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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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eines Kafferntagelöhuers sind viele Stufen möglich. Der junge Freistaat würde
jedenfalls wohlgethan haben, eine genaue Bestimmung über die den leibeignen
Kaffern zu gewährenden Rechte in den Vertrag von 1852 und in das Grund¬
gesetz des Freistaats aufzunehmen.

Der Sohn des 1853 gestorbenen Gründers der Republik, der jüngere
Pretorius, wurde 1859 Präsident, versuchte vergeblich eine Vereinigung seines
Staates mit dem Orangefluß-Freistaat anzubahnen und dankte 1872 ab aus
Aerger über den Volksrath, der seinen Vorschlägen kein Gehör gab. Die Ein¬
falt der Boers, die da meinten, klüger sein zu müssen als ihre Regierung,
brachte einen Schwätzer und Phantasten, der als reformirter Prediger in Kap¬
stadt sich mit den Behörden entzweit hatte und nach Transvaal übergesiedelt
war, auf den Präsidentcnstuhl. Dieser, Burgers mit seinem englischen Namen,
jetzt mit englischer Pension in Kapstadt wohnend, beging so viele Mißgriffe, be¬
sonders in dem grausam geführten Kriege gegen den Kaffernhäuptling Sekokuni,
und träumte so laut und prahlerisch von seiner Bestimmung, der Washington von
ganz Südafrika zu sein, daß die Brüten hellhörig wurden und die Ungeschickt-
heiten der Transvaal-Regierung, durch welche eine große Gefahr auch für die
englische Colonie Natal heraufbeschworen wurde, zum Vorwande nahmen, um
durch den Minister für die Angelegenheiten der Eingebornen in Natal, Sir
Theophilus Shepstone, die Transvaal-Republik den brittischen Besitzungen zu
annectiren (12. April 1877). Shepstone kam mit 22 berittenen Polizeileuten
von Pietermaritzbnrg nach Pretoria und erklärte nach sechswöchentlichen Ver¬
weilen dort die Annexion für vollzogen. Der Auftrag, der ihm vom Aus¬
wärtigen Amte in London gegeben war, war so unbestimmt gefaßt, daß er den
Umständen nach correct gehandelt zu haben scheinen kann. Es wurde einfach
dabei angenommen, daß die Boers, die mit ihrem Präsidenten-Schwätzer Puppen¬
spiel trieben, mit der Annexion an das brittische Kaiserreich und mit einer
strengen Regulirung ihrer politischen Verhältnisse einverstanden sein müßten. Was
die als Schmarotzer der Boers in den städtischen Ortschaften von Transvaal wohn¬
haften Engländer, Abenteurer, Krümer, Bankers u. a. in., dem brittischen Com-
missär vorgetragen und zugetragen hatten, wurde als die Stimme der Bevöl¬
kerung augesehen. Das brittische Ministerium, das doch an diesem unverant-
wortlichen Gewaltschritt schuld war, stellte sich überrascht und erschreckt, fand
es aber doch für gut, die Besitzergreifung des Transvaal durch das brittische
Parlament genehmigen zu lassen. Europa war mit dem russisch-türkischen Kriege
beschäftigt, und was ging uns Transvaal an? Was kommt überhaupt auf die
Rechte so bescheidener Existenzen wie Transvaal, Afghanistan und Rumänien
an? Das Verlangen Englands, daß der Khan von Kabul eiuen englischen
Mitregenten annähme, der Beschluß des Berliner Kongresses, daß Rumänien sich


Grenzboten I. 1L8V. 62

eines Kafferntagelöhuers sind viele Stufen möglich. Der junge Freistaat würde
jedenfalls wohlgethan haben, eine genaue Bestimmung über die den leibeignen
Kaffern zu gewährenden Rechte in den Vertrag von 1852 und in das Grund¬
gesetz des Freistaats aufzunehmen.

Der Sohn des 1853 gestorbenen Gründers der Republik, der jüngere
Pretorius, wurde 1859 Präsident, versuchte vergeblich eine Vereinigung seines
Staates mit dem Orangefluß-Freistaat anzubahnen und dankte 1872 ab aus
Aerger über den Volksrath, der seinen Vorschlägen kein Gehör gab. Die Ein¬
falt der Boers, die da meinten, klüger sein zu müssen als ihre Regierung,
brachte einen Schwätzer und Phantasten, der als reformirter Prediger in Kap¬
stadt sich mit den Behörden entzweit hatte und nach Transvaal übergesiedelt
war, auf den Präsidentcnstuhl. Dieser, Burgers mit seinem englischen Namen,
jetzt mit englischer Pension in Kapstadt wohnend, beging so viele Mißgriffe, be¬
sonders in dem grausam geführten Kriege gegen den Kaffernhäuptling Sekokuni,
und träumte so laut und prahlerisch von seiner Bestimmung, der Washington von
ganz Südafrika zu sein, daß die Brüten hellhörig wurden und die Ungeschickt-
heiten der Transvaal-Regierung, durch welche eine große Gefahr auch für die
englische Colonie Natal heraufbeschworen wurde, zum Vorwande nahmen, um
durch den Minister für die Angelegenheiten der Eingebornen in Natal, Sir
Theophilus Shepstone, die Transvaal-Republik den brittischen Besitzungen zu
annectiren (12. April 1877). Shepstone kam mit 22 berittenen Polizeileuten
von Pietermaritzbnrg nach Pretoria und erklärte nach sechswöchentlichen Ver¬
weilen dort die Annexion für vollzogen. Der Auftrag, der ihm vom Aus¬
wärtigen Amte in London gegeben war, war so unbestimmt gefaßt, daß er den
Umständen nach correct gehandelt zu haben scheinen kann. Es wurde einfach
dabei angenommen, daß die Boers, die mit ihrem Präsidenten-Schwätzer Puppen¬
spiel trieben, mit der Annexion an das brittische Kaiserreich und mit einer
strengen Regulirung ihrer politischen Verhältnisse einverstanden sein müßten. Was
die als Schmarotzer der Boers in den städtischen Ortschaften von Transvaal wohn¬
haften Engländer, Abenteurer, Krümer, Bankers u. a. in., dem brittischen Com-
missär vorgetragen und zugetragen hatten, wurde als die Stimme der Bevöl¬
kerung augesehen. Das brittische Ministerium, das doch an diesem unverant-
wortlichen Gewaltschritt schuld war, stellte sich überrascht und erschreckt, fand
es aber doch für gut, die Besitzergreifung des Transvaal durch das brittische
Parlament genehmigen zu lassen. Europa war mit dem russisch-türkischen Kriege
beschäftigt, und was ging uns Transvaal an? Was kommt überhaupt auf die
Rechte so bescheidener Existenzen wie Transvaal, Afghanistan und Rumänien
an? Das Verlangen Englands, daß der Khan von Kabul eiuen englischen
Mitregenten annähme, der Beschluß des Berliner Kongresses, daß Rumänien sich


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[0497] eines Kafferntagelöhuers sind viele Stufen möglich. Der junge Freistaat würde jedenfalls wohlgethan haben, eine genaue Bestimmung über die den leibeignen Kaffern zu gewährenden Rechte in den Vertrag von 1852 und in das Grund¬ gesetz des Freistaats aufzunehmen. Der Sohn des 1853 gestorbenen Gründers der Republik, der jüngere Pretorius, wurde 1859 Präsident, versuchte vergeblich eine Vereinigung seines Staates mit dem Orangefluß-Freistaat anzubahnen und dankte 1872 ab aus Aerger über den Volksrath, der seinen Vorschlägen kein Gehör gab. Die Ein¬ falt der Boers, die da meinten, klüger sein zu müssen als ihre Regierung, brachte einen Schwätzer und Phantasten, der als reformirter Prediger in Kap¬ stadt sich mit den Behörden entzweit hatte und nach Transvaal übergesiedelt war, auf den Präsidentcnstuhl. Dieser, Burgers mit seinem englischen Namen, jetzt mit englischer Pension in Kapstadt wohnend, beging so viele Mißgriffe, be¬ sonders in dem grausam geführten Kriege gegen den Kaffernhäuptling Sekokuni, und träumte so laut und prahlerisch von seiner Bestimmung, der Washington von ganz Südafrika zu sein, daß die Brüten hellhörig wurden und die Ungeschickt- heiten der Transvaal-Regierung, durch welche eine große Gefahr auch für die englische Colonie Natal heraufbeschworen wurde, zum Vorwande nahmen, um durch den Minister für die Angelegenheiten der Eingebornen in Natal, Sir Theophilus Shepstone, die Transvaal-Republik den brittischen Besitzungen zu annectiren (12. April 1877). Shepstone kam mit 22 berittenen Polizeileuten von Pietermaritzbnrg nach Pretoria und erklärte nach sechswöchentlichen Ver¬ weilen dort die Annexion für vollzogen. Der Auftrag, der ihm vom Aus¬ wärtigen Amte in London gegeben war, war so unbestimmt gefaßt, daß er den Umständen nach correct gehandelt zu haben scheinen kann. Es wurde einfach dabei angenommen, daß die Boers, die mit ihrem Präsidenten-Schwätzer Puppen¬ spiel trieben, mit der Annexion an das brittische Kaiserreich und mit einer strengen Regulirung ihrer politischen Verhältnisse einverstanden sein müßten. Was die als Schmarotzer der Boers in den städtischen Ortschaften von Transvaal wohn¬ haften Engländer, Abenteurer, Krümer, Bankers u. a. in., dem brittischen Com- missär vorgetragen und zugetragen hatten, wurde als die Stimme der Bevöl¬ kerung augesehen. Das brittische Ministerium, das doch an diesem unverant- wortlichen Gewaltschritt schuld war, stellte sich überrascht und erschreckt, fand es aber doch für gut, die Besitzergreifung des Transvaal durch das brittische Parlament genehmigen zu lassen. Europa war mit dem russisch-türkischen Kriege beschäftigt, und was ging uns Transvaal an? Was kommt überhaupt auf die Rechte so bescheidener Existenzen wie Transvaal, Afghanistan und Rumänien an? Das Verlangen Englands, daß der Khan von Kabul eiuen englischen Mitregenten annähme, der Beschluß des Berliner Kongresses, daß Rumänien sich Grenzboten I. 1L8V. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/497>, abgerufen am 23.07.2024.