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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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als Herr v. Beust, der nicht nur an Preußen, sondern auch am Grafen Bis-
marck Revanche zu nehmen gedachte. Die italienischen Staatsmänner der herr¬
schenden Partei, der sogenannten Consorterie, voran der König selbst, waren
nicht abgeneigt, aber unter einer coMitio siirs <zM non: Zurückziehung der
französischen Truppen vom italienischen Boden und wenigstens stillschweigender
Zustimmung zur Occupation Roms. Napoleon, ganz unter dem Einfluß der
Kaiserin Eugenie und ihrer bigotten Freunde, weigerte sich hartnäckig, darauf
einzugehen, weigerte sich noch, als der Krieg in Paris bereits beschlossene
Sache war und Benedetti in Ems seine wenig beneidenswerthe Rolle spielte.
Unmöglich ist es nicht, daß der kriegslustige und den napoleoniden eng be¬
freundete und verwandte Victor Emanuel sich dennoch mit dem Kaiser alliirt
hätte, hätten nicht seine vorsichtigeren Minister entschieden Protest eingelegt und
die öffentliche Meinung des Landes sich vielmehr auf Seiten des angegriffenen
Deutschlands gestellt. Wörth und Spicheren benahmen auch dein König gründlich
die Lust. Hui xsut L'Mihr s-pee oaäÄvrö? hatte Napoleon 1866 mit Be¬
zug auf Oesterreich gefragt. Um Rom zu gewinnen, bedürfte es nun der fran¬
zösischen Erlaubniß nicht mehr; die Truppen waren zurückgezogen, die Grenze
lag offen. Dennoch wartete die italienische Regierung den Tag von Sedan ab.
Vergeblich appellirte Victor Emanuel noch einmal an den Papst, sich seinem
Schutze anzuvertrauen; es folgte das gewöhnliche U'on xossuwus in herbster
Form. Da stürmten die italienischen Truppen durch die Bresche von Porta
Pia am 20. September 1870 in die ewige Stadt. Die gewaltsame Entthronung
des Papstes war ein schwerer Entschluß für Victor Emanuel, wenn er der
sterbenden Mutter, wenn er des Vaters gedachte, die diese That nie und nimmer
gutgeheißen haben würden. Hatte ihm doch auch einst, wie er oft erzählte, eine
Zigeunerin geweissagt, daß er im Quirinal seinen Tod finden würde; empfand
er doch selbst ein Gefühl kindlicher Verehrung dem Greise im Vatican gegen¬
über. Aber das Pflichtgefühl des Königs gegen sein Land trug den Sieg auch
über kindliche Pietät und Aberglauben davon.

Am 2. October 1870 waren alle Bewohner der päpstlichen Staaten zur
Stimm-Urne geladen. 80 Procent aller stimmfähigen Bürger, 98 Procent der
wirklich Abstimmenden sprachen dem päpstlichen Regiment das Todesurtheil.
"Der mit so wunderbarer Einmüthigkeit von dem römischen Volke gefaßte Be¬
schluß," erwiederte der König der Deputation, welche ihm das Resultat der Ab¬
stimmung überbrachte, "heiligt die Grundlagen unseres nationalen Bundes und
zeigt, daß wir dem Glücke viel, aber unserer gerechten Sache noch mehr ver¬
danken." Von Deutschlands Verdiensten, das thatsächlich wie einst Venedig, so
jetzt Rom den Italienern geschenkt, war dabei nicht die Rede.

(Schluß folgt,)




als Herr v. Beust, der nicht nur an Preußen, sondern auch am Grafen Bis-
marck Revanche zu nehmen gedachte. Die italienischen Staatsmänner der herr¬
schenden Partei, der sogenannten Consorterie, voran der König selbst, waren
nicht abgeneigt, aber unter einer coMitio siirs <zM non: Zurückziehung der
französischen Truppen vom italienischen Boden und wenigstens stillschweigender
Zustimmung zur Occupation Roms. Napoleon, ganz unter dem Einfluß der
Kaiserin Eugenie und ihrer bigotten Freunde, weigerte sich hartnäckig, darauf
einzugehen, weigerte sich noch, als der Krieg in Paris bereits beschlossene
Sache war und Benedetti in Ems seine wenig beneidenswerthe Rolle spielte.
Unmöglich ist es nicht, daß der kriegslustige und den napoleoniden eng be¬
freundete und verwandte Victor Emanuel sich dennoch mit dem Kaiser alliirt
hätte, hätten nicht seine vorsichtigeren Minister entschieden Protest eingelegt und
die öffentliche Meinung des Landes sich vielmehr auf Seiten des angegriffenen
Deutschlands gestellt. Wörth und Spicheren benahmen auch dein König gründlich
die Lust. Hui xsut L'Mihr s-pee oaäÄvrö? hatte Napoleon 1866 mit Be¬
zug auf Oesterreich gefragt. Um Rom zu gewinnen, bedürfte es nun der fran¬
zösischen Erlaubniß nicht mehr; die Truppen waren zurückgezogen, die Grenze
lag offen. Dennoch wartete die italienische Regierung den Tag von Sedan ab.
Vergeblich appellirte Victor Emanuel noch einmal an den Papst, sich seinem
Schutze anzuvertrauen; es folgte das gewöhnliche U'on xossuwus in herbster
Form. Da stürmten die italienischen Truppen durch die Bresche von Porta
Pia am 20. September 1870 in die ewige Stadt. Die gewaltsame Entthronung
des Papstes war ein schwerer Entschluß für Victor Emanuel, wenn er der
sterbenden Mutter, wenn er des Vaters gedachte, die diese That nie und nimmer
gutgeheißen haben würden. Hatte ihm doch auch einst, wie er oft erzählte, eine
Zigeunerin geweissagt, daß er im Quirinal seinen Tod finden würde; empfand
er doch selbst ein Gefühl kindlicher Verehrung dem Greise im Vatican gegen¬
über. Aber das Pflichtgefühl des Königs gegen sein Land trug den Sieg auch
über kindliche Pietät und Aberglauben davon.

Am 2. October 1870 waren alle Bewohner der päpstlichen Staaten zur
Stimm-Urne geladen. 80 Procent aller stimmfähigen Bürger, 98 Procent der
wirklich Abstimmenden sprachen dem päpstlichen Regiment das Todesurtheil.
„Der mit so wunderbarer Einmüthigkeit von dem römischen Volke gefaßte Be¬
schluß," erwiederte der König der Deputation, welche ihm das Resultat der Ab¬
stimmung überbrachte, „heiligt die Grundlagen unseres nationalen Bundes und
zeigt, daß wir dem Glücke viel, aber unserer gerechten Sache noch mehr ver¬
danken." Von Deutschlands Verdiensten, das thatsächlich wie einst Venedig, so
jetzt Rom den Italienern geschenkt, war dabei nicht die Rede.

(Schluß folgt,)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/70>, abgerufen am 22.07.2024.