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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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dung des in Deutschland lebenden Judenvolkes, dessen Wissen und dessen Ver¬
stehen seiner Umgebung durch Mendelssohns und seiner Freunde Bemühungen
in weiten Kreisen eine neue Richtung gewinnen mußten, und daß so allerdings
eine Art von Annäherung des semitischen Elements an das deutsche vorauszusehen
war, welche, oberflächlich betrachtet, sich fast wie eine Verschmelzung ausnahm.

Wie tief die Metamorphose in das Wesen des Judenthums eingeschnitten,
wie viel oder wie wenig die Reform uus Deutschen genützt hat, haben wir zum
Theil schon angedeutet und werden wir später noch weiter darzuthun bemüht
sein. Hier nur uoch soviel, daß Mendelssohn, der vielgefeierte "Weltweise", der
in Wahrheit als Philosoph ein recht seichter und mittelmüßiger Geist war,
durch seine Schriften bewirkt hat, daß seine Stammgenossen in Deutschland sich
der Alleinherrschaft des Talmud großentheils entzogen, daß sie sich befleißigten,
ein genießbareres Deutsch als bisher zu reden und zu schreiben, daß sie sich auch
mit anderer Literatur als der ihrer Rabbiner zu beschäftigen anfingen, und
daß ihr Schulwesen sowie deren gesellschaftliche Gewohnheiten eine etwas bessere
Gestalt annahmen. Andrerseits war er einer der oberflächlichen und empfind¬
samen Rationalisten, welche damals die alten Religionen angriffen, die dem
Menschen mehr zu glauben zumutheten, als er zu seinem persönlichen Troste
bedürfte. Nur verstand er darunter einzig die verschiedenen christlichen Bekennt¬
nisse, nicht das Judenthum, ganz so wie noch heute jüdische Literaten es für
selbstverständlich ansehen, wenn sie "liberalen" Christen das positive Christenthum
lächerlich machen helfen, während sie es für ein schweres Verbrechen, für Reli¬
gionsschändung, mindestens für im äußersten Grade lieblos oder, wie das Mode¬
wort lautet, "inhuman" betrachten, wenn ein christlicher Schriftsteller etwas an
der Thora auszusetzen findet oder auf die Menge von Abgeschmacktheiten hinweist,
welche der Talmud enthält.




Htockach im Hegau und seine Narrenzunft.
Fr. v. Bülow. von

Das herrliche altschwäbische Gau zwischen Bodensee, Alpen, Rhein und Dornen,
wer sollte es nicht kennen, wenn nicht aus eigner Anschauung, so doch aus den
unübertrefflichen Schilderungen Victor Scheffels? Aber jenes Gebiet der stolzen
Basaltkegel, welches wie ein zu Stein erstarrtes aufbrausendes Meer das staunende
Auge fesselt, birgt nicht nur eine Fülle landschaftlicher Schönheiten, es führt uns
auch Schritt für Schritt an wichtigen geschichtlichen und culturhistorischen Remi¬
niscenzen vorüber, die aus den altersgrauen Städten mit ihren Archiven und aus
den Ruinen von über vierzig Burgen eine beredte Sprache zu uns sprechen.

Kein Theil deutscher Erde weiß auf so eugbegrcnztem Raume von so viel
Kampf und Schlachtgewühl zu erzählen! War es auch nicht der äußere Feind, so
war es in desto höherem Maße der innere, der dies Land Jahrhunderte hindurch
zu einem Spielball wilden Streites machte. Die Eifersucht zwischen dem mächtigen
seßhaften Adel und dem kraftvoll aufstrebenden Bürgerthum entfaltete sich hier in


dung des in Deutschland lebenden Judenvolkes, dessen Wissen und dessen Ver¬
stehen seiner Umgebung durch Mendelssohns und seiner Freunde Bemühungen
in weiten Kreisen eine neue Richtung gewinnen mußten, und daß so allerdings
eine Art von Annäherung des semitischen Elements an das deutsche vorauszusehen
war, welche, oberflächlich betrachtet, sich fast wie eine Verschmelzung ausnahm.

Wie tief die Metamorphose in das Wesen des Judenthums eingeschnitten,
wie viel oder wie wenig die Reform uus Deutschen genützt hat, haben wir zum
Theil schon angedeutet und werden wir später noch weiter darzuthun bemüht
sein. Hier nur uoch soviel, daß Mendelssohn, der vielgefeierte „Weltweise", der
in Wahrheit als Philosoph ein recht seichter und mittelmüßiger Geist war,
durch seine Schriften bewirkt hat, daß seine Stammgenossen in Deutschland sich
der Alleinherrschaft des Talmud großentheils entzogen, daß sie sich befleißigten,
ein genießbareres Deutsch als bisher zu reden und zu schreiben, daß sie sich auch
mit anderer Literatur als der ihrer Rabbiner zu beschäftigen anfingen, und
daß ihr Schulwesen sowie deren gesellschaftliche Gewohnheiten eine etwas bessere
Gestalt annahmen. Andrerseits war er einer der oberflächlichen und empfind¬
samen Rationalisten, welche damals die alten Religionen angriffen, die dem
Menschen mehr zu glauben zumutheten, als er zu seinem persönlichen Troste
bedürfte. Nur verstand er darunter einzig die verschiedenen christlichen Bekennt¬
nisse, nicht das Judenthum, ganz so wie noch heute jüdische Literaten es für
selbstverständlich ansehen, wenn sie „liberalen" Christen das positive Christenthum
lächerlich machen helfen, während sie es für ein schweres Verbrechen, für Reli¬
gionsschändung, mindestens für im äußersten Grade lieblos oder, wie das Mode¬
wort lautet, „inhuman" betrachten, wenn ein christlicher Schriftsteller etwas an
der Thora auszusetzen findet oder auf die Menge von Abgeschmacktheiten hinweist,
welche der Talmud enthält.




Htockach im Hegau und seine Narrenzunft.
Fr. v. Bülow. von

Das herrliche altschwäbische Gau zwischen Bodensee, Alpen, Rhein und Dornen,
wer sollte es nicht kennen, wenn nicht aus eigner Anschauung, so doch aus den
unübertrefflichen Schilderungen Victor Scheffels? Aber jenes Gebiet der stolzen
Basaltkegel, welches wie ein zu Stein erstarrtes aufbrausendes Meer das staunende
Auge fesselt, birgt nicht nur eine Fülle landschaftlicher Schönheiten, es führt uns
auch Schritt für Schritt an wichtigen geschichtlichen und culturhistorischen Remi¬
niscenzen vorüber, die aus den altersgrauen Städten mit ihren Archiven und aus
den Ruinen von über vierzig Burgen eine beredte Sprache zu uns sprechen.

Kein Theil deutscher Erde weiß auf so eugbegrcnztem Raume von so viel
Kampf und Schlachtgewühl zu erzählen! War es auch nicht der äußere Feind, so
war es in desto höherem Maße der innere, der dies Land Jahrhunderte hindurch
zu einem Spielball wilden Streites machte. Die Eifersucht zwischen dem mächtigen
seßhaften Adel und dem kraftvoll aufstrebenden Bürgerthum entfaltete sich hier in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/443>, abgerufen am 03.07.2024.