Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.theilt ist, von denen die erste (Seraim) Gesetze über Felderzeugnisse sowie Vorschrif¬ Endlich sei noch erwähnt, daß die hervorgehobene Kleinmeisterei, Grübelei Beginnen wir mit der Lehre des Talmud von Gott, so lesen wir aus dem theilt ist, von denen die erste (Seraim) Gesetze über Felderzeugnisse sowie Vorschrif¬ Endlich sei noch erwähnt, daß die hervorgehobene Kleinmeisterei, Grübelei Beginnen wir mit der Lehre des Talmud von Gott, so lesen wir aus dem <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146294"/> <p xml:id="ID_1047" prev="#ID_1046"> theilt ist, von denen die erste (Seraim) Gesetze über Felderzeugnisse sowie Vorschrif¬<lb/> ten über das Gebet umfaßt, die zweite (Most) von den Fest- und Fasttagen, die<lb/> dritte (Naschim, d. h. eigentlich: Weiber) von der Ehe, die vierte (Nesikin) von<lb/> der Gerechtigkeitspflege handelt, die fünfte (Kodaschim) Opfer- und Speisegesetze<lb/> enthält und die letzte (Taharoth) sich mit Bestimmungen in Betreff der Reini¬<lb/> gung beschäftigt. Jede Ordnung zerfällt in verschiedene Tractate, jeder Tractat<lb/> in mehrere Abschnitte und jeder Abschnitt in eine Anzahl Verse. Die Gemara<lb/> knüpft ihre Betrachtungen immer an einen Mischna-Vers an.</p><lb/> <p xml:id="ID_1048"> Endlich sei noch erwähnt, daß die hervorgehobene Kleinmeisterei, Grübelei<lb/> und Spitzfindigkeit besonders stark im babylonischen Talmud hervortritt, und<lb/> daß gerade dieser den Juden bis auf unsere Zeit besonders gut gefallen hat.<lb/> Ueber das Ganze aber hat selbst der jüdische Professor Grätz insofern nicht<lb/> günstig geurtheilt, als er sagt, der Talmud enthalte viele unwesentliche und<lb/> kleinliche Dinge, die mit wichtiger und ernster Miene behandelt würden, sodann<lb/> abergläubische Elemente (was andern alten Büchern freilich auch so geht), ferner<lb/> falsche Schriftauslegungen und der Wahrheit schädliche Deuteleien, endlich lieb¬<lb/> lose Verurtheilungen und Verketzerungen fremder Völker und Religionen. Im<lb/> Folgenden mag eine Blumenlese aus dem Werke zunächst dieses selbst, dann<lb/> die, welche ihm die Seele gaben, und endlich diejenigen charakterisiren, denen<lb/> es fast anderthalb Jahrtausende die Richtschnur für ihr Leben war.</p><lb/> <p xml:id="ID_1049" next="#ID_1050"> Beginnen wir mit der Lehre des Talmud von Gott, so lesen wir aus dem<lb/> Tractat Apoda, daß der Ras gesagt hat: „Der Tag hat zwölf Stunden: in<lb/> den ersten dreien sitzet Gott und studirt im Gesetze, in den nächsten dreien richtet<lb/> er die ganze Welt, in den folgenden dreien ernährt er die Welt, in den letzten<lb/> drei Stunden aber sitzet er und spielt mit dem Leviathan." Nach einer Anek¬<lb/> dote im Tractat Bava Mezia kann Gott bei Streitigkeiten zwischen Rabbinern<lb/> in Folge geschickten Dispntirens als Irrender dastehen. Der Rabbi Elieser<lb/> streitet dort mit dem Rabbi Jehoscha über die Reinheit eines Backofens. Gott<lb/> stellt sich auf die Seite des ersten Gelehrten und unterstützt ihn durch drei<lb/> Wunder. Jehoscha aber behält zuletzt doch Recht, und Gott gesteht das selbst<lb/> zu, indem er ausruft: „Meine Kinder haben mich überwunden!" Nach dem<lb/> Tractat Chagiga hat Gott über die Zerstörung des Tempels zu Jerusalem an<lb/> einem verborgenen Orte geweint. Nach dem Tractat Berachoth „sitzet Gott in<lb/> jeder der drei Nachtwachen und brüllt wie ein Löwe und sagt: ,O wehe, daß<lb/> ich mein Haus verwüsten, meinen Tempel verbrennen und meine Kinder ge¬<lb/> fangen unter die Völker der Welt wegführe« ließ!"' Nach demselben Tractat hat<lb/> er seit diesem Ereigniß „nicht mehr als vier Ellen weit Raum, in seiner Welt<lb/> zu gehen", und nach einer andern Stelle desselben Abschnittes läßt Gott jedes¬<lb/> mal, wenn er sich erinnert, daß seine Kinder, die Juden, in der Welt mit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0365]
theilt ist, von denen die erste (Seraim) Gesetze über Felderzeugnisse sowie Vorschrif¬
ten über das Gebet umfaßt, die zweite (Most) von den Fest- und Fasttagen, die
dritte (Naschim, d. h. eigentlich: Weiber) von der Ehe, die vierte (Nesikin) von
der Gerechtigkeitspflege handelt, die fünfte (Kodaschim) Opfer- und Speisegesetze
enthält und die letzte (Taharoth) sich mit Bestimmungen in Betreff der Reini¬
gung beschäftigt. Jede Ordnung zerfällt in verschiedene Tractate, jeder Tractat
in mehrere Abschnitte und jeder Abschnitt in eine Anzahl Verse. Die Gemara
knüpft ihre Betrachtungen immer an einen Mischna-Vers an.
Endlich sei noch erwähnt, daß die hervorgehobene Kleinmeisterei, Grübelei
und Spitzfindigkeit besonders stark im babylonischen Talmud hervortritt, und
daß gerade dieser den Juden bis auf unsere Zeit besonders gut gefallen hat.
Ueber das Ganze aber hat selbst der jüdische Professor Grätz insofern nicht
günstig geurtheilt, als er sagt, der Talmud enthalte viele unwesentliche und
kleinliche Dinge, die mit wichtiger und ernster Miene behandelt würden, sodann
abergläubische Elemente (was andern alten Büchern freilich auch so geht), ferner
falsche Schriftauslegungen und der Wahrheit schädliche Deuteleien, endlich lieb¬
lose Verurtheilungen und Verketzerungen fremder Völker und Religionen. Im
Folgenden mag eine Blumenlese aus dem Werke zunächst dieses selbst, dann
die, welche ihm die Seele gaben, und endlich diejenigen charakterisiren, denen
es fast anderthalb Jahrtausende die Richtschnur für ihr Leben war.
Beginnen wir mit der Lehre des Talmud von Gott, so lesen wir aus dem
Tractat Apoda, daß der Ras gesagt hat: „Der Tag hat zwölf Stunden: in
den ersten dreien sitzet Gott und studirt im Gesetze, in den nächsten dreien richtet
er die ganze Welt, in den folgenden dreien ernährt er die Welt, in den letzten
drei Stunden aber sitzet er und spielt mit dem Leviathan." Nach einer Anek¬
dote im Tractat Bava Mezia kann Gott bei Streitigkeiten zwischen Rabbinern
in Folge geschickten Dispntirens als Irrender dastehen. Der Rabbi Elieser
streitet dort mit dem Rabbi Jehoscha über die Reinheit eines Backofens. Gott
stellt sich auf die Seite des ersten Gelehrten und unterstützt ihn durch drei
Wunder. Jehoscha aber behält zuletzt doch Recht, und Gott gesteht das selbst
zu, indem er ausruft: „Meine Kinder haben mich überwunden!" Nach dem
Tractat Chagiga hat Gott über die Zerstörung des Tempels zu Jerusalem an
einem verborgenen Orte geweint. Nach dem Tractat Berachoth „sitzet Gott in
jeder der drei Nachtwachen und brüllt wie ein Löwe und sagt: ,O wehe, daß
ich mein Haus verwüsten, meinen Tempel verbrennen und meine Kinder ge¬
fangen unter die Völker der Welt wegführe« ließ!"' Nach demselben Tractat hat
er seit diesem Ereigniß „nicht mehr als vier Ellen weit Raum, in seiner Welt
zu gehen", und nach einer andern Stelle desselben Abschnittes läßt Gott jedes¬
mal, wenn er sich erinnert, daß seine Kinder, die Juden, in der Welt mit
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