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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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man 1833 ihre Rechte neugeregelt hatte. Nach den damals zu Stande gekom¬
menen gesetzlichen Bestimmungen waren sie den Christen vollkommen gleich¬
geordnet, nur daß sie in allen Angelegenheiten, welche die christliche Kirche
angehen, sich der Mitwirkung und Abstimmung zu enthalten hatten. Die Frei¬
zügigkeit war für sie unbeschränkt, ebenso der Betrieb von Gewerben; nur zum
Nothhandel war eine alle drei Jahre neu einzuholende Regierungsbewilligung
erforderlich, die nur solchen Personen ertheilt wurde, welche sich sonst ihren
Unterhalt nicht zu beschaffen vermochten. Der Erwerb von Grundstücken war
ihnen unbenommen, nur durften sie selbstverständlich das Patronat über christ¬
liche Kirchen nicht ausüben. Zur Verheiratung bedürfte es für sie keiner
besonderen Genehmigung, und ihre Vertragsfähigkeit sowie ihre Glaubwürdigkeit
in bürgerlichen und Strafsachen galten als unbegrenzt. Sie waren militär¬
pflichtig und andrerseits zur Uebernahme von Staats- und Gemeindeämtern
sähig. Nur solche, die den Nothhandel trieben, waren hiervon sowie von dem
activen und passiven Wahlrechte ausgeschlossen. Ob die Kurhessen jemals ge¬
neigt gewesen sind, sich von einem Juden im Landtage vertreten zu lassen, wissen
wir nicht. Wohl aber hatten die hessischen Juden die Freude, ihrem Kurfürsten
vor und nach 1848 einen von ihren Leuten, der freilich getauft war, als Minister
zur Seite stehen zu sehen -- Hassenpflug.

Auch im Großherzogthume Baden wurde den Juden schon früh das Staats¬
bürgerrecht verliehen. Dagegen bedürfte es an Orten, wo sie bisher nicht ein¬
heimisch gewesen, zu ihrer Aufnahme der Einwilligung der Ortsbehörden. Auch
wnreu sie in den Gemeinden nur Schutzbürger. Von Staatsämtern schloß die
Verfassung sie aus, ebenso durften sie zwar für die Stände wählen, aber nicht
gewühlt werden. Gemeindeämter konnten sie bekleiden, doch entzog ihnen die
Gemeindeordnung die Stellen von Bürgermeistern und Gemeinderäthen. Der
Wehrpflicht waren sie unterworfen. In Bezug auf die Wahl eines Berufs,
auf Erwerb von Grundstücken standen sie den Christen gleich, und hinsichtlich
der Verheirathung, der Vertragsfähigkeit und der Glaubwürdigkeit des Zeug¬
nisses bestanden für sie keine Schranken.

Nach der Verfassung des Großherzogthums Hessen konnte den Juden das
Staatsbürgerrecht durch Verleihung eines Staatsamtes ertheilt werden. Sonst
war dasselbe beim Minister des Innern unter folgenden Bedingungen zu haben:
Der Jude mußte deutsch lesen und schreiben können und in gutem Rufe stehen,
demnächst entweder Großhandel treiben, hierzu ein Vermögen von 14000 Gulden
nachweisen und in die Zunft eintreten, oder beim Waarenhandel einen offenen
Laden halten, oder sich als zünftiger Handwerker oder als Ackerbauer zu nähren
versprechen und dem Schacher entsagen. Die Aufnahme der Juden als Orts¬
bürger glich derjenigen der Christen. Behufs der Aufnahme eines Juden in


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man 1833 ihre Rechte neugeregelt hatte. Nach den damals zu Stande gekom¬
menen gesetzlichen Bestimmungen waren sie den Christen vollkommen gleich¬
geordnet, nur daß sie in allen Angelegenheiten, welche die christliche Kirche
angehen, sich der Mitwirkung und Abstimmung zu enthalten hatten. Die Frei¬
zügigkeit war für sie unbeschränkt, ebenso der Betrieb von Gewerben; nur zum
Nothhandel war eine alle drei Jahre neu einzuholende Regierungsbewilligung
erforderlich, die nur solchen Personen ertheilt wurde, welche sich sonst ihren
Unterhalt nicht zu beschaffen vermochten. Der Erwerb von Grundstücken war
ihnen unbenommen, nur durften sie selbstverständlich das Patronat über christ¬
liche Kirchen nicht ausüben. Zur Verheiratung bedürfte es für sie keiner
besonderen Genehmigung, und ihre Vertragsfähigkeit sowie ihre Glaubwürdigkeit
in bürgerlichen und Strafsachen galten als unbegrenzt. Sie waren militär¬
pflichtig und andrerseits zur Uebernahme von Staats- und Gemeindeämtern
sähig. Nur solche, die den Nothhandel trieben, waren hiervon sowie von dem
activen und passiven Wahlrechte ausgeschlossen. Ob die Kurhessen jemals ge¬
neigt gewesen sind, sich von einem Juden im Landtage vertreten zu lassen, wissen
wir nicht. Wohl aber hatten die hessischen Juden die Freude, ihrem Kurfürsten
vor und nach 1848 einen von ihren Leuten, der freilich getauft war, als Minister
zur Seite stehen zu sehen — Hassenpflug.

Auch im Großherzogthume Baden wurde den Juden schon früh das Staats¬
bürgerrecht verliehen. Dagegen bedürfte es an Orten, wo sie bisher nicht ein¬
heimisch gewesen, zu ihrer Aufnahme der Einwilligung der Ortsbehörden. Auch
wnreu sie in den Gemeinden nur Schutzbürger. Von Staatsämtern schloß die
Verfassung sie aus, ebenso durften sie zwar für die Stände wählen, aber nicht
gewühlt werden. Gemeindeämter konnten sie bekleiden, doch entzog ihnen die
Gemeindeordnung die Stellen von Bürgermeistern und Gemeinderäthen. Der
Wehrpflicht waren sie unterworfen. In Bezug auf die Wahl eines Berufs,
auf Erwerb von Grundstücken standen sie den Christen gleich, und hinsichtlich
der Verheirathung, der Vertragsfähigkeit und der Glaubwürdigkeit des Zeug¬
nisses bestanden für sie keine Schranken.

Nach der Verfassung des Großherzogthums Hessen konnte den Juden das
Staatsbürgerrecht durch Verleihung eines Staatsamtes ertheilt werden. Sonst
war dasselbe beim Minister des Innern unter folgenden Bedingungen zu haben:
Der Jude mußte deutsch lesen und schreiben können und in gutem Rufe stehen,
demnächst entweder Großhandel treiben, hierzu ein Vermögen von 14000 Gulden
nachweisen und in die Zunft eintreten, oder beim Waarenhandel einen offenen
Laden halten, oder sich als zünftiger Handwerker oder als Ackerbauer zu nähren
versprechen und dem Schacher entsagen. Die Aufnahme der Juden als Orts¬
bürger glich derjenigen der Christen. Behufs der Aufnahme eines Juden in


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[0561] man 1833 ihre Rechte neugeregelt hatte. Nach den damals zu Stande gekom¬ menen gesetzlichen Bestimmungen waren sie den Christen vollkommen gleich¬ geordnet, nur daß sie in allen Angelegenheiten, welche die christliche Kirche angehen, sich der Mitwirkung und Abstimmung zu enthalten hatten. Die Frei¬ zügigkeit war für sie unbeschränkt, ebenso der Betrieb von Gewerben; nur zum Nothhandel war eine alle drei Jahre neu einzuholende Regierungsbewilligung erforderlich, die nur solchen Personen ertheilt wurde, welche sich sonst ihren Unterhalt nicht zu beschaffen vermochten. Der Erwerb von Grundstücken war ihnen unbenommen, nur durften sie selbstverständlich das Patronat über christ¬ liche Kirchen nicht ausüben. Zur Verheiratung bedürfte es für sie keiner besonderen Genehmigung, und ihre Vertragsfähigkeit sowie ihre Glaubwürdigkeit in bürgerlichen und Strafsachen galten als unbegrenzt. Sie waren militär¬ pflichtig und andrerseits zur Uebernahme von Staats- und Gemeindeämtern sähig. Nur solche, die den Nothhandel trieben, waren hiervon sowie von dem activen und passiven Wahlrechte ausgeschlossen. Ob die Kurhessen jemals ge¬ neigt gewesen sind, sich von einem Juden im Landtage vertreten zu lassen, wissen wir nicht. Wohl aber hatten die hessischen Juden die Freude, ihrem Kurfürsten vor und nach 1848 einen von ihren Leuten, der freilich getauft war, als Minister zur Seite stehen zu sehen — Hassenpflug. Auch im Großherzogthume Baden wurde den Juden schon früh das Staats¬ bürgerrecht verliehen. Dagegen bedürfte es an Orten, wo sie bisher nicht ein¬ heimisch gewesen, zu ihrer Aufnahme der Einwilligung der Ortsbehörden. Auch wnreu sie in den Gemeinden nur Schutzbürger. Von Staatsämtern schloß die Verfassung sie aus, ebenso durften sie zwar für die Stände wählen, aber nicht gewühlt werden. Gemeindeämter konnten sie bekleiden, doch entzog ihnen die Gemeindeordnung die Stellen von Bürgermeistern und Gemeinderäthen. Der Wehrpflicht waren sie unterworfen. In Bezug auf die Wahl eines Berufs, auf Erwerb von Grundstücken standen sie den Christen gleich, und hinsichtlich der Verheirathung, der Vertragsfähigkeit und der Glaubwürdigkeit des Zeug¬ nisses bestanden für sie keine Schranken. Nach der Verfassung des Großherzogthums Hessen konnte den Juden das Staatsbürgerrecht durch Verleihung eines Staatsamtes ertheilt werden. Sonst war dasselbe beim Minister des Innern unter folgenden Bedingungen zu haben: Der Jude mußte deutsch lesen und schreiben können und in gutem Rufe stehen, demnächst entweder Großhandel treiben, hierzu ein Vermögen von 14000 Gulden nachweisen und in die Zunft eintreten, oder beim Waarenhandel einen offenen Laden halten, oder sich als zünftiger Handwerker oder als Ackerbauer zu nähren versprechen und dem Schacher entsagen. Die Aufnahme der Juden als Orts¬ bürger glich derjenigen der Christen. Behufs der Aufnahme eines Juden in VreizbotcnI> 1L80. 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/561>, abgerufen am 23.07.2024.