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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Wesen es ist, die entgegengesetzte Meimmg ebenso schroff und extrem zur Gek--
trug zu bringen. Seit Droysen ist es Mode geworden, die Aufrichtigkeit der
religiösen Gesinnungen des großen Schwedenkönigs zu bezweifeln. Man sagt,
die frommen Gebete und Aussprüche des Königs seien eine bloße Form gewesen,
mit der er sich bei der Masse das Ansehen eines Heerführers in Israel habe
geben wollen, während er doch ganz andere Pläne im Herzen getragen habe.

Schon lange vor Droysen hatte übrigens der später zum Katholicismus über¬
getretene Geschichtschreiber Gfrörer (in seiner 1857 erschienenen Biographie
Gnstcw Adolfs) von einer zweifache" Absicht des Schwedenkönigs gesprochen,
entweder Deutschland zu erobern, oder bloß die protestantische Kirche zu
retten; "er habe jedoch, obwohl das Erstere von Anfang an seine eigent¬
liche Absicht gewesen sei, die moralische Basis, auf der er als Verfechter der
Protestantischen Kirche stand, erst dann verlassen, als er hinreichende Eroberungen
gemacht und seine Anhänger mit solideren Dingen, als theologischen Redens¬
arten an sich fesseln konnte". Eine solche Gesinnung können wir indeß Gustav
Adolf nach allem, was wir von ihm wissen, nicht zutrauen. Von dieser
skeptischen, um nicht zu sagen frivolen Auffassung der edlen Persönlichkeit gilt
der kernige Ausspruch eines neueren protestantischen Kirchenhistorikers: "Wer
über den Glauben an die Macht religiöser Ueberzeugungen von vornherein die
Achsel zuckt, der wird überall Heuchelei sehen, wo Andere zwar keine fleckenlose
Heiligkeit, wohl aber trotz einzelner sittlicher Mängel aufrichtige Frömmigkeit
erblicken."

Gegenwärtig ist der Antithesis bereits die Synthesis gefolgt, indem eine Reihe
namhafter Historiker auf Grund neuen, actenmäßigen Materials die Haltlosigkeit
dieser rein politischen, jedes religiöse Moment leugnenden Auffassung im Einzelnen
und Ganzen nachgewiesen haben. In erster Linie ist hier zu nennen das bereits
oben kurz erwähnte Werk des Jenenser Historikers Karl Wittich: Magdeburg,
Gustav Adolph und Tilly (1879), durch welches Droysens Ansichten zumeist
widerlegt worden sind. Es darf jetzt als ausgemacht gelten, daß das treibende
Motiv, das Gustav Adolf nach Deutschland führte, seine Begeisterung für deu
reinen Glauben seiner evangelischen Kirche war, und daß er politische Tendenzen
nur insoweit verfolgte, als er mit dem klaren Blicke des Politikers erkannte,
daß nur durch deu Sturz der katholischen Macht in Deutschland der prote¬
stantischen Kirche zu ihrem Rechte verholfen werden konnte.

Wie schon der Titel von Wittichs Buch andeutet, concentrirt sich das
Hauptinteresse seiner Untersuchungen um die Magdeburger Katastrophe. In der
That war gerade sie der geeignetste Punkt, den Hebel einzusetzen, um einer neuen,
richtigeren Auffassung der Person Gustav Adolfs und der Ereignisse, in deren
Gang er selbständig eingegriffen hat, den Weg zu bahnen. Denn es giebt kein


Wesen es ist, die entgegengesetzte Meimmg ebenso schroff und extrem zur Gek--
trug zu bringen. Seit Droysen ist es Mode geworden, die Aufrichtigkeit der
religiösen Gesinnungen des großen Schwedenkönigs zu bezweifeln. Man sagt,
die frommen Gebete und Aussprüche des Königs seien eine bloße Form gewesen,
mit der er sich bei der Masse das Ansehen eines Heerführers in Israel habe
geben wollen, während er doch ganz andere Pläne im Herzen getragen habe.

Schon lange vor Droysen hatte übrigens der später zum Katholicismus über¬
getretene Geschichtschreiber Gfrörer (in seiner 1857 erschienenen Biographie
Gnstcw Adolfs) von einer zweifache» Absicht des Schwedenkönigs gesprochen,
entweder Deutschland zu erobern, oder bloß die protestantische Kirche zu
retten; „er habe jedoch, obwohl das Erstere von Anfang an seine eigent¬
liche Absicht gewesen sei, die moralische Basis, auf der er als Verfechter der
Protestantischen Kirche stand, erst dann verlassen, als er hinreichende Eroberungen
gemacht und seine Anhänger mit solideren Dingen, als theologischen Redens¬
arten an sich fesseln konnte". Eine solche Gesinnung können wir indeß Gustav
Adolf nach allem, was wir von ihm wissen, nicht zutrauen. Von dieser
skeptischen, um nicht zu sagen frivolen Auffassung der edlen Persönlichkeit gilt
der kernige Ausspruch eines neueren protestantischen Kirchenhistorikers: „Wer
über den Glauben an die Macht religiöser Ueberzeugungen von vornherein die
Achsel zuckt, der wird überall Heuchelei sehen, wo Andere zwar keine fleckenlose
Heiligkeit, wohl aber trotz einzelner sittlicher Mängel aufrichtige Frömmigkeit
erblicken."

Gegenwärtig ist der Antithesis bereits die Synthesis gefolgt, indem eine Reihe
namhafter Historiker auf Grund neuen, actenmäßigen Materials die Haltlosigkeit
dieser rein politischen, jedes religiöse Moment leugnenden Auffassung im Einzelnen
und Ganzen nachgewiesen haben. In erster Linie ist hier zu nennen das bereits
oben kurz erwähnte Werk des Jenenser Historikers Karl Wittich: Magdeburg,
Gustav Adolph und Tilly (1879), durch welches Droysens Ansichten zumeist
widerlegt worden sind. Es darf jetzt als ausgemacht gelten, daß das treibende
Motiv, das Gustav Adolf nach Deutschland führte, seine Begeisterung für deu
reinen Glauben seiner evangelischen Kirche war, und daß er politische Tendenzen
nur insoweit verfolgte, als er mit dem klaren Blicke des Politikers erkannte,
daß nur durch deu Sturz der katholischen Macht in Deutschland der prote¬
stantischen Kirche zu ihrem Rechte verholfen werden konnte.

Wie schon der Titel von Wittichs Buch andeutet, concentrirt sich das
Hauptinteresse seiner Untersuchungen um die Magdeburger Katastrophe. In der
That war gerade sie der geeignetste Punkt, den Hebel einzusetzen, um einer neuen,
richtigeren Auffassung der Person Gustav Adolfs und der Ereignisse, in deren
Gang er selbständig eingegriffen hat, den Weg zu bahnen. Denn es giebt kein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/511>, abgerufen am 23.07.2024.