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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Aber bei dieser vorwiegenden Betonung des religiösen Moments, dein
Gustav Adolf dient, und das ja auch in seiner Gottesfurcht einen Ausdruck
findet, hatte man ganz und gar vergessen, der politischen Seite seiner großen
und kühnen Unternehmung zu gedenken. Man hatte verlernt, in Gustav Adolf
neben dem frommen, christlichen Fürsten, welcher der Glaubensnoth seiner
Glaubensgenossen zu helfen in reiner, uneigennütziger Absicht nach Deutschland
zog, den weitsichtigen Politiker zu sehen, der auch den Vortheil seines Hauses
und die Vergrößerung seines Reiches nicht aus dem Auge ließ.

Im Geiste jener einseitigen Auffassung Gustav Adolfs hat im wesentlichen
auch Schiller noch die Geschichte seines Kriegszugs nach Deutschland dargestellt.
Erst im Verlaufe seines Siegeslaufs durch Deutschland läßt Schiller im Herzen
seines Helden die kühnen Gedanken aufsteigen, deren Verwirklichung ihn nicht
bloß zum deutschen Reichsfürsten mit prädominirender Gewalt, sondern sogar
zum deutschen Kaiser gemacht haben würde, und so verändert sich auch
das Urtheil Schillers im Laufe seiner geschichtlichen Darstellung, so daß er
den Tod des Glaubenshelden mit den Worten begleitet: "Es ist nicht mehr
der Wohlthäter Deutschlands, der bei Lützen sank; die wohlthätige Hälfte seiner
Lanfbcihn hatte Gustav Adolph geendigt, und der größte Dienst, den er der
Freiheit des deutschen Reichs noch erzeigen kann, ist -- zu sterben." So zer¬
legt Schiller die religiöse und die politische Seite seines Wesens in zwei chro¬
nologisch von einander geschiedene Theile seiner Laufbahn: aus seiner nordischen
Heimat nur durch die reinsten und edelsten Motive, seinen Glaubenseifer
und seine Hilfsbereitschaft, nach Deutschland geführt, wird er erst allmählich,
unter dem Eindrucke seiner großen Erfolge, auf die Bahn des politischen
Streiters gezogen und verliert so mit der Uneigennützigkeit seiner Absichten auch
die segensreiche Bedeutung sür die Sache des deutschen Protestantismus und
der deutschen Freiheit.

Aber dabei blieb man nicht stehen. Wenn Hegel in der Entwicklung unseres
gestimmten Geisteslebens wie unserer einzelnen Anschauungen den Weg der
Thesis, Antithesis und Synthesis in immer wiederkehrenden Wechsellauf dar¬
gestellt findet, so könnte er heutzutage kein treffenderes Beispiel finden für den
Wechsel historischer Auffassung als die verschiedenartige Beurtheilung, welche die
Persönlichkeit Gustav Adolfs besonders in den letzten zehn Jahren erfahren hat.
Der Thesis, d. i. der oben geschilderten Auffassung Gustav Adolfs als Glaubens¬
mann und Glaubenshort, stellte vor nunmehr zehn Jahren der jüngere Droysen
die volle Antithese entgegen, indem er in seiner Biographie Gustav Adolfs (1869
und 1870) die einseitig kirchliche Auffassung bekämpfte und den politischen
Charakter von Gustav Adolfs Unternehmen in den Vordergrund stellte. Aber
er hatte der reinen Thesis eben nur die reine Antithese entgegengestellt, deren


Aber bei dieser vorwiegenden Betonung des religiösen Moments, dein
Gustav Adolf dient, und das ja auch in seiner Gottesfurcht einen Ausdruck
findet, hatte man ganz und gar vergessen, der politischen Seite seiner großen
und kühnen Unternehmung zu gedenken. Man hatte verlernt, in Gustav Adolf
neben dem frommen, christlichen Fürsten, welcher der Glaubensnoth seiner
Glaubensgenossen zu helfen in reiner, uneigennütziger Absicht nach Deutschland
zog, den weitsichtigen Politiker zu sehen, der auch den Vortheil seines Hauses
und die Vergrößerung seines Reiches nicht aus dem Auge ließ.

Im Geiste jener einseitigen Auffassung Gustav Adolfs hat im wesentlichen
auch Schiller noch die Geschichte seines Kriegszugs nach Deutschland dargestellt.
Erst im Verlaufe seines Siegeslaufs durch Deutschland läßt Schiller im Herzen
seines Helden die kühnen Gedanken aufsteigen, deren Verwirklichung ihn nicht
bloß zum deutschen Reichsfürsten mit prädominirender Gewalt, sondern sogar
zum deutschen Kaiser gemacht haben würde, und so verändert sich auch
das Urtheil Schillers im Laufe seiner geschichtlichen Darstellung, so daß er
den Tod des Glaubenshelden mit den Worten begleitet: „Es ist nicht mehr
der Wohlthäter Deutschlands, der bei Lützen sank; die wohlthätige Hälfte seiner
Lanfbcihn hatte Gustav Adolph geendigt, und der größte Dienst, den er der
Freiheit des deutschen Reichs noch erzeigen kann, ist — zu sterben." So zer¬
legt Schiller die religiöse und die politische Seite seines Wesens in zwei chro¬
nologisch von einander geschiedene Theile seiner Laufbahn: aus seiner nordischen
Heimat nur durch die reinsten und edelsten Motive, seinen Glaubenseifer
und seine Hilfsbereitschaft, nach Deutschland geführt, wird er erst allmählich,
unter dem Eindrucke seiner großen Erfolge, auf die Bahn des politischen
Streiters gezogen und verliert so mit der Uneigennützigkeit seiner Absichten auch
die segensreiche Bedeutung sür die Sache des deutschen Protestantismus und
der deutschen Freiheit.

Aber dabei blieb man nicht stehen. Wenn Hegel in der Entwicklung unseres
gestimmten Geisteslebens wie unserer einzelnen Anschauungen den Weg der
Thesis, Antithesis und Synthesis in immer wiederkehrenden Wechsellauf dar¬
gestellt findet, so könnte er heutzutage kein treffenderes Beispiel finden für den
Wechsel historischer Auffassung als die verschiedenartige Beurtheilung, welche die
Persönlichkeit Gustav Adolfs besonders in den letzten zehn Jahren erfahren hat.
Der Thesis, d. i. der oben geschilderten Auffassung Gustav Adolfs als Glaubens¬
mann und Glaubenshort, stellte vor nunmehr zehn Jahren der jüngere Droysen
die volle Antithese entgegen, indem er in seiner Biographie Gustav Adolfs (1869
und 1870) die einseitig kirchliche Auffassung bekämpfte und den politischen
Charakter von Gustav Adolfs Unternehmen in den Vordergrund stellte. Aber
er hatte der reinen Thesis eben nur die reine Antithese entgegengestellt, deren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/510>, abgerufen am 23.07.2024.