Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.zu bieten, der der Authenticität so nahe als möglich kommt. Und selbst bei die¬ Da wäre es nun freilich ein großer Fortschritt, wenn auch die Herausgeber zu bieten, der der Authenticität so nahe als möglich kommt. Und selbst bei die¬ Da wäre es nun freilich ein großer Fortschritt, wenn auch die Herausgeber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0085" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146014"/> <p xml:id="ID_205" prev="#ID_204"> zu bieten, der der Authenticität so nahe als möglich kommt. Und selbst bei die¬<lb/> ser der Zukunft vorbehaltenen Ausgabe wird, so gut wie bei unseren kritischen<lb/> Bach- und Beethoven-Ausgaben, einzelnes zweifelhaft bleiben. Nach den vor¬<lb/> liegenden Andeutungen hat es fast den Anschein, als ob Chopin beim Unter¬<lb/> richte oder auch bei neuen Auflagen seiner Werke, wenn er Gelegenheit hatte,<lb/> Revisionen vor dem Drucke zu lesen, rasch einmal zu kleinen Abänderungen ein¬<lb/> zelner Stellen bereit war; handelt sich's um Druckrevisionen, so werden diese<lb/> Aenderungen natürlich für beabsichtigte Besserungen zu gelten haben, durch<lb/> die die frühere Lesart cmnullirt wird; handelt sich's aber um Aenderungen in<lb/> Schülerexemplaren, so liegt die Annahme nicht sern, daß auch äußere Rücksich¬<lb/> ten auf die Spielbarkeit dabei bestimmend gewesen sein mögen. Wer will nun<lb/> sagen: Dies und nur dies ist der echt Chopinsche Text, und jenes nicht? Ge¬<lb/> wiß wird manche authentische Lesart, die den Anspruch erhebt, die einzig authen¬<lb/> tische zu sein, auf diese Weise zu einer bloßen Variante neben andern ebenso<lb/> authentischen, interessanten und beachtenswerthen Varianten degradirt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_206" next="#ID_207"> Da wäre es nun freilich ein großer Fortschritt, wenn auch die Herausgeber<lb/> von Musikalien, da wo sie den Anspruch erheben, „kritisch" zu Werke zu gehen,<lb/> sich mehr und mehr das Verfahren zum Muster nehmen wollten, welches die<lb/> philologische Wissenschaft schon seit Jahrhunderten bei der Herausgabe von<lb/> Schriftstellertexten aus dem classischen Alterthum und in neuerer Zeit ja auch<lb/> die Literaturwissenschaft bei der Veranstaltung von Ausgaben unserer deutschen<lb/> Classiker beobachtet hat: sich nicht mit der einen in den Text aufgenommenen<lb/> Lesart zu begnügen und diese mit apodiktischer Bestimmtheit als die richtige<lb/> hinzustellen, sondern dem Publikum in Anmerkungen, entweder am Fuße der<lb/> Seite oder hinterm Text, in kleinerem Druck den kritischen Apparat in Kürze<lb/> vorzulegen, auf Grund dessen die Entscheidung für die Gestaltung des Textes<lb/> gefällt worden ist. Damit dies mit der nöthigen Kürze und ohne Raumver-<lb/> schwendung geschehen könnte, müßte freilich ein Vorwort vorausgesandt werden,<lb/> welches über die benutzten Hilfsmittel Rechenschaft ablegte, jede einzelne zu<lb/> Grunde gelegte Ausgabe vielleicht mit einer Chiffre bezeichnete, die dann in den<lb/> Anmerkungen verwendet werden konnte. Dabei würde sich's zugleich darum<lb/> handeln, da wo vielleicht mehrere vom Komponisten selbst herrührende Varian¬<lb/> ten nachweisbar sind, die chronologische Reihenfolge derselben festzustellen, weil<lb/> dies für die Beurtheilung des Componisten selbst und seiner Entwicklung von<lb/> Wichtigkeit werden kann. Freilich, das sind weit ausschauende Wünsche, mit<lb/> deren Erfüllung es noch gute Weile haben wird, die aber doch immer als<lb/> erstrebenswertes Ziel vorschweben müssen. Was bis jetzt von „kritischen" Aus¬<lb/> gaben in diesem Sinne auf musikalischen Gebiete geleistet worden ist, be¬<lb/> schränkt sich so ziemlich auf die von der Bach-Gesellschaft unternommene Ausgabe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0085]
zu bieten, der der Authenticität so nahe als möglich kommt. Und selbst bei die¬
ser der Zukunft vorbehaltenen Ausgabe wird, so gut wie bei unseren kritischen
Bach- und Beethoven-Ausgaben, einzelnes zweifelhaft bleiben. Nach den vor¬
liegenden Andeutungen hat es fast den Anschein, als ob Chopin beim Unter¬
richte oder auch bei neuen Auflagen seiner Werke, wenn er Gelegenheit hatte,
Revisionen vor dem Drucke zu lesen, rasch einmal zu kleinen Abänderungen ein¬
zelner Stellen bereit war; handelt sich's um Druckrevisionen, so werden diese
Aenderungen natürlich für beabsichtigte Besserungen zu gelten haben, durch
die die frühere Lesart cmnullirt wird; handelt sich's aber um Aenderungen in
Schülerexemplaren, so liegt die Annahme nicht sern, daß auch äußere Rücksich¬
ten auf die Spielbarkeit dabei bestimmend gewesen sein mögen. Wer will nun
sagen: Dies und nur dies ist der echt Chopinsche Text, und jenes nicht? Ge¬
wiß wird manche authentische Lesart, die den Anspruch erhebt, die einzig authen¬
tische zu sein, auf diese Weise zu einer bloßen Variante neben andern ebenso
authentischen, interessanten und beachtenswerthen Varianten degradirt werden.
Da wäre es nun freilich ein großer Fortschritt, wenn auch die Herausgeber
von Musikalien, da wo sie den Anspruch erheben, „kritisch" zu Werke zu gehen,
sich mehr und mehr das Verfahren zum Muster nehmen wollten, welches die
philologische Wissenschaft schon seit Jahrhunderten bei der Herausgabe von
Schriftstellertexten aus dem classischen Alterthum und in neuerer Zeit ja auch
die Literaturwissenschaft bei der Veranstaltung von Ausgaben unserer deutschen
Classiker beobachtet hat: sich nicht mit der einen in den Text aufgenommenen
Lesart zu begnügen und diese mit apodiktischer Bestimmtheit als die richtige
hinzustellen, sondern dem Publikum in Anmerkungen, entweder am Fuße der
Seite oder hinterm Text, in kleinerem Druck den kritischen Apparat in Kürze
vorzulegen, auf Grund dessen die Entscheidung für die Gestaltung des Textes
gefällt worden ist. Damit dies mit der nöthigen Kürze und ohne Raumver-
schwendung geschehen könnte, müßte freilich ein Vorwort vorausgesandt werden,
welches über die benutzten Hilfsmittel Rechenschaft ablegte, jede einzelne zu
Grunde gelegte Ausgabe vielleicht mit einer Chiffre bezeichnete, die dann in den
Anmerkungen verwendet werden konnte. Dabei würde sich's zugleich darum
handeln, da wo vielleicht mehrere vom Komponisten selbst herrührende Varian¬
ten nachweisbar sind, die chronologische Reihenfolge derselben festzustellen, weil
dies für die Beurtheilung des Componisten selbst und seiner Entwicklung von
Wichtigkeit werden kann. Freilich, das sind weit ausschauende Wünsche, mit
deren Erfüllung es noch gute Weile haben wird, die aber doch immer als
erstrebenswertes Ziel vorschweben müssen. Was bis jetzt von „kritischen" Aus¬
gaben in diesem Sinne auf musikalischen Gebiete geleistet worden ist, be¬
schränkt sich so ziemlich auf die von der Bach-Gesellschaft unternommene Ausgabe
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