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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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1807 allenthalben aufgehoben. Baden proclamirte 1808 den Grundsatz, daß
den Juden das unbeschränkte Bürgerrecht zu gewähren sei, ordnete jedoch einen
Uebergangszustand bis zu voller Verwirklichung desselben an. In Sachsen,
Würtemberg, Hessen-Darmstadt, den thüringischen und anhaltischen Staaten
machte man den Jsraeliten von 1807 bis 1810 größere oder geringere Zuge¬
ständnisse und eröffnete ihnen Aussicht auf weitere Erleichterungen. Im December
1811 ertheilte der Fürst-Primas, der in der Nachahmung französischer Einrich¬
tungen bekanntlich immer voran war, den Frankfurter Juden das volle Staats¬
bürgerrecht. Im Jahre darauf erließ der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin
eine Verordnung, welche die Jsraeliten für Inländer erklärte, ihnen bis auf die
Bekleidung von Staatsämtern gleiche Rechte mit den deutschen Unterthanen zu¬
sicherte und Ehen zwischen beiden Klassen der Bevölkerung gestattete -- Bestim¬
mungen und Gerechtsame, die jedoch später als unpraktisch zurückgenommen
wurden. Endlich gewährte 1813 auch Baiern seinen israelitischen Staatsange¬
hörigen größere Rechte und Freiheiten, als sie bisher genossen hatten.

Noch entschiedener und, wie wir schon jetzt vielleicht sagen dürfen, noch
unvorsichtiger ging man in den deutschen Staaten zu Werke, die lediglich durch
den Willen des französischen Kaisers zu Stande gekommen und fast unmittelbar
von diesem Willen abhängig waren. Im Großherzogthume Berg wurde bereits
1807 und im Königreiche Westfalen 1808 die volle bürgerliche und politische
Gleichberechtigung der Juden mit der deutschen Bevölkerung eingeführt und im
letztgenannten Lande auch die Einsetzung eines israelitischen Consistorinms nach
französischen Muster angeordnet.

Einer der letzten deutschen Staaten, die dieser von außen her veranlaßten
Bewegung für Aufnahme der Juden unter ihre vollberechtigter Angehörigen
folgten, war Preußen, das dieselben durch das Edict vom 11. März 1812 für
Staatsbürger erklärte, ihnen aber auch jetzt noch von Staatsämtern nur Pro¬
fessuren und andere höhere Lehrerstellen, sowie öffentliche Gemeindeämter zu¬
gänglich machte. Dieses Edict bildete aber durchaus kein Glied in der Kette
der Judengesetze, welche auf Grund der Erklärung der Menschenrechte und der
Gesetzgebung Napoleons in Deutschland nach und nach ergangen waren, um
zum großen Theil zur Freude der deutschen Bevölkerung wieder aufgehoben zu
werden, als die Hegemonie Frankreichs ein Ende genommen hatte.

Man wußte damals in Preußen wie anderwärts noch immer, daß Vorsicht
geboten war. Hatte doch"), nachdem in den Rheinlanden unter französischer
Herrschaft die Juden den Deutschen gleichgestellt worden waren, in Folge von



Wir benutzen von hier an eine Abhandlung über "Die bürgerlichen Verhältnisse
der Juden in Deutschland", die sich in dem 1848 erschienenen ersten Bande der Brackhans-
schen "Gegenwart" findet.

1807 allenthalben aufgehoben. Baden proclamirte 1808 den Grundsatz, daß
den Juden das unbeschränkte Bürgerrecht zu gewähren sei, ordnete jedoch einen
Uebergangszustand bis zu voller Verwirklichung desselben an. In Sachsen,
Würtemberg, Hessen-Darmstadt, den thüringischen und anhaltischen Staaten
machte man den Jsraeliten von 1807 bis 1810 größere oder geringere Zuge¬
ständnisse und eröffnete ihnen Aussicht auf weitere Erleichterungen. Im December
1811 ertheilte der Fürst-Primas, der in der Nachahmung französischer Einrich¬
tungen bekanntlich immer voran war, den Frankfurter Juden das volle Staats¬
bürgerrecht. Im Jahre darauf erließ der Großherzog von Mecklenburg-Schwerin
eine Verordnung, welche die Jsraeliten für Inländer erklärte, ihnen bis auf die
Bekleidung von Staatsämtern gleiche Rechte mit den deutschen Unterthanen zu¬
sicherte und Ehen zwischen beiden Klassen der Bevölkerung gestattete — Bestim¬
mungen und Gerechtsame, die jedoch später als unpraktisch zurückgenommen
wurden. Endlich gewährte 1813 auch Baiern seinen israelitischen Staatsange¬
hörigen größere Rechte und Freiheiten, als sie bisher genossen hatten.

Noch entschiedener und, wie wir schon jetzt vielleicht sagen dürfen, noch
unvorsichtiger ging man in den deutschen Staaten zu Werke, die lediglich durch
den Willen des französischen Kaisers zu Stande gekommen und fast unmittelbar
von diesem Willen abhängig waren. Im Großherzogthume Berg wurde bereits
1807 und im Königreiche Westfalen 1808 die volle bürgerliche und politische
Gleichberechtigung der Juden mit der deutschen Bevölkerung eingeführt und im
letztgenannten Lande auch die Einsetzung eines israelitischen Consistorinms nach
französischen Muster angeordnet.

Einer der letzten deutschen Staaten, die dieser von außen her veranlaßten
Bewegung für Aufnahme der Juden unter ihre vollberechtigter Angehörigen
folgten, war Preußen, das dieselben durch das Edict vom 11. März 1812 für
Staatsbürger erklärte, ihnen aber auch jetzt noch von Staatsämtern nur Pro¬
fessuren und andere höhere Lehrerstellen, sowie öffentliche Gemeindeämter zu¬
gänglich machte. Dieses Edict bildete aber durchaus kein Glied in der Kette
der Judengesetze, welche auf Grund der Erklärung der Menschenrechte und der
Gesetzgebung Napoleons in Deutschland nach und nach ergangen waren, um
zum großen Theil zur Freude der deutschen Bevölkerung wieder aufgehoben zu
werden, als die Hegemonie Frankreichs ein Ende genommen hatte.

Man wußte damals in Preußen wie anderwärts noch immer, daß Vorsicht
geboten war. Hatte doch"), nachdem in den Rheinlanden unter französischer
Herrschaft die Juden den Deutschen gleichgestellt worden waren, in Folge von



Wir benutzen von hier an eine Abhandlung über „Die bürgerlichen Verhältnisse
der Juden in Deutschland", die sich in dem 1848 erschienenen ersten Bande der Brackhans-
schen „Gegenwart" findet.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/554>, abgerufen am 22.07.2024.