunktes der Regierung nach links, sowie die
Verstärkung des persönlichen Einflusses Gmnbettas sind natürlicherweise nicht
gerade geeignet, die Gefühle der Zufriedenheit und des Vertrauens bei uns zu
erhöhen. Das „Cabinet Gambetta ohne Gambetta", wie der Pariser Witz das
Ministerium vom 28. December getauft hat, eine Gruppe neuer Minister, deren
Biographien fast sämmtlich daran erinnern, daß sie ihren Focus in der Sphäre
haben, wo Gambetta als Dictator die nationale Vertheidigung leitete, wird
seinen Willen, auf die Dauer mit uns in Frieden zu leben, erst beweisen müssen,
ehe wir ihm trauen.
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