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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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todten und dein Proceß der Zersetzung überliefern. Hoffen wir aber,
daß ein lebendiges evangelisches Bewußtsein sich wieder bildet. Dann wollen
wir uns unter seine Fahne stellen und den Staat erobern, den Staat und
Alles, was darinnen ist, nicht mit dem tödtenden Buchstaben, sondern mit
dem lebendig machenden Geiste. Dann werden wir für die rechtlich verbriefte
Gleichgültigkeit des Staatsbttrgerthums gegen die inneren Mächte der Menschen
die rechte Schranke zu finden wissen, indem wir den Zusammenhang zwischen
dem inneren Wollen und dem äußeren Recht wieder zum Ausdruck bringen.
Und wenn wir selbst in uus nicht mehr unsicher sind über alle Probleme des
höheren Lebens und ihren Zusammenhang mit dem Staate, dann wird die
öffentliche Meinung stark genug sein, selbst ohne gesetzliche Waffen den Genius
des deutschen Staats und der deutschen Nation nicht mehr in frecher und
alberner Weise insultiren zu lassen ^ .




Literatur.

Von den Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchi¬
ven, die im Hirzelschen Verlage in Leipzig erschienen, sind dem ersten und
zweiten Bande rasch der dritte und der vierte gefolgt. Jener enthält den ersten
Band der ersten Abtheilung des Hessischen Urkuudeubu ass, der die Ur¬
kunden der Deutschordeus-Battel Hessen von 1207 bis 1299 bringt. Heraus¬
geber ist Arthur Wyß in Marburg. Den Werth dieser Arbeit, die in das
Gebiet der eigentlichen gelehrten Forschung gehört, zu würdigen, ist hier nicht
der Ort, und so begnügen wir uns, ihr Erscheinen denjenigen unserer Leser,
die es angeht, anzuzeigen. Weniger beschränktes Interesse beansprucht der vierte
Band, der zunächst die Memoiren der Kurfürstin Sophie von Han¬
nover, der Freundin Leibnizens, denn die Histoirs as nov, tsinxs von
Friedrich dem Großen nach der Redaction von 1746 enthält. Jene sind von
Adolf Köcher, diese ist von Mnx Posner herausgegeben.

Die Memoiren, Erinnerungen und Stimmungen einer der geistvollsten
Fürstinnen Europa's treten hier (beiläufig nach einer Abschrift Leibnizens) in
ihrer Gesammtheit zum ersten Male ans Licht. Sie waren ursprünglich nur
für die Verfasserin selbst bestimmt, und Leibniz hat das Französisch derselben
gefeilt. Mundere Laune sprudelt uns aus ihnen entgegen, aber tiefes Herzeleid
über eine unglückliche Ehe mit einem leichtlebigen Fürsten, der sie einer Gräfin
Platen hintansetzte, bildet den Hintergrund. Die Aufzeichnungen sollen weder,
wie die später in die Mode kommenden Tagebücher, das Werden ihrer Persön¬
lichkeit noch die großen Bewegungen ihrer Zeit darstellen, sondern ihr Thema
wird von den Beobachtungen, Schicksalen, Hoffnungen und Enttäuschungen
ihres Lebens gebildet, ihre Liebe und ihr Haß und nicht minder ihre
Neigung zum Spott sprechen daraus zu uns. In diesen Stimmungen und
Urtheilen erkennen wir ihr Wesen, und daneben spiegelt sich uns nicht nur
das interne Leben des kurpfülzischen und des hannoverschen Hofes, sondern


todten und dein Proceß der Zersetzung überliefern. Hoffen wir aber,
daß ein lebendiges evangelisches Bewußtsein sich wieder bildet. Dann wollen
wir uns unter seine Fahne stellen und den Staat erobern, den Staat und
Alles, was darinnen ist, nicht mit dem tödtenden Buchstaben, sondern mit
dem lebendig machenden Geiste. Dann werden wir für die rechtlich verbriefte
Gleichgültigkeit des Staatsbttrgerthums gegen die inneren Mächte der Menschen
die rechte Schranke zu finden wissen, indem wir den Zusammenhang zwischen
dem inneren Wollen und dem äußeren Recht wieder zum Ausdruck bringen.
Und wenn wir selbst in uus nicht mehr unsicher sind über alle Probleme des
höheren Lebens und ihren Zusammenhang mit dem Staate, dann wird die
öffentliche Meinung stark genug sein, selbst ohne gesetzliche Waffen den Genius
des deutschen Staats und der deutschen Nation nicht mehr in frecher und
alberner Weise insultiren zu lassen ^ .




Literatur.

Von den Publikationen aus den K. Preußischen Staatsarchi¬
ven, die im Hirzelschen Verlage in Leipzig erschienen, sind dem ersten und
zweiten Bande rasch der dritte und der vierte gefolgt. Jener enthält den ersten
Band der ersten Abtheilung des Hessischen Urkuudeubu ass, der die Ur¬
kunden der Deutschordeus-Battel Hessen von 1207 bis 1299 bringt. Heraus¬
geber ist Arthur Wyß in Marburg. Den Werth dieser Arbeit, die in das
Gebiet der eigentlichen gelehrten Forschung gehört, zu würdigen, ist hier nicht
der Ort, und so begnügen wir uns, ihr Erscheinen denjenigen unserer Leser,
die es angeht, anzuzeigen. Weniger beschränktes Interesse beansprucht der vierte
Band, der zunächst die Memoiren der Kurfürstin Sophie von Han¬
nover, der Freundin Leibnizens, denn die Histoirs as nov, tsinxs von
Friedrich dem Großen nach der Redaction von 1746 enthält. Jene sind von
Adolf Köcher, diese ist von Mnx Posner herausgegeben.

Die Memoiren, Erinnerungen und Stimmungen einer der geistvollsten
Fürstinnen Europa's treten hier (beiläufig nach einer Abschrift Leibnizens) in
ihrer Gesammtheit zum ersten Male ans Licht. Sie waren ursprünglich nur
für die Verfasserin selbst bestimmt, und Leibniz hat das Französisch derselben
gefeilt. Mundere Laune sprudelt uns aus ihnen entgegen, aber tiefes Herzeleid
über eine unglückliche Ehe mit einem leichtlebigen Fürsten, der sie einer Gräfin
Platen hintansetzte, bildet den Hintergrund. Die Aufzeichnungen sollen weder,
wie die später in die Mode kommenden Tagebücher, das Werden ihrer Persön¬
lichkeit noch die großen Bewegungen ihrer Zeit darstellen, sondern ihr Thema
wird von den Beobachtungen, Schicksalen, Hoffnungen und Enttäuschungen
ihres Lebens gebildet, ihre Liebe und ihr Haß und nicht minder ihre
Neigung zum Spott sprechen daraus zu uns. In diesen Stimmungen und
Urtheilen erkennen wir ihr Wesen, und daneben spiegelt sich uns nicht nur
das interne Leben des kurpfülzischen und des hannoverschen Hofes, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/55>, abgerufen am 22.07.2024.