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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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betreten hatte, fesselte ihn vor der Hand nicht in einem solchen Grade, daß er
sich ihm ausschließlich gewidmet hätte. Obwohl er später noch in größerem
Maßstabe nach dein Lorbeer des Historienmalers strebte, ist Defregger doch recht
eigentlich Genre- oder vielmehr Sittenmaler im Stile der Holländer, wenn auch
einseitiger und exclusiver als diese, da er in seinen Bildern grundsätzlich nur
die liebenswürdigen und angenehmen Seiten der menschlichen Natur hervorkehrt.
Seinem Stile und seiner Ausdrucksweise nach ein vollkommener Realist, der
seine Ideale nur im Leben sucht und findet, hat er in seiner Art zu sehen und
aufzufassen doch einen völlig idealistischen Zug. Wie der Berliner Genremaler
Friedrich Eduard Meyenheim, der für die Harzer und Thüringer Bauern un¬
gefähr das ist, was Defregger für die Tiroler, sieht dieser das Leben nur von
seiner heiteren und harmonischen Seite. Alles Grelle, Rohe und Mißtöuige
existirt für seine Kunst nicht, und selbst ein Gegenstand wie der "Ringkampf
in einer Scheune" wird durch seine Auffassung gewissermaßen geadelt. Es war
das nächste Bild, welches er nach dem "Speckbacher" vollendete, und auch dieses
frappirte wiederum durch die Lebendigkeit, Wahrheit und Mannigfaltigkeit des
Ausdrucks, der sich in den Gesichtern der Umstehenden kundgiebt, welche mit
größter Spannung ans den Moment warten, in welchem die lauernden Ringer
an einander gerathen werden. In der coloristischen Ausführung der Hinteren
Figuren machte sich eine gewisse Flausen bemerkbar, die jedoch hier noch durch
das Helldunkel des Fonds etwas bemäntelt wurde. Ein zweites Genrebild ans
dem tiroler Leben "Die Brüder" stellte die erste Begegnung eines von der Schule
in das Vaterhaus heimgekehrten Knaben mit einem während seiner Abwesenheit
geborenen Brüderchen in höchst drolliger Weise dar.

Während er mitten im glücklichsten Schaffen an einem großen Altarbilde
mit der heiligen Familie für die Pfarrkirche seiner Heimat arbeitete, überfiel
ihn plötzlich eine heftige Gliederkraukheit, die ihm das Gehen und Stehen un¬
möglich machte, so daß er liegend malen mußte. Alle ärztlichen Bemühungen
scheiterten an der Hartnäckigkeit des Leidens. Er siedelte schließlich nach Bozen
über, wo er von dem milderen Klima Genesung hoffte; aber sie wurde ihm erst
nach einem zweijährigen Schmerzenslager durch die Hand eines Dölsacher Banern-
dvetors, der mit Erfolg den Baunscheidtismus anwendete und ihn in acht Tagen
curirt haben soll.


Adolf Rosenberg.


betreten hatte, fesselte ihn vor der Hand nicht in einem solchen Grade, daß er
sich ihm ausschließlich gewidmet hätte. Obwohl er später noch in größerem
Maßstabe nach dein Lorbeer des Historienmalers strebte, ist Defregger doch recht
eigentlich Genre- oder vielmehr Sittenmaler im Stile der Holländer, wenn auch
einseitiger und exclusiver als diese, da er in seinen Bildern grundsätzlich nur
die liebenswürdigen und angenehmen Seiten der menschlichen Natur hervorkehrt.
Seinem Stile und seiner Ausdrucksweise nach ein vollkommener Realist, der
seine Ideale nur im Leben sucht und findet, hat er in seiner Art zu sehen und
aufzufassen doch einen völlig idealistischen Zug. Wie der Berliner Genremaler
Friedrich Eduard Meyenheim, der für die Harzer und Thüringer Bauern un¬
gefähr das ist, was Defregger für die Tiroler, sieht dieser das Leben nur von
seiner heiteren und harmonischen Seite. Alles Grelle, Rohe und Mißtöuige
existirt für seine Kunst nicht, und selbst ein Gegenstand wie der „Ringkampf
in einer Scheune" wird durch seine Auffassung gewissermaßen geadelt. Es war
das nächste Bild, welches er nach dem „Speckbacher" vollendete, und auch dieses
frappirte wiederum durch die Lebendigkeit, Wahrheit und Mannigfaltigkeit des
Ausdrucks, der sich in den Gesichtern der Umstehenden kundgiebt, welche mit
größter Spannung ans den Moment warten, in welchem die lauernden Ringer
an einander gerathen werden. In der coloristischen Ausführung der Hinteren
Figuren machte sich eine gewisse Flausen bemerkbar, die jedoch hier noch durch
das Helldunkel des Fonds etwas bemäntelt wurde. Ein zweites Genrebild ans
dem tiroler Leben „Die Brüder" stellte die erste Begegnung eines von der Schule
in das Vaterhaus heimgekehrten Knaben mit einem während seiner Abwesenheit
geborenen Brüderchen in höchst drolliger Weise dar.

Während er mitten im glücklichsten Schaffen an einem großen Altarbilde
mit der heiligen Familie für die Pfarrkirche seiner Heimat arbeitete, überfiel
ihn plötzlich eine heftige Gliederkraukheit, die ihm das Gehen und Stehen un¬
möglich machte, so daß er liegend malen mußte. Alle ärztlichen Bemühungen
scheiterten an der Hartnäckigkeit des Leidens. Er siedelte schließlich nach Bozen
über, wo er von dem milderen Klima Genesung hoffte; aber sie wurde ihm erst
nach einem zweijährigen Schmerzenslager durch die Hand eines Dölsacher Banern-
dvetors, der mit Erfolg den Baunscheidtismus anwendete und ihn in acht Tagen
curirt haben soll.


Adolf Rosenberg.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/524>, abgerufen am 22.07.2024.