Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Herder äußert in seinen "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch¬
heit" über die Juden: "Es ist ein Volk, das in der Erziehung verdarb, weil
es nie zur Reife einer politischen Cultur auf eignem Boden, mithin auch nicht
zum wahren Gefühle der Ehre und Freiheit gelangte." "Das Volk Gottes ist
eine parasitische Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen, ein Geschlecht
schlauer Unterhändler beinahe auf der ganzen Erde, das nirgends sich nach
einem Vaterlande sehnt."

Schopenhauer endlich, der, wie Kant und Herder in der Provinz
Preußen, Fichte in Berlin, in Frankfurt reichlich Gelegenheit gehabt, die
Juden von der verschiedensten Seite her zu betrachten, sagt in seinen "Artikeln
über Rechtslehre und Politik": "So ist denn noch heute dieser Johann ohne
Land unter den Völkern auf dem ganzen Erdboden zu finden, nirgends zu
Hause und nirgends fremd, behauptet dabei mit beispielloser Hartnäckigkeit seine
Nationalität." -- "Demnächst ist es eine höchst oberflächliche und falsche Ansicht,
wenn man die Juden bloß als Religionssecte betrachtet; wenn aber gar, um
diesen Irrthum zu begünstige!?, das Judenthum mit einem der Kirche entlehnten
Ausdrucke bezeichnet wird als jüdische Confession, so ist dies ein grundfalscher,
absichtlich auf das Irreleiten berechneter Ausdruck, der gar nicht gestattet sein
sollte. Vielmehr ist die ,jüdische Nation^ das Richtige." -- "Daß die dem jüdi¬
schen Nationalcharakter anhängenden bekannten Fehler, worunter eine wunder¬
same Abwesenheit alles dessen, was das Wort Scham ausdrückt,
der hervorstechendste, wenngleich ein Mangel ist, der in der Welt weit besser
hilft, als vielleicht irgend eine positive Eigenschaft, daß diese Fehler hauptsäch¬
lich (?) dem Drucke zuzuschreiben, entschuldigt sie zwar, hebt sie aber nicht ans."

Man wird nicht sagen können, daß dies schmeichelhafte Urtheile über das
Judenthum find, und ebensowenig wird jemand behaupten wollen, daß die Urthei¬
lenden illiberale und inhumane Männer gewesen seien. Auch einigermaßen be¬
deutend waren sie. Dennoch wollen wir uns von ihnen vorerst nicht imponiren
lassen- Der nächste Abschnitt soll die Geschichte befragen, ob diese Aeußerungen
auf die Juden vor der Emancipation passen, und später werden wir unter¬
suchen, ob die Juden seit der Emancipation wesentlich, nicht bloß äußerlich,
anders geworden sind, jene Aeußerungen also nicht mehr zutreffen.




Herder äußert in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch¬
heit" über die Juden: „Es ist ein Volk, das in der Erziehung verdarb, weil
es nie zur Reife einer politischen Cultur auf eignem Boden, mithin auch nicht
zum wahren Gefühle der Ehre und Freiheit gelangte." „Das Volk Gottes ist
eine parasitische Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen, ein Geschlecht
schlauer Unterhändler beinahe auf der ganzen Erde, das nirgends sich nach
einem Vaterlande sehnt."

Schopenhauer endlich, der, wie Kant und Herder in der Provinz
Preußen, Fichte in Berlin, in Frankfurt reichlich Gelegenheit gehabt, die
Juden von der verschiedensten Seite her zu betrachten, sagt in seinen „Artikeln
über Rechtslehre und Politik": „So ist denn noch heute dieser Johann ohne
Land unter den Völkern auf dem ganzen Erdboden zu finden, nirgends zu
Hause und nirgends fremd, behauptet dabei mit beispielloser Hartnäckigkeit seine
Nationalität." — „Demnächst ist es eine höchst oberflächliche und falsche Ansicht,
wenn man die Juden bloß als Religionssecte betrachtet; wenn aber gar, um
diesen Irrthum zu begünstige!?, das Judenthum mit einem der Kirche entlehnten
Ausdrucke bezeichnet wird als jüdische Confession, so ist dies ein grundfalscher,
absichtlich auf das Irreleiten berechneter Ausdruck, der gar nicht gestattet sein
sollte. Vielmehr ist die ,jüdische Nation^ das Richtige." — „Daß die dem jüdi¬
schen Nationalcharakter anhängenden bekannten Fehler, worunter eine wunder¬
same Abwesenheit alles dessen, was das Wort Scham ausdrückt,
der hervorstechendste, wenngleich ein Mangel ist, der in der Welt weit besser
hilft, als vielleicht irgend eine positive Eigenschaft, daß diese Fehler hauptsäch¬
lich (?) dem Drucke zuzuschreiben, entschuldigt sie zwar, hebt sie aber nicht ans."

Man wird nicht sagen können, daß dies schmeichelhafte Urtheile über das
Judenthum find, und ebensowenig wird jemand behaupten wollen, daß die Urthei¬
lenden illiberale und inhumane Männer gewesen seien. Auch einigermaßen be¬
deutend waren sie. Dennoch wollen wir uns von ihnen vorerst nicht imponiren
lassen- Der nächste Abschnitt soll die Geschichte befragen, ob diese Aeußerungen
auf die Juden vor der Emancipation passen, und später werden wir unter¬
suchen, ob die Juden seit der Emancipation wesentlich, nicht bloß äußerlich,
anders geworden sind, jene Aeußerungen also nicht mehr zutreffen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146303"/>
          <p xml:id="ID_1073"> Herder äußert in seinen &#x201E;Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch¬<lb/>
heit" über die Juden: &#x201E;Es ist ein Volk, das in der Erziehung verdarb, weil<lb/>
es nie zur Reife einer politischen Cultur auf eignem Boden, mithin auch nicht<lb/>
zum wahren Gefühle der Ehre und Freiheit gelangte." &#x201E;Das Volk Gottes ist<lb/>
eine parasitische Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen, ein Geschlecht<lb/>
schlauer Unterhändler beinahe auf der ganzen Erde, das nirgends sich nach<lb/>
einem Vaterlande sehnt."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1074"> Schopenhauer endlich, der, wie Kant und Herder in der Provinz<lb/>
Preußen, Fichte in Berlin, in Frankfurt reichlich Gelegenheit gehabt, die<lb/>
Juden von der verschiedensten Seite her zu betrachten, sagt in seinen &#x201E;Artikeln<lb/>
über Rechtslehre und Politik": &#x201E;So ist denn noch heute dieser Johann ohne<lb/>
Land unter den Völkern auf dem ganzen Erdboden zu finden, nirgends zu<lb/>
Hause und nirgends fremd, behauptet dabei mit beispielloser Hartnäckigkeit seine<lb/>
Nationalität." &#x2014; &#x201E;Demnächst ist es eine höchst oberflächliche und falsche Ansicht,<lb/>
wenn man die Juden bloß als Religionssecte betrachtet; wenn aber gar, um<lb/>
diesen Irrthum zu begünstige!?, das Judenthum mit einem der Kirche entlehnten<lb/>
Ausdrucke bezeichnet wird als jüdische Confession, so ist dies ein grundfalscher,<lb/>
absichtlich auf das Irreleiten berechneter Ausdruck, der gar nicht gestattet sein<lb/>
sollte. Vielmehr ist die ,jüdische Nation^ das Richtige." &#x2014; &#x201E;Daß die dem jüdi¬<lb/>
schen Nationalcharakter anhängenden bekannten Fehler, worunter eine wunder¬<lb/>
same Abwesenheit alles dessen, was das Wort Scham ausdrückt,<lb/>
der hervorstechendste, wenngleich ein Mangel ist, der in der Welt weit besser<lb/>
hilft, als vielleicht irgend eine positive Eigenschaft, daß diese Fehler hauptsäch¬<lb/>
lich (?) dem Drucke zuzuschreiben, entschuldigt sie zwar, hebt sie aber nicht ans."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1075"> Man wird nicht sagen können, daß dies schmeichelhafte Urtheile über das<lb/>
Judenthum find, und ebensowenig wird jemand behaupten wollen, daß die Urthei¬<lb/>
lenden illiberale und inhumane Männer gewesen seien. Auch einigermaßen be¬<lb/>
deutend waren sie. Dennoch wollen wir uns von ihnen vorerst nicht imponiren<lb/>
lassen- Der nächste Abschnitt soll die Geschichte befragen, ob diese Aeußerungen<lb/>
auf die Juden vor der Emancipation passen, und später werden wir unter¬<lb/>
suchen, ob die Juden seit der Emancipation wesentlich, nicht bloß äußerlich,<lb/>
anders geworden sind, jene Aeußerungen also nicht mehr zutreffen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] Herder äußert in seinen „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch¬ heit" über die Juden: „Es ist ein Volk, das in der Erziehung verdarb, weil es nie zur Reife einer politischen Cultur auf eignem Boden, mithin auch nicht zum wahren Gefühle der Ehre und Freiheit gelangte." „Das Volk Gottes ist eine parasitische Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen, ein Geschlecht schlauer Unterhändler beinahe auf der ganzen Erde, das nirgends sich nach einem Vaterlande sehnt." Schopenhauer endlich, der, wie Kant und Herder in der Provinz Preußen, Fichte in Berlin, in Frankfurt reichlich Gelegenheit gehabt, die Juden von der verschiedensten Seite her zu betrachten, sagt in seinen „Artikeln über Rechtslehre und Politik": „So ist denn noch heute dieser Johann ohne Land unter den Völkern auf dem ganzen Erdboden zu finden, nirgends zu Hause und nirgends fremd, behauptet dabei mit beispielloser Hartnäckigkeit seine Nationalität." — „Demnächst ist es eine höchst oberflächliche und falsche Ansicht, wenn man die Juden bloß als Religionssecte betrachtet; wenn aber gar, um diesen Irrthum zu begünstige!?, das Judenthum mit einem der Kirche entlehnten Ausdrucke bezeichnet wird als jüdische Confession, so ist dies ein grundfalscher, absichtlich auf das Irreleiten berechneter Ausdruck, der gar nicht gestattet sein sollte. Vielmehr ist die ,jüdische Nation^ das Richtige." — „Daß die dem jüdi¬ schen Nationalcharakter anhängenden bekannten Fehler, worunter eine wunder¬ same Abwesenheit alles dessen, was das Wort Scham ausdrückt, der hervorstechendste, wenngleich ein Mangel ist, der in der Welt weit besser hilft, als vielleicht irgend eine positive Eigenschaft, daß diese Fehler hauptsäch¬ lich (?) dem Drucke zuzuschreiben, entschuldigt sie zwar, hebt sie aber nicht ans." Man wird nicht sagen können, daß dies schmeichelhafte Urtheile über das Judenthum find, und ebensowenig wird jemand behaupten wollen, daß die Urthei¬ lenden illiberale und inhumane Männer gewesen seien. Auch einigermaßen be¬ deutend waren sie. Dennoch wollen wir uns von ihnen vorerst nicht imponiren lassen- Der nächste Abschnitt soll die Geschichte befragen, ob diese Aeußerungen auf die Juden vor der Emancipation passen, und später werden wir unter¬ suchen, ob die Juden seit der Emancipation wesentlich, nicht bloß äußerlich, anders geworden sind, jene Aeußerungen also nicht mehr zutreffen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/374>, abgerufen am 22.07.2024.