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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Gebiet von Herat oder Afghanistan oder in das zwischen Turkestan und Indien
gelegene Chanat Badagschan einzudringen, der englischen Regierung mit allen
verfügbaren Streitkräften beizustehen. Das gleiche müsse Persien thun, wenn
in Afghanistan ein gegen die englischen Interessen gerichteter Aufstand ausbrechen
sollte. Dafür garantire England dem Schah seinen jetzigen Länderbesitz und
Herat, und jede Überschreitung der persischen Grenze durch russische Truppen
solle ein easus delli auch für die brittische Regierung sein. Nach anderer An¬
gabe würde England sich auch verpflichten, eine Eisenbahn vom persischen Meer¬
busen nach Teheran zu bauen. Wie sich das alles aber auch im Einzelnen
verhalten möge, zwei Dinge scheinen sicher zu sein: England ist im Princip
geneigt, den Persern die Besitznahme des Chanats Herat zu gestatten, und Ru߬
land wird, sobald es dies mit Bestimmtheit erfährt, den Engländern erklären,
daß es sich nicht mehr als an die von Jomini dem Lord Dufserin rücksichtlich
seiner mittelasiatischen Politik ertheilten Zusicherungen gebunden erachte und
hinsichtlich Merws nur noch seine eigenen Interessen berücksichtigen werde.

Letzteres wäre eine Erklärung, die nur offen sagte, was man ohnehin thun
wird. Unter dem Eindruck der Niederlage schir Alis unternahm Rußland
vorigen Sommer die Expedition gegen die Achaltekke-Turkmenen, die mit einer
schweren Niederlage und einem eiligen Rückzüge seiner Truppen endigte. Diese
Schlappe muß ausgeglichen, der Ruf der Unbesiegbarkeit der Heere des Zaren
muß wieder hergestellt werden unter den Völkerschaften Centralasiens, sonst ist
eine allgemeine Erhebung derselben zu befürchten. Man wird daher mit größerer
Machtentfaltung und mehr Vorsicht eine zweite Expedition ins Werk setzen, die
Merw ins Auge fassen wird, und dabei wird Persiens Haltung von höchster
Wichtigkeit sein. Reinste dieses, durch Concessionen in Herat an England ge¬
fesselt, den Turkmenen die Hand, so wäre eine größere Schlappe der Russen
kein Ding der Unmöglichkeit. Die Machtstellung der Engländer in Asien würde
dadurch freilich auf die Dauer keineswegs gesichert sein. Persien ist in dieser
Beziehung kein genügender Bundesgenosse, der Kampf um Indien muß in Asien
und Europa zugleich ausgefochten werden, Rußland ist mit bleibendem Erfolge
nur von Westen her anzugreifen. Seine Nachbarn in Mitteleuropa aber haben
an sich gar keine Veranlassung, den Engländern in Verfolgung ihrer indischen
Interessen irgendwie beizustehen. Eine andere Gestalt würde die Sache nur dann
gewinnen, wenn England sich verpflichten wollte, die österreichisch-ungarische Politik
in den Balkanländern, soweit Deutschland hinter ihr steht, eventuell thatkräftig
zu unterstützen und andererseits etwaigen Revancheversuchen Frankreichs an
G unserer Seite entgegenzutreten.




Grenzboten I. 1880.N

Gebiet von Herat oder Afghanistan oder in das zwischen Turkestan und Indien
gelegene Chanat Badagschan einzudringen, der englischen Regierung mit allen
verfügbaren Streitkräften beizustehen. Das gleiche müsse Persien thun, wenn
in Afghanistan ein gegen die englischen Interessen gerichteter Aufstand ausbrechen
sollte. Dafür garantire England dem Schah seinen jetzigen Länderbesitz und
Herat, und jede Überschreitung der persischen Grenze durch russische Truppen
solle ein easus delli auch für die brittische Regierung sein. Nach anderer An¬
gabe würde England sich auch verpflichten, eine Eisenbahn vom persischen Meer¬
busen nach Teheran zu bauen. Wie sich das alles aber auch im Einzelnen
verhalten möge, zwei Dinge scheinen sicher zu sein: England ist im Princip
geneigt, den Persern die Besitznahme des Chanats Herat zu gestatten, und Ru߬
land wird, sobald es dies mit Bestimmtheit erfährt, den Engländern erklären,
daß es sich nicht mehr als an die von Jomini dem Lord Dufserin rücksichtlich
seiner mittelasiatischen Politik ertheilten Zusicherungen gebunden erachte und
hinsichtlich Merws nur noch seine eigenen Interessen berücksichtigen werde.

Letzteres wäre eine Erklärung, die nur offen sagte, was man ohnehin thun
wird. Unter dem Eindruck der Niederlage schir Alis unternahm Rußland
vorigen Sommer die Expedition gegen die Achaltekke-Turkmenen, die mit einer
schweren Niederlage und einem eiligen Rückzüge seiner Truppen endigte. Diese
Schlappe muß ausgeglichen, der Ruf der Unbesiegbarkeit der Heere des Zaren
muß wieder hergestellt werden unter den Völkerschaften Centralasiens, sonst ist
eine allgemeine Erhebung derselben zu befürchten. Man wird daher mit größerer
Machtentfaltung und mehr Vorsicht eine zweite Expedition ins Werk setzen, die
Merw ins Auge fassen wird, und dabei wird Persiens Haltung von höchster
Wichtigkeit sein. Reinste dieses, durch Concessionen in Herat an England ge¬
fesselt, den Turkmenen die Hand, so wäre eine größere Schlappe der Russen
kein Ding der Unmöglichkeit. Die Machtstellung der Engländer in Asien würde
dadurch freilich auf die Dauer keineswegs gesichert sein. Persien ist in dieser
Beziehung kein genügender Bundesgenosse, der Kampf um Indien muß in Asien
und Europa zugleich ausgefochten werden, Rußland ist mit bleibendem Erfolge
nur von Westen her anzugreifen. Seine Nachbarn in Mitteleuropa aber haben
an sich gar keine Veranlassung, den Engländern in Verfolgung ihrer indischen
Interessen irgendwie beizustehen. Eine andere Gestalt würde die Sache nur dann
gewinnen, wenn England sich verpflichten wollte, die österreichisch-ungarische Politik
in den Balkanländern, soweit Deutschland hinter ihr steht, eventuell thatkräftig
zu unterstützen und andererseits etwaigen Revancheversuchen Frankreichs an
G unserer Seite entgegenzutreten.




Grenzboten I. 1880.N
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[0457] Gebiet von Herat oder Afghanistan oder in das zwischen Turkestan und Indien gelegene Chanat Badagschan einzudringen, der englischen Regierung mit allen verfügbaren Streitkräften beizustehen. Das gleiche müsse Persien thun, wenn in Afghanistan ein gegen die englischen Interessen gerichteter Aufstand ausbrechen sollte. Dafür garantire England dem Schah seinen jetzigen Länderbesitz und Herat, und jede Überschreitung der persischen Grenze durch russische Truppen solle ein easus delli auch für die brittische Regierung sein. Nach anderer An¬ gabe würde England sich auch verpflichten, eine Eisenbahn vom persischen Meer¬ busen nach Teheran zu bauen. Wie sich das alles aber auch im Einzelnen verhalten möge, zwei Dinge scheinen sicher zu sein: England ist im Princip geneigt, den Persern die Besitznahme des Chanats Herat zu gestatten, und Ru߬ land wird, sobald es dies mit Bestimmtheit erfährt, den Engländern erklären, daß es sich nicht mehr als an die von Jomini dem Lord Dufserin rücksichtlich seiner mittelasiatischen Politik ertheilten Zusicherungen gebunden erachte und hinsichtlich Merws nur noch seine eigenen Interessen berücksichtigen werde. Letzteres wäre eine Erklärung, die nur offen sagte, was man ohnehin thun wird. Unter dem Eindruck der Niederlage schir Alis unternahm Rußland vorigen Sommer die Expedition gegen die Achaltekke-Turkmenen, die mit einer schweren Niederlage und einem eiligen Rückzüge seiner Truppen endigte. Diese Schlappe muß ausgeglichen, der Ruf der Unbesiegbarkeit der Heere des Zaren muß wieder hergestellt werden unter den Völkerschaften Centralasiens, sonst ist eine allgemeine Erhebung derselben zu befürchten. Man wird daher mit größerer Machtentfaltung und mehr Vorsicht eine zweite Expedition ins Werk setzen, die Merw ins Auge fassen wird, und dabei wird Persiens Haltung von höchster Wichtigkeit sein. Reinste dieses, durch Concessionen in Herat an England ge¬ fesselt, den Turkmenen die Hand, so wäre eine größere Schlappe der Russen kein Ding der Unmöglichkeit. Die Machtstellung der Engländer in Asien würde dadurch freilich auf die Dauer keineswegs gesichert sein. Persien ist in dieser Beziehung kein genügender Bundesgenosse, der Kampf um Indien muß in Asien und Europa zugleich ausgefochten werden, Rußland ist mit bleibendem Erfolge nur von Westen her anzugreifen. Seine Nachbarn in Mitteleuropa aber haben an sich gar keine Veranlassung, den Engländern in Verfolgung ihrer indischen Interessen irgendwie beizustehen. Eine andere Gestalt würde die Sache nur dann gewinnen, wenn England sich verpflichten wollte, die österreichisch-ungarische Politik in den Balkanländern, soweit Deutschland hinter ihr steht, eventuell thatkräftig zu unterstützen und andererseits etwaigen Revancheversuchen Frankreichs an G unserer Seite entgegenzutreten. Grenzboten I. 1880.N

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/457>, abgerufen am 23.07.2024.