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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Wir sind allerdings der Meinung, daß, vorausgesetzt, die Formen unsers
Denkens gestatten, die Welt der Erscheinung zu überschreiten, die Idee
Gottes ein denknothwendiger Begriff ist. Diese Voraussetzung aber, die uns
Persönlich gewiß ist, kaun nicht stringent bewiesen werden. Wir können auf das
Unbefriedigende der Gesammtanschauung, die durch Leugnung jener Voraus¬
setzung entsteht, hinweisen; aber wer das, was uns unbefriedigend erscheint,
nicht unbefriedigend findet oder resignirend sich in das Unbefriedigende findet,
wird durch unsre Demonstrationen nicht erschüttert werden. Es ist hier nicht
anders wie mit philosophischen Systemen überhaupt. Sie wurzeln alle in einer
Grundanschauung, die weder widerlegt noch bewiesen werden kann. Eine solche
Grundanschauung ist der Glaube. Jedes philosophische System, jede eigen¬
thümliche Art der Welterklärung wurzelt ebenso wie die Religion in Acten des
Glaubens. Mit Recht sagt ein neuerer dänischer Theologe in einer auch sonst
an zutreffenden apologetischen Bemerkungen reichen Schrift: "Will man dem
Begriff der Wissenschaft einen möglichst weiten Umfang geben, so habe ich durch¬
aus nichts dagegen; aber das scheint doch auf der Hand zu liegen, daß eine
Grenze gezogen werden muß zwischen derjenigen Wissenschaft, die uns allen
ihre Resultate, auch gegen unsern Willen, aufzwingen kann, also der im
eigentlichsten Sinne exacten Wissenschaft, und andrerseits derjenigen, die zwar zu
überzeugen, nicht aber im wahren Sinne des Wortes zu beweisen, nicht
Anderen ihre Erkenntnisse aufzuzwingen vermag, weil sie eben in letzter Instanz
auf einem Glaubensverhältniß zum Unsichtbaren beruht, das seiner Natur nach
stets ein freiwilliges ist."*)

Das religiöse Leben in der Sphäre des Handelns stellt sich dar im Gebet.
Hier schauen wir das vollkommne Vorbild Gottes, hier schöpfen wir aus seiner
Fülle die sittliche Kraft, hier stellen wir die Güter des irdischen Lebens unter
seinen Schutz. Das Gebet aber ist die freieste That, der Betende tritt aus der
Welt des Südlichen in die Welt der Unendlichkeit, aus der Zeit in die Ewig¬
keit. Was das Herz liebend erfaßt, was den werthvollen Inhalt des Lebens
bildet, was das Begehren der Seele zum Ziele erwählt hat, stellt er in das
Licht des göttlichen Willens, daß es von ihm berührt werde und dadurch
Wirklichkeit gewinne. So offenbart sich im Gebet Reichthum und Tiefe des
Menschenherzens.**)




*) Paludan-Müller, Das Sichtbare und das Unsichtbare. Gotha, F. A. Perthes,
1879. S. 46.
**) Vgl. Monrad, Aus der Welt des Gebetes. Vierte Auflage. Gotha, F. A Perthes,
1879. Der Verfasser dieses Buches, einer Schrift von seltner Schönheit, Wahrheit und
Tiefe, ist der frühere Minister Dänemarks, der 1864 den Krieg gegen Deutschland eröffnete,
nach dem Frieden mit seiner Familie nach Neu-Seeland auswanderte und, da sein Besitz-
Grenzboten I. 1380. 63

Wir sind allerdings der Meinung, daß, vorausgesetzt, die Formen unsers
Denkens gestatten, die Welt der Erscheinung zu überschreiten, die Idee
Gottes ein denknothwendiger Begriff ist. Diese Voraussetzung aber, die uns
Persönlich gewiß ist, kaun nicht stringent bewiesen werden. Wir können auf das
Unbefriedigende der Gesammtanschauung, die durch Leugnung jener Voraus¬
setzung entsteht, hinweisen; aber wer das, was uns unbefriedigend erscheint,
nicht unbefriedigend findet oder resignirend sich in das Unbefriedigende findet,
wird durch unsre Demonstrationen nicht erschüttert werden. Es ist hier nicht
anders wie mit philosophischen Systemen überhaupt. Sie wurzeln alle in einer
Grundanschauung, die weder widerlegt noch bewiesen werden kann. Eine solche
Grundanschauung ist der Glaube. Jedes philosophische System, jede eigen¬
thümliche Art der Welterklärung wurzelt ebenso wie die Religion in Acten des
Glaubens. Mit Recht sagt ein neuerer dänischer Theologe in einer auch sonst
an zutreffenden apologetischen Bemerkungen reichen Schrift: „Will man dem
Begriff der Wissenschaft einen möglichst weiten Umfang geben, so habe ich durch¬
aus nichts dagegen; aber das scheint doch auf der Hand zu liegen, daß eine
Grenze gezogen werden muß zwischen derjenigen Wissenschaft, die uns allen
ihre Resultate, auch gegen unsern Willen, aufzwingen kann, also der im
eigentlichsten Sinne exacten Wissenschaft, und andrerseits derjenigen, die zwar zu
überzeugen, nicht aber im wahren Sinne des Wortes zu beweisen, nicht
Anderen ihre Erkenntnisse aufzuzwingen vermag, weil sie eben in letzter Instanz
auf einem Glaubensverhältniß zum Unsichtbaren beruht, das seiner Natur nach
stets ein freiwilliges ist."*)

Das religiöse Leben in der Sphäre des Handelns stellt sich dar im Gebet.
Hier schauen wir das vollkommne Vorbild Gottes, hier schöpfen wir aus seiner
Fülle die sittliche Kraft, hier stellen wir die Güter des irdischen Lebens unter
seinen Schutz. Das Gebet aber ist die freieste That, der Betende tritt aus der
Welt des Südlichen in die Welt der Unendlichkeit, aus der Zeit in die Ewig¬
keit. Was das Herz liebend erfaßt, was den werthvollen Inhalt des Lebens
bildet, was das Begehren der Seele zum Ziele erwählt hat, stellt er in das
Licht des göttlichen Willens, daß es von ihm berührt werde und dadurch
Wirklichkeit gewinne. So offenbart sich im Gebet Reichthum und Tiefe des
Menschenherzens.**)




*) Paludan-Müller, Das Sichtbare und das Unsichtbare. Gotha, F. A. Perthes,
1879. S. 46.
**) Vgl. Monrad, Aus der Welt des Gebetes. Vierte Auflage. Gotha, F. A Perthes,
1879. Der Verfasser dieses Buches, einer Schrift von seltner Schönheit, Wahrheit und
Tiefe, ist der frühere Minister Dänemarks, der 1864 den Krieg gegen Deutschland eröffnete,
nach dem Frieden mit seiner Familie nach Neu-Seeland auswanderte und, da sein Besitz-
Grenzboten I. 1380. 63
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[0545] Wir sind allerdings der Meinung, daß, vorausgesetzt, die Formen unsers Denkens gestatten, die Welt der Erscheinung zu überschreiten, die Idee Gottes ein denknothwendiger Begriff ist. Diese Voraussetzung aber, die uns Persönlich gewiß ist, kaun nicht stringent bewiesen werden. Wir können auf das Unbefriedigende der Gesammtanschauung, die durch Leugnung jener Voraus¬ setzung entsteht, hinweisen; aber wer das, was uns unbefriedigend erscheint, nicht unbefriedigend findet oder resignirend sich in das Unbefriedigende findet, wird durch unsre Demonstrationen nicht erschüttert werden. Es ist hier nicht anders wie mit philosophischen Systemen überhaupt. Sie wurzeln alle in einer Grundanschauung, die weder widerlegt noch bewiesen werden kann. Eine solche Grundanschauung ist der Glaube. Jedes philosophische System, jede eigen¬ thümliche Art der Welterklärung wurzelt ebenso wie die Religion in Acten des Glaubens. Mit Recht sagt ein neuerer dänischer Theologe in einer auch sonst an zutreffenden apologetischen Bemerkungen reichen Schrift: „Will man dem Begriff der Wissenschaft einen möglichst weiten Umfang geben, so habe ich durch¬ aus nichts dagegen; aber das scheint doch auf der Hand zu liegen, daß eine Grenze gezogen werden muß zwischen derjenigen Wissenschaft, die uns allen ihre Resultate, auch gegen unsern Willen, aufzwingen kann, also der im eigentlichsten Sinne exacten Wissenschaft, und andrerseits derjenigen, die zwar zu überzeugen, nicht aber im wahren Sinne des Wortes zu beweisen, nicht Anderen ihre Erkenntnisse aufzuzwingen vermag, weil sie eben in letzter Instanz auf einem Glaubensverhältniß zum Unsichtbaren beruht, das seiner Natur nach stets ein freiwilliges ist."*) Das religiöse Leben in der Sphäre des Handelns stellt sich dar im Gebet. Hier schauen wir das vollkommne Vorbild Gottes, hier schöpfen wir aus seiner Fülle die sittliche Kraft, hier stellen wir die Güter des irdischen Lebens unter seinen Schutz. Das Gebet aber ist die freieste That, der Betende tritt aus der Welt des Südlichen in die Welt der Unendlichkeit, aus der Zeit in die Ewig¬ keit. Was das Herz liebend erfaßt, was den werthvollen Inhalt des Lebens bildet, was das Begehren der Seele zum Ziele erwählt hat, stellt er in das Licht des göttlichen Willens, daß es von ihm berührt werde und dadurch Wirklichkeit gewinne. So offenbart sich im Gebet Reichthum und Tiefe des Menschenherzens.**) *) Paludan-Müller, Das Sichtbare und das Unsichtbare. Gotha, F. A. Perthes, 1879. S. 46. **) Vgl. Monrad, Aus der Welt des Gebetes. Vierte Auflage. Gotha, F. A Perthes, 1879. Der Verfasser dieses Buches, einer Schrift von seltner Schönheit, Wahrheit und Tiefe, ist der frühere Minister Dänemarks, der 1864 den Krieg gegen Deutschland eröffnete, nach dem Frieden mit seiner Familie nach Neu-Seeland auswanderte und, da sein Besitz- Grenzboten I. 1380. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/545>, abgerufen am 22.07.2024.