Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

unsere Musikzeitungen redigirt, so wenig halten sie darauf, mit Verlegern und
Sortimentern in Verbindung zu stehen, daß sie es in der Hauptsache darauf
ankommen lassen, ob die Verleger nicht dnrch Inserat in der Zeitung ihre
Novitäten empfehlen. Die ausländischen Verleger thun das zumeist uicht, folglich
erfahren wir von ihren neuen Verlagsartikeln nichts! Wir haben keine einzige
Musikzeitung, welche auch nur annäherungsweise in dieser Richtung ihren Be¬
ruf erfüllte, und leider kann uns auch das Abonnement ans ausländische Musik-
zeitnngen das Fehlende nicht ergänzen, da diese -- noch schlechter sind als die
unsrigen und an Dilettantismus und UnVollständigkeit selbst die Aufzählungen
ihrer musikalischen Landesproducte nichts zu wünschen übrig lassen. Es würde
selbst dann, wenn man sämmtliche Musikzeitungen Europas hielte und genau
studirte, noch keine Vollständigkeit erreicht werden.

Unter diesen Umstünden wäre es Wahnsinn, daran zu denken, daß es eine
Musikzeitung gäbe, welche gar die wichtigsten und werthvollsten Erscheinungen
aus dem Wust von alljährlich mit Noten oder musikalischen Abhandlungen be¬
drucktein Papier herausfände und eingehender würdigte. Unsinniges Verlangen,
daß der überbürdete Redacteur (so überbürdet mit anderen Arbeiten, daß er
seiner Zeitung höchstens ein Kaffeestündchen widmet) oder einer seiner vielbe¬
schäftigten Mitarbeiter (Studenten, Schullehrer, Gerichts- oder Postbeamte, die
Abends nach dem Concert beim Seidel Bier die Recension in der Bierstube
auf eine Postkarte schreiben) die an die Zeitung eingehenden Bücher und größeren
Kompositionen ernstlich zur Hand nähme und versuchte, den Autor auf seinem
Wege zu begleiten und sich in seinen Gedankengang hineinzudenken! Der Mangel
guter, ernsthafter Referenten hat schon längst hie und da zu der Praxis geführt,
daß die Concertgeber selbst das Referat über ihre Leistungen, und die Autoren
die Recensionen ihrer Werke schreiben (wie für die musikalischen Conversations-
lexika bekanntlich jeder seine eigene Biographie und die Würdigung seiner
Verdienste verfaßt); es ist das in zwiefacher Weise vortheilhaft: einmal für den
Autokritiker, der seine Schwächen zweifellos am besten kennt und bei jedem neuen
Referat an dieselben gemahnt wird, obschon er sich wohl hüten wird, sie dem
Publikum allzuoffen preiszugeben; dann aber auch für die Zeitungen, die auf
diese Weise niemals einen Autor oder Concertgeber beleidigen, was im andern
Falle nur zu leicht geschieht, wenn ein ihnen fern stehender Recensent pietätlos
die Stelle berührt, wo er sterblich ist. Wir spotten wohl? Nein, es wäre
wirklich und im vollen Ernste in vielen Fällen praktisch, wenn die Zeitungen
die Analyse größerer Werke, seien es Kompositionen oder Bücher, sich ,vom
Autor selbst erbaten, besonders in Fällen, wo die Verdienstlichkeit und der hohe
Werth der Werke außer Frage steht; denn das, was unsere berufsmäßigen
Recensenten darüber zu Tage fördern, ist leider oft so klägliches Zeug, zeugt von


unsere Musikzeitungen redigirt, so wenig halten sie darauf, mit Verlegern und
Sortimentern in Verbindung zu stehen, daß sie es in der Hauptsache darauf
ankommen lassen, ob die Verleger nicht dnrch Inserat in der Zeitung ihre
Novitäten empfehlen. Die ausländischen Verleger thun das zumeist uicht, folglich
erfahren wir von ihren neuen Verlagsartikeln nichts! Wir haben keine einzige
Musikzeitung, welche auch nur annäherungsweise in dieser Richtung ihren Be¬
ruf erfüllte, und leider kann uns auch das Abonnement ans ausländische Musik-
zeitnngen das Fehlende nicht ergänzen, da diese — noch schlechter sind als die
unsrigen und an Dilettantismus und UnVollständigkeit selbst die Aufzählungen
ihrer musikalischen Landesproducte nichts zu wünschen übrig lassen. Es würde
selbst dann, wenn man sämmtliche Musikzeitungen Europas hielte und genau
studirte, noch keine Vollständigkeit erreicht werden.

Unter diesen Umstünden wäre es Wahnsinn, daran zu denken, daß es eine
Musikzeitung gäbe, welche gar die wichtigsten und werthvollsten Erscheinungen
aus dem Wust von alljährlich mit Noten oder musikalischen Abhandlungen be¬
drucktein Papier herausfände und eingehender würdigte. Unsinniges Verlangen,
daß der überbürdete Redacteur (so überbürdet mit anderen Arbeiten, daß er
seiner Zeitung höchstens ein Kaffeestündchen widmet) oder einer seiner vielbe¬
schäftigten Mitarbeiter (Studenten, Schullehrer, Gerichts- oder Postbeamte, die
Abends nach dem Concert beim Seidel Bier die Recension in der Bierstube
auf eine Postkarte schreiben) die an die Zeitung eingehenden Bücher und größeren
Kompositionen ernstlich zur Hand nähme und versuchte, den Autor auf seinem
Wege zu begleiten und sich in seinen Gedankengang hineinzudenken! Der Mangel
guter, ernsthafter Referenten hat schon längst hie und da zu der Praxis geführt,
daß die Concertgeber selbst das Referat über ihre Leistungen, und die Autoren
die Recensionen ihrer Werke schreiben (wie für die musikalischen Conversations-
lexika bekanntlich jeder seine eigene Biographie und die Würdigung seiner
Verdienste verfaßt); es ist das in zwiefacher Weise vortheilhaft: einmal für den
Autokritiker, der seine Schwächen zweifellos am besten kennt und bei jedem neuen
Referat an dieselben gemahnt wird, obschon er sich wohl hüten wird, sie dem
Publikum allzuoffen preiszugeben; dann aber auch für die Zeitungen, die auf
diese Weise niemals einen Autor oder Concertgeber beleidigen, was im andern
Falle nur zu leicht geschieht, wenn ein ihnen fern stehender Recensent pietätlos
die Stelle berührt, wo er sterblich ist. Wir spotten wohl? Nein, es wäre
wirklich und im vollen Ernste in vielen Fällen praktisch, wenn die Zeitungen
die Analyse größerer Werke, seien es Kompositionen oder Bücher, sich ,vom
Autor selbst erbaten, besonders in Fällen, wo die Verdienstlichkeit und der hohe
Werth der Werke außer Frage steht; denn das, was unsere berufsmäßigen
Recensenten darüber zu Tage fördern, ist leider oft so klägliches Zeug, zeugt von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0389" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146318"/>
          <p xml:id="ID_1113" prev="#ID_1112"> unsere Musikzeitungen redigirt, so wenig halten sie darauf, mit Verlegern und<lb/>
Sortimentern in Verbindung zu stehen, daß sie es in der Hauptsache darauf<lb/>
ankommen lassen, ob die Verleger nicht dnrch Inserat in der Zeitung ihre<lb/>
Novitäten empfehlen. Die ausländischen Verleger thun das zumeist uicht, folglich<lb/>
erfahren wir von ihren neuen Verlagsartikeln nichts! Wir haben keine einzige<lb/>
Musikzeitung, welche auch nur annäherungsweise in dieser Richtung ihren Be¬<lb/>
ruf erfüllte, und leider kann uns auch das Abonnement ans ausländische Musik-<lb/>
zeitnngen das Fehlende nicht ergänzen, da diese &#x2014; noch schlechter sind als die<lb/>
unsrigen und an Dilettantismus und UnVollständigkeit selbst die Aufzählungen<lb/>
ihrer musikalischen Landesproducte nichts zu wünschen übrig lassen. Es würde<lb/>
selbst dann, wenn man sämmtliche Musikzeitungen Europas hielte und genau<lb/>
studirte, noch keine Vollständigkeit erreicht werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1114" next="#ID_1115"> Unter diesen Umstünden wäre es Wahnsinn, daran zu denken, daß es eine<lb/>
Musikzeitung gäbe, welche gar die wichtigsten und werthvollsten Erscheinungen<lb/>
aus dem Wust von alljährlich mit Noten oder musikalischen Abhandlungen be¬<lb/>
drucktein Papier herausfände und eingehender würdigte. Unsinniges Verlangen,<lb/>
daß der überbürdete Redacteur (so überbürdet mit anderen Arbeiten, daß er<lb/>
seiner Zeitung höchstens ein Kaffeestündchen widmet) oder einer seiner vielbe¬<lb/>
schäftigten Mitarbeiter (Studenten, Schullehrer, Gerichts- oder Postbeamte, die<lb/>
Abends nach dem Concert beim Seidel Bier die Recension in der Bierstube<lb/>
auf eine Postkarte schreiben) die an die Zeitung eingehenden Bücher und größeren<lb/>
Kompositionen ernstlich zur Hand nähme und versuchte, den Autor auf seinem<lb/>
Wege zu begleiten und sich in seinen Gedankengang hineinzudenken! Der Mangel<lb/>
guter, ernsthafter Referenten hat schon längst hie und da zu der Praxis geführt,<lb/>
daß die Concertgeber selbst das Referat über ihre Leistungen, und die Autoren<lb/>
die Recensionen ihrer Werke schreiben (wie für die musikalischen Conversations-<lb/>
lexika bekanntlich jeder seine eigene Biographie und die Würdigung seiner<lb/>
Verdienste verfaßt); es ist das in zwiefacher Weise vortheilhaft: einmal für den<lb/>
Autokritiker, der seine Schwächen zweifellos am besten kennt und bei jedem neuen<lb/>
Referat an dieselben gemahnt wird, obschon er sich wohl hüten wird, sie dem<lb/>
Publikum allzuoffen preiszugeben; dann aber auch für die Zeitungen, die auf<lb/>
diese Weise niemals einen Autor oder Concertgeber beleidigen, was im andern<lb/>
Falle nur zu leicht geschieht, wenn ein ihnen fern stehender Recensent pietätlos<lb/>
die Stelle berührt, wo er sterblich ist. Wir spotten wohl? Nein, es wäre<lb/>
wirklich und im vollen Ernste in vielen Fällen praktisch, wenn die Zeitungen<lb/>
die Analyse größerer Werke, seien es Kompositionen oder Bücher, sich ,vom<lb/>
Autor selbst erbaten, besonders in Fällen, wo die Verdienstlichkeit und der hohe<lb/>
Werth der Werke außer Frage steht; denn das, was unsere berufsmäßigen<lb/>
Recensenten darüber zu Tage fördern, ist leider oft so klägliches Zeug, zeugt von</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0389] unsere Musikzeitungen redigirt, so wenig halten sie darauf, mit Verlegern und Sortimentern in Verbindung zu stehen, daß sie es in der Hauptsache darauf ankommen lassen, ob die Verleger nicht dnrch Inserat in der Zeitung ihre Novitäten empfehlen. Die ausländischen Verleger thun das zumeist uicht, folglich erfahren wir von ihren neuen Verlagsartikeln nichts! Wir haben keine einzige Musikzeitung, welche auch nur annäherungsweise in dieser Richtung ihren Be¬ ruf erfüllte, und leider kann uns auch das Abonnement ans ausländische Musik- zeitnngen das Fehlende nicht ergänzen, da diese — noch schlechter sind als die unsrigen und an Dilettantismus und UnVollständigkeit selbst die Aufzählungen ihrer musikalischen Landesproducte nichts zu wünschen übrig lassen. Es würde selbst dann, wenn man sämmtliche Musikzeitungen Europas hielte und genau studirte, noch keine Vollständigkeit erreicht werden. Unter diesen Umstünden wäre es Wahnsinn, daran zu denken, daß es eine Musikzeitung gäbe, welche gar die wichtigsten und werthvollsten Erscheinungen aus dem Wust von alljährlich mit Noten oder musikalischen Abhandlungen be¬ drucktein Papier herausfände und eingehender würdigte. Unsinniges Verlangen, daß der überbürdete Redacteur (so überbürdet mit anderen Arbeiten, daß er seiner Zeitung höchstens ein Kaffeestündchen widmet) oder einer seiner vielbe¬ schäftigten Mitarbeiter (Studenten, Schullehrer, Gerichts- oder Postbeamte, die Abends nach dem Concert beim Seidel Bier die Recension in der Bierstube auf eine Postkarte schreiben) die an die Zeitung eingehenden Bücher und größeren Kompositionen ernstlich zur Hand nähme und versuchte, den Autor auf seinem Wege zu begleiten und sich in seinen Gedankengang hineinzudenken! Der Mangel guter, ernsthafter Referenten hat schon längst hie und da zu der Praxis geführt, daß die Concertgeber selbst das Referat über ihre Leistungen, und die Autoren die Recensionen ihrer Werke schreiben (wie für die musikalischen Conversations- lexika bekanntlich jeder seine eigene Biographie und die Würdigung seiner Verdienste verfaßt); es ist das in zwiefacher Weise vortheilhaft: einmal für den Autokritiker, der seine Schwächen zweifellos am besten kennt und bei jedem neuen Referat an dieselben gemahnt wird, obschon er sich wohl hüten wird, sie dem Publikum allzuoffen preiszugeben; dann aber auch für die Zeitungen, die auf diese Weise niemals einen Autor oder Concertgeber beleidigen, was im andern Falle nur zu leicht geschieht, wenn ein ihnen fern stehender Recensent pietätlos die Stelle berührt, wo er sterblich ist. Wir spotten wohl? Nein, es wäre wirklich und im vollen Ernste in vielen Fällen praktisch, wenn die Zeitungen die Analyse größerer Werke, seien es Kompositionen oder Bücher, sich ,vom Autor selbst erbaten, besonders in Fällen, wo die Verdienstlichkeit und der hohe Werth der Werke außer Frage steht; denn das, was unsere berufsmäßigen Recensenten darüber zu Tage fördern, ist leider oft so klägliches Zeug, zeugt von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/389
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/389>, abgerufen am 23.07.2024.