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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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neu erschienenen Compositionen, von neueinstudirten Opern und von Concertauf¬
führungen, von den Erfolgen der Sänger, Pianisten, Geiger und sonstiger
Virtuosen? Verlangen wir nur derartige Notizen ohne Kritik, d. h. ohne Be¬
merkungen über den Kunstwerth der neuen Werke, über die Berechtigung des
Erfolgs der Künstler, so besitzen wir allerdings ein Blatt, welches diese Aufgabe
annähernd befriedigend löst. Sein Titel ist dem entsprechend gewählt und ver¬
spricht nichts Uebertriebenes. Zufolge dessen ist denn auch diese Musikzeitung
die gelesenste von allen, sie ist die gesuchteste für Annoncen, und an kleinen
Notizen die reichhaltigste. Was wir daran auszusetzen haben, ist nur die In-
consequenz, daß sie dennoch auch Kritiken bringt, und zwar zunächst Kritiken
über einen kleinen Theil der erschienenen Novitäten, nicht etwa nach sorgfältiger
Auswahl des besten, sondern wie sich's gerade trifft, gutes und geringes; es ist,
als ob die Auswahl durch einen Waisenknaben aus dem Loostopfe getroffen,
würde; von einem systematischen Verfolgen der gesammten Musikliteratur nach
ihren verschiedenen Theilen ist keine Rede. Natürlich läuft auch so mancherlei
xrv äomo mit unter, indem, so oft es der Anstand gestattet, Veröffentlichungen
der Verlagshandlung in den Vordergrund gestellt werden; auch hat die Zeitung,
wie so ziemlich jede, ihren Specialabgott, dessen Wunsch, für einen ebenso be¬
deutenden Componisten wie Clavierspieler gehalten zu werden, sie nach Kräften
zu verwirklichen sucht. Eine besondere Physiognomie endlich erhält das Blatt
noch dadurch, daß seine Localkritiken (für Pleißathen) von einem bösen, bösen
Manne geschrieben werden, der leider einen etwas einseitig beschränkten Stand¬
punkt vertritt. Wenn aber ein Blatt berufen wäre, der Allerweltsneuigkeits-
bringer in inuÄeallduL zu sein, so gewiß dieses; es müßte nur die Special-
kritik völlig bei Seite lassen, da es dieselbe doch nicht im großen mit Consequenz
durchführen kann, und sich darauf beschränken, zu registriren. Es brauchte daun
seinen Horizont nur noch ein wenig zu erweitern, nämlich indem es auch die
bedeutenderen eiuer Aufzählung würdigen Werke der theoretischen, historiogra-
phischen und bibliographischen Musikliteratur des In- und Auslandes berück¬
sichtigte; ohne Zweifel würden die Verleger gar bald ihr Interesse zu wahren
wissen, d. h. Exemplare an die Redaction senden, um ihre Publicationen der
Welt signalisiren zu lassen.

So bescheiden sind unsere Wünsche! Es dünkt uns ein schöner Traum, ein
begehrenswerthes Ziel, daß eine Musikzeitung geschaffen würde, aus der man
wenigstens erführe, daß der und der uns wohlbekannte bedeutende Musikschrift¬
steller ein neues Werk geschrieben, und daß dasselbe in dem und dein Verlage
erschienen ist. Es ist traurig aber wahr, daß wir darauf angewiesen sind, durch
einen Zufall zu entdecken, daß ein Franzose, ein Engländer, ein Italiener, ein
hochbedeutendes Werk vor zehn Jahren veröffentlicht hat. So erbärmlich werden


neu erschienenen Compositionen, von neueinstudirten Opern und von Concertauf¬
führungen, von den Erfolgen der Sänger, Pianisten, Geiger und sonstiger
Virtuosen? Verlangen wir nur derartige Notizen ohne Kritik, d. h. ohne Be¬
merkungen über den Kunstwerth der neuen Werke, über die Berechtigung des
Erfolgs der Künstler, so besitzen wir allerdings ein Blatt, welches diese Aufgabe
annähernd befriedigend löst. Sein Titel ist dem entsprechend gewählt und ver¬
spricht nichts Uebertriebenes. Zufolge dessen ist denn auch diese Musikzeitung
die gelesenste von allen, sie ist die gesuchteste für Annoncen, und an kleinen
Notizen die reichhaltigste. Was wir daran auszusetzen haben, ist nur die In-
consequenz, daß sie dennoch auch Kritiken bringt, und zwar zunächst Kritiken
über einen kleinen Theil der erschienenen Novitäten, nicht etwa nach sorgfältiger
Auswahl des besten, sondern wie sich's gerade trifft, gutes und geringes; es ist,
als ob die Auswahl durch einen Waisenknaben aus dem Loostopfe getroffen,
würde; von einem systematischen Verfolgen der gesammten Musikliteratur nach
ihren verschiedenen Theilen ist keine Rede. Natürlich läuft auch so mancherlei
xrv äomo mit unter, indem, so oft es der Anstand gestattet, Veröffentlichungen
der Verlagshandlung in den Vordergrund gestellt werden; auch hat die Zeitung,
wie so ziemlich jede, ihren Specialabgott, dessen Wunsch, für einen ebenso be¬
deutenden Componisten wie Clavierspieler gehalten zu werden, sie nach Kräften
zu verwirklichen sucht. Eine besondere Physiognomie endlich erhält das Blatt
noch dadurch, daß seine Localkritiken (für Pleißathen) von einem bösen, bösen
Manne geschrieben werden, der leider einen etwas einseitig beschränkten Stand¬
punkt vertritt. Wenn aber ein Blatt berufen wäre, der Allerweltsneuigkeits-
bringer in inuÄeallduL zu sein, so gewiß dieses; es müßte nur die Special-
kritik völlig bei Seite lassen, da es dieselbe doch nicht im großen mit Consequenz
durchführen kann, und sich darauf beschränken, zu registriren. Es brauchte daun
seinen Horizont nur noch ein wenig zu erweitern, nämlich indem es auch die
bedeutenderen eiuer Aufzählung würdigen Werke der theoretischen, historiogra-
phischen und bibliographischen Musikliteratur des In- und Auslandes berück¬
sichtigte; ohne Zweifel würden die Verleger gar bald ihr Interesse zu wahren
wissen, d. h. Exemplare an die Redaction senden, um ihre Publicationen der
Welt signalisiren zu lassen.

So bescheiden sind unsere Wünsche! Es dünkt uns ein schöner Traum, ein
begehrenswerthes Ziel, daß eine Musikzeitung geschaffen würde, aus der man
wenigstens erführe, daß der und der uns wohlbekannte bedeutende Musikschrift¬
steller ein neues Werk geschrieben, und daß dasselbe in dem und dein Verlage
erschienen ist. Es ist traurig aber wahr, daß wir darauf angewiesen sind, durch
einen Zufall zu entdecken, daß ein Franzose, ein Engländer, ein Italiener, ein
hochbedeutendes Werk vor zehn Jahren veröffentlicht hat. So erbärmlich werden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/388>, abgerufen am 23.07.2024.