Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

jetzt wenigstens noch keine Einschlüsse von organischen Wesen, sei es Pflanze
oder Thier, vorgefunden haben. Er repmsentirt demnach ein Gebiet 'der Natur,
in das strenggenommen der Mensch, der Spätling, das Geschöpf der quartären
Weltepoche, nicht Hineingehort. Mit Verwunderung wird daher der Berggeist
die Versuche der an ihm arbeitenden Geschöpfe wahrgenommen und anfangs
ihrer ohnmächtigen Arbeit gespottet haben, bis er in seinen alten Tagen noch
die bittre Erfahrung machen mußte, daß dem Menschen >uhn arcwmn sei.

Das Gebirge ist unwegsam, voll Geröll, unwirthlich und rauh, beständig
bestrichen von schneidenden Winden, die von allen Seiten durch die vier Haupt¬
thäler Zugang haben und außerdem vielfach unmittelbar von den nahen Gebieten
des ewigen Schnees und Eises herüberkommen. Der Gotthardstock selbst enthält
zwar Firnschneefelder und Gletscher nur in mäßiger Ausdehnung und an ver¬
schiedenen Theilen verstreut, eben weil die Gebiete über 2500 Meter nur einen
kleinen Raum einnehmen, aber ringsum, besonders in Nordwest und Südwest,
umstehen ihn in den Berner und Walliser Alpen eiskalte Nachbarn.

Wenn man nun liest, daß der Gotthard nicht sowohl ein Berg, als viel¬
mehr ein Plateau sei, so darf mau sich dieses nicht wie eine mathematische
Ebene oder auch nur nach dem Vorbilde der norddeutschen Ebene vorstellen,
sondern man muß sich vergegenwärtigen, daß sich mehr als zwanzig Spitzen auf
diesem 9 Quadratmeilen großen Raume befinden, welche die Paßhöhe zum Theil
um 1000 Meter überragen, und daß sowohl Göschenen als Airolo (deutsch:
Eriels) etwa 1000 Meter uuter der Paßhöhe liegen, uur mit dem Unterschiede,
daß der Anstieg von Norden langsamer erfolgt als der Abstieg nach Süden zu.
Mitten in dem Gewirr von Felsen und Steinen verschiedener Größe und Form
erblickt der rüstige Wanderer eine Anzahl Hochseen, welche in der Regel die
tiefsten Stellen zwischen den Einzelerhebnugen ausfüllen und mitunter in gegen¬
seitiger Verbindung stehen. Manche liegen zwar auch isolirt, sind jedoch auch
dann meist in einer bestimmten Richtung angeordnet. Hebt sich das Niveau
durch reichlichere Abthauung der Gletscher oder stärkere Niederschlüge, so werdeu
sie miteinander in Verbindung treten und entweder einen größeren See bilden,
oder, wenn die Terrainverhältnisse es erlauben, sich mit dem Rinnsal eines schon
vorhandenen Baches verewigen. Es ist daher die Möglichkeit nicht ausge¬
schlossen, daß im Laufe der Zeit ewige Veränderungen w den Wasserverhältnissen
des Gotthard vor sich gehen werden. Andrerseits, wenn der Boden solcher Seen
durch hineinstürzende Felsen, hineingetragene Stein- und Geröllmassen gehoben
wird, kann es wohl geschehen, daß unter der Mitwirkung des spukenden und
die Verwitterung beschleunigenden Wassers neue Alluvionen nach dem Muster
derjenigen im Unteralpthale sich bilden. Die Anzahl dieser Hochseen, unter


jetzt wenigstens noch keine Einschlüsse von organischen Wesen, sei es Pflanze
oder Thier, vorgefunden haben. Er repmsentirt demnach ein Gebiet 'der Natur,
in das strenggenommen der Mensch, der Spätling, das Geschöpf der quartären
Weltepoche, nicht Hineingehort. Mit Verwunderung wird daher der Berggeist
die Versuche der an ihm arbeitenden Geschöpfe wahrgenommen und anfangs
ihrer ohnmächtigen Arbeit gespottet haben, bis er in seinen alten Tagen noch
die bittre Erfahrung machen mußte, daß dem Menschen >uhn arcwmn sei.

Das Gebirge ist unwegsam, voll Geröll, unwirthlich und rauh, beständig
bestrichen von schneidenden Winden, die von allen Seiten durch die vier Haupt¬
thäler Zugang haben und außerdem vielfach unmittelbar von den nahen Gebieten
des ewigen Schnees und Eises herüberkommen. Der Gotthardstock selbst enthält
zwar Firnschneefelder und Gletscher nur in mäßiger Ausdehnung und an ver¬
schiedenen Theilen verstreut, eben weil die Gebiete über 2500 Meter nur einen
kleinen Raum einnehmen, aber ringsum, besonders in Nordwest und Südwest,
umstehen ihn in den Berner und Walliser Alpen eiskalte Nachbarn.

Wenn man nun liest, daß der Gotthard nicht sowohl ein Berg, als viel¬
mehr ein Plateau sei, so darf mau sich dieses nicht wie eine mathematische
Ebene oder auch nur nach dem Vorbilde der norddeutschen Ebene vorstellen,
sondern man muß sich vergegenwärtigen, daß sich mehr als zwanzig Spitzen auf
diesem 9 Quadratmeilen großen Raume befinden, welche die Paßhöhe zum Theil
um 1000 Meter überragen, und daß sowohl Göschenen als Airolo (deutsch:
Eriels) etwa 1000 Meter uuter der Paßhöhe liegen, uur mit dem Unterschiede,
daß der Anstieg von Norden langsamer erfolgt als der Abstieg nach Süden zu.
Mitten in dem Gewirr von Felsen und Steinen verschiedener Größe und Form
erblickt der rüstige Wanderer eine Anzahl Hochseen, welche in der Regel die
tiefsten Stellen zwischen den Einzelerhebnugen ausfüllen und mitunter in gegen¬
seitiger Verbindung stehen. Manche liegen zwar auch isolirt, sind jedoch auch
dann meist in einer bestimmten Richtung angeordnet. Hebt sich das Niveau
durch reichlichere Abthauung der Gletscher oder stärkere Niederschlüge, so werdeu
sie miteinander in Verbindung treten und entweder einen größeren See bilden,
oder, wenn die Terrainverhältnisse es erlauben, sich mit dem Rinnsal eines schon
vorhandenen Baches verewigen. Es ist daher die Möglichkeit nicht ausge¬
schlossen, daß im Laufe der Zeit ewige Veränderungen w den Wasserverhältnissen
des Gotthard vor sich gehen werden. Andrerseits, wenn der Boden solcher Seen
durch hineinstürzende Felsen, hineingetragene Stein- und Geröllmassen gehoben
wird, kann es wohl geschehen, daß unter der Mitwirkung des spukenden und
die Verwitterung beschleunigenden Wassers neue Alluvionen nach dem Muster
derjenigen im Unteralpthale sich bilden. Die Anzahl dieser Hochseen, unter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0483" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146412"/>
          <p xml:id="ID_1411" prev="#ID_1410"> jetzt wenigstens noch keine Einschlüsse von organischen Wesen, sei es Pflanze<lb/>
oder Thier, vorgefunden haben. Er repmsentirt demnach ein Gebiet 'der Natur,<lb/>
in das strenggenommen der Mensch, der Spätling, das Geschöpf der quartären<lb/>
Weltepoche, nicht Hineingehort. Mit Verwunderung wird daher der Berggeist<lb/>
die Versuche der an ihm arbeitenden Geschöpfe wahrgenommen und anfangs<lb/>
ihrer ohnmächtigen Arbeit gespottet haben, bis er in seinen alten Tagen noch<lb/>
die bittre Erfahrung machen mußte, daß dem Menschen &gt;uhn arcwmn sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1412"> Das Gebirge ist unwegsam, voll Geröll, unwirthlich und rauh, beständig<lb/>
bestrichen von schneidenden Winden, die von allen Seiten durch die vier Haupt¬<lb/>
thäler Zugang haben und außerdem vielfach unmittelbar von den nahen Gebieten<lb/>
des ewigen Schnees und Eises herüberkommen. Der Gotthardstock selbst enthält<lb/>
zwar Firnschneefelder und Gletscher nur in mäßiger Ausdehnung und an ver¬<lb/>
schiedenen Theilen verstreut, eben weil die Gebiete über 2500 Meter nur einen<lb/>
kleinen Raum einnehmen, aber ringsum, besonders in Nordwest und Südwest,<lb/>
umstehen ihn in den Berner und Walliser Alpen eiskalte Nachbarn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1413" next="#ID_1414"> Wenn man nun liest, daß der Gotthard nicht sowohl ein Berg, als viel¬<lb/>
mehr ein Plateau sei, so darf mau sich dieses nicht wie eine mathematische<lb/>
Ebene oder auch nur nach dem Vorbilde der norddeutschen Ebene vorstellen,<lb/>
sondern man muß sich vergegenwärtigen, daß sich mehr als zwanzig Spitzen auf<lb/>
diesem 9 Quadratmeilen großen Raume befinden, welche die Paßhöhe zum Theil<lb/>
um 1000 Meter überragen, und daß sowohl Göschenen als Airolo (deutsch:<lb/>
Eriels) etwa 1000 Meter uuter der Paßhöhe liegen, uur mit dem Unterschiede,<lb/>
daß der Anstieg von Norden langsamer erfolgt als der Abstieg nach Süden zu.<lb/>
Mitten in dem Gewirr von Felsen und Steinen verschiedener Größe und Form<lb/>
erblickt der rüstige Wanderer eine Anzahl Hochseen, welche in der Regel die<lb/>
tiefsten Stellen zwischen den Einzelerhebnugen ausfüllen und mitunter in gegen¬<lb/>
seitiger Verbindung stehen. Manche liegen zwar auch isolirt, sind jedoch auch<lb/>
dann meist in einer bestimmten Richtung angeordnet. Hebt sich das Niveau<lb/>
durch reichlichere Abthauung der Gletscher oder stärkere Niederschlüge, so werdeu<lb/>
sie miteinander in Verbindung treten und entweder einen größeren See bilden,<lb/>
oder, wenn die Terrainverhältnisse es erlauben, sich mit dem Rinnsal eines schon<lb/>
vorhandenen Baches verewigen. Es ist daher die Möglichkeit nicht ausge¬<lb/>
schlossen, daß im Laufe der Zeit ewige Veränderungen w den Wasserverhältnissen<lb/>
des Gotthard vor sich gehen werden. Andrerseits, wenn der Boden solcher Seen<lb/>
durch hineinstürzende Felsen, hineingetragene Stein- und Geröllmassen gehoben<lb/>
wird, kann es wohl geschehen, daß unter der Mitwirkung des spukenden und<lb/>
die Verwitterung beschleunigenden Wassers neue Alluvionen nach dem Muster<lb/>
derjenigen im Unteralpthale sich bilden. Die Anzahl dieser Hochseen, unter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0483] jetzt wenigstens noch keine Einschlüsse von organischen Wesen, sei es Pflanze oder Thier, vorgefunden haben. Er repmsentirt demnach ein Gebiet 'der Natur, in das strenggenommen der Mensch, der Spätling, das Geschöpf der quartären Weltepoche, nicht Hineingehort. Mit Verwunderung wird daher der Berggeist die Versuche der an ihm arbeitenden Geschöpfe wahrgenommen und anfangs ihrer ohnmächtigen Arbeit gespottet haben, bis er in seinen alten Tagen noch die bittre Erfahrung machen mußte, daß dem Menschen >uhn arcwmn sei. Das Gebirge ist unwegsam, voll Geröll, unwirthlich und rauh, beständig bestrichen von schneidenden Winden, die von allen Seiten durch die vier Haupt¬ thäler Zugang haben und außerdem vielfach unmittelbar von den nahen Gebieten des ewigen Schnees und Eises herüberkommen. Der Gotthardstock selbst enthält zwar Firnschneefelder und Gletscher nur in mäßiger Ausdehnung und an ver¬ schiedenen Theilen verstreut, eben weil die Gebiete über 2500 Meter nur einen kleinen Raum einnehmen, aber ringsum, besonders in Nordwest und Südwest, umstehen ihn in den Berner und Walliser Alpen eiskalte Nachbarn. Wenn man nun liest, daß der Gotthard nicht sowohl ein Berg, als viel¬ mehr ein Plateau sei, so darf mau sich dieses nicht wie eine mathematische Ebene oder auch nur nach dem Vorbilde der norddeutschen Ebene vorstellen, sondern man muß sich vergegenwärtigen, daß sich mehr als zwanzig Spitzen auf diesem 9 Quadratmeilen großen Raume befinden, welche die Paßhöhe zum Theil um 1000 Meter überragen, und daß sowohl Göschenen als Airolo (deutsch: Eriels) etwa 1000 Meter uuter der Paßhöhe liegen, uur mit dem Unterschiede, daß der Anstieg von Norden langsamer erfolgt als der Abstieg nach Süden zu. Mitten in dem Gewirr von Felsen und Steinen verschiedener Größe und Form erblickt der rüstige Wanderer eine Anzahl Hochseen, welche in der Regel die tiefsten Stellen zwischen den Einzelerhebnugen ausfüllen und mitunter in gegen¬ seitiger Verbindung stehen. Manche liegen zwar auch isolirt, sind jedoch auch dann meist in einer bestimmten Richtung angeordnet. Hebt sich das Niveau durch reichlichere Abthauung der Gletscher oder stärkere Niederschlüge, so werdeu sie miteinander in Verbindung treten und entweder einen größeren See bilden, oder, wenn die Terrainverhältnisse es erlauben, sich mit dem Rinnsal eines schon vorhandenen Baches verewigen. Es ist daher die Möglichkeit nicht ausge¬ schlossen, daß im Laufe der Zeit ewige Veränderungen w den Wasserverhältnissen des Gotthard vor sich gehen werden. Andrerseits, wenn der Boden solcher Seen durch hineinstürzende Felsen, hineingetragene Stein- und Geröllmassen gehoben wird, kann es wohl geschehen, daß unter der Mitwirkung des spukenden und die Verwitterung beschleunigenden Wassers neue Alluvionen nach dem Muster derjenigen im Unteralpthale sich bilden. Die Anzahl dieser Hochseen, unter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/483
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/483>, abgerufen am 23.07.2024.