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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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leitenden Persönlichkeiten wesentlich modificirt habe. Schiller war kein leicht¬
fertiger Publicist, der mit den Ereignissen etwa so umging, wie irgend jemand
es dem Plutarch nachsagt, daß er nämlich ohne Bedenken Cäsar von den
Galliern hätte besiegen lassen, wenn es ihm zur Abrundung irgend einer Periode
Passend erschienen wäre; er war auch kein tendenziöser Geschichtschreiber wie
Ouro Klopp, der von seinem -- durch hannoverischen Partimlarismus erzeugte"
und genährten -- Preußenhasse aus nicht bloß Preußens Geschichte verunglimpft
hat, sondern auch dem deutschen Protestantismus, als der idealen Macht und
dem geistigen Hintergründe der Bedeutung Preußens, die Schuld an allem
Unglück in der deutschen Geschichte beimißt, ihn also auch für alle Gräuel des
30jährigen Krieges verantwortlich macht und das Verhältniß zwischen Gustav
Adolf und Tilly geradezu auf den Kopf stellt. Obgleich aber Schiller, wie
gesagt, weder ein tendenziöser Geschichtschreiber noch ein leichtfertiger scribere
war, so hat er doch auf Jahrzehnte hin die geschichtliche Wahrheit getrübt und
eine freie objective Auffassung der Geschichte des 30jährigen Kriegs erschwert.
Und sein Einfluß in dieser Hinsicht mußte um fo verhängnisvoller sein, als es
ja der gefeierte Dichter Deutschlands war, welcher ein Stück deutscher Geschichte
in edler und schöner Form und in gemeinverständlicher und fesselnder Dar¬
stellung dem großen gebildeten Publikum vorgeführt hatte.

Es war daher nicht bloß kleinliche Pedanterie, als die Geschichtsforschung
gegen die Schillersche Geschichtschreibung Protest erhob und der historischen
Wahrheit gegenüber der unbewußten Dichtung wieder zu ihrem Rechte zu ver¬
helfen trachtete. Wenn aber heutzutage, nachdem eine ganze Literatur nicht bloß
über den 30 jährigen Krieg im allgemeinen, sondern speciell auch über Schiller
als deu Geschichtschreiber dieses Krieges vor uns liegt, nachdem sich die ver¬
schiedensten Auffassungen des ganzen Verlaufs und des Antheils einzelner leiten¬
der Persönlichkeiten um die Herrschaft gestritten und in der Herrschaft gegen¬
seitig abgelöst haben, wenn heutzutage das Urtheil sich auch wesentlich geändert
hat, so ist doch Schiller keineswegs für alle diese Abweichungen in der Auffas¬
sung verantwortlich zu machen. Ein großer Theil der Dichtung, die in dem
Geschichtswerke des Dichters mit der historischen Wahrheit vermischt erscheint,
geht bereits auf eine ältere Dichtung zurück: auf die unbewußte Dichtung der
öffentlichen Meinung, auf das Wuchern des Volksmythus, der um alle Gestalten
der Vorzeit in vielfachen Verschlingungen seine bunten Ranken zieht. Auch
ohne die Einwirkung subjectiver Darstellung verfallen geschichtliche Ereignisse
dem stillen Wirken der Dichtung, indem sich der dichtende Volksgeist einen Weg
bahnt zu dem Verständnisse großer historischer Begebenheiten, deren auf einen
vielgestaltigen und geheimnißvollen Pragmatismus zurückgehende Veranlassungen
sich dem Auge des einfachen Mannes vollständig entziehen. Zugleich verschmilzt


leitenden Persönlichkeiten wesentlich modificirt habe. Schiller war kein leicht¬
fertiger Publicist, der mit den Ereignissen etwa so umging, wie irgend jemand
es dem Plutarch nachsagt, daß er nämlich ohne Bedenken Cäsar von den
Galliern hätte besiegen lassen, wenn es ihm zur Abrundung irgend einer Periode
Passend erschienen wäre; er war auch kein tendenziöser Geschichtschreiber wie
Ouro Klopp, der von seinem — durch hannoverischen Partimlarismus erzeugte«
und genährten — Preußenhasse aus nicht bloß Preußens Geschichte verunglimpft
hat, sondern auch dem deutschen Protestantismus, als der idealen Macht und
dem geistigen Hintergründe der Bedeutung Preußens, die Schuld an allem
Unglück in der deutschen Geschichte beimißt, ihn also auch für alle Gräuel des
30jährigen Krieges verantwortlich macht und das Verhältniß zwischen Gustav
Adolf und Tilly geradezu auf den Kopf stellt. Obgleich aber Schiller, wie
gesagt, weder ein tendenziöser Geschichtschreiber noch ein leichtfertiger scribere
war, so hat er doch auf Jahrzehnte hin die geschichtliche Wahrheit getrübt und
eine freie objective Auffassung der Geschichte des 30jährigen Kriegs erschwert.
Und sein Einfluß in dieser Hinsicht mußte um fo verhängnisvoller sein, als es
ja der gefeierte Dichter Deutschlands war, welcher ein Stück deutscher Geschichte
in edler und schöner Form und in gemeinverständlicher und fesselnder Dar¬
stellung dem großen gebildeten Publikum vorgeführt hatte.

Es war daher nicht bloß kleinliche Pedanterie, als die Geschichtsforschung
gegen die Schillersche Geschichtschreibung Protest erhob und der historischen
Wahrheit gegenüber der unbewußten Dichtung wieder zu ihrem Rechte zu ver¬
helfen trachtete. Wenn aber heutzutage, nachdem eine ganze Literatur nicht bloß
über den 30 jährigen Krieg im allgemeinen, sondern speciell auch über Schiller
als deu Geschichtschreiber dieses Krieges vor uns liegt, nachdem sich die ver¬
schiedensten Auffassungen des ganzen Verlaufs und des Antheils einzelner leiten¬
der Persönlichkeiten um die Herrschaft gestritten und in der Herrschaft gegen¬
seitig abgelöst haben, wenn heutzutage das Urtheil sich auch wesentlich geändert
hat, so ist doch Schiller keineswegs für alle diese Abweichungen in der Auffas¬
sung verantwortlich zu machen. Ein großer Theil der Dichtung, die in dem
Geschichtswerke des Dichters mit der historischen Wahrheit vermischt erscheint,
geht bereits auf eine ältere Dichtung zurück: auf die unbewußte Dichtung der
öffentlichen Meinung, auf das Wuchern des Volksmythus, der um alle Gestalten
der Vorzeit in vielfachen Verschlingungen seine bunten Ranken zieht. Auch
ohne die Einwirkung subjectiver Darstellung verfallen geschichtliche Ereignisse
dem stillen Wirken der Dichtung, indem sich der dichtende Volksgeist einen Weg
bahnt zu dem Verständnisse großer historischer Begebenheiten, deren auf einen
vielgestaltigen und geheimnißvollen Pragmatismus zurückgehende Veranlassungen
sich dem Auge des einfachen Mannes vollständig entziehen. Zugleich verschmilzt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/507>, abgerufen am 23.07.2024.