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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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den zu Grunde gegangenen Garanzinfabrikanten, den Krappwurzel-Speculanten
und allen denen, die damit zusammenhängen, als ein besonderer Fluch des Himmels.
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Herr von Quandt, der Onkel Alfred Meißners, und Moriz Hartmann, der
verbannte Dichter, sahen in den vierziger und fünfziger Jahren das schöne Land
noch im Vollgenusse seines Reichthums; besonders wer des Letzteren "Tagebuch aus
dem Leugnet'oc und der Provence" (1854) gelesen hat, dem schwebte damals
ein Paradies vor Augen -- ein Paradies übrigens, das Hartmann wohl zu¬
erst in deutscher Zunge schilderte. Auch heute noch ist sein Buch wahr und
für den, der Land und Leute kennen lernen will, unerläßlich. Noch stehen sie
wie damals, als der Dichter sie begeistert schilderte, die alten Burgen mit den
ausladenden Zinnen im röthlich-weißen Lichte, umrankt von Cypressen und Oel-
bäumen; noch rauscht die blaue Niesenquelle von Vaucluse aus ihrer geheimni߬
vollen Tiefe herauf und zaubert uns Petrarca und Laura vor den Blick; noch
ragt der Coloß des Papstschlosses vielthürmig über den Rootiör 6ö8 Vora8 auf,
und weiter unten am Rhone zeichnen sich die schlanken Säulen des Augustus-
theaters und die Arena, S. Trophyme und sein unvergleichlicher Kreuzgang in
die blaue Luft. Die blendend weißen Felsen stehen noch, aus denen das uralte Les
Beaux, einst die feste Residenz der Grafen der Provence, gebrochen wurde, und
die Töchter des Landes sind noch immer gleich reizend mit ihren dunkelbewimperten
großen Augen, wie damals, als sie den landesflüchtigen deutschen Dichter ent¬
zückten. Aber Eines fehlt, das er in seinem Tagebuche einst rühmte: die sorgenlose
Heiterkeit -- fast möchte man es das 8adör der Troubadours nennen
die fröhliche Lebenslust, der laute Gesang, die Freuden des Carnevals.
Lag auch schon ehedem ein melancholischer Ton, eine Vergänglichkeitsstimmung
auf allen diesen Landschaftsbildern, wenn auch vielleicht mehr vom deutschen
Gemüthe hineingetragen, dem alle geschichtlichen Greuel dieses blutgetränkten
Bodens vorschwebten -- heute sind auch die Menschen trüber und finsterer
geworden, als sie waren. Unter dem Parteihader der letzten Jahre hat die
Geselligkeit, die öffentliche Freude sichtlich gelitten. Der Prooem?-ale, ohnehin
heißen Blutes und ebenso stürmisch im Hasse wie in der Liebe, hat sich seit der
Muss tsrrivls tief in die Politik verbissen. Seit der dritten Republik und ihren
Macmahonischen Peripetien fuhr Alles auseinander. Hier Republik, hier
iwxörial, hier die weiße Lilie! so hadert Alles bunt durcheinander. Die gegen¬
seitigen Ausbrüche iber Localblätter der verschiedenen Farben scheinen uns ruhiger
angelegten nordischen Naturen fast unglaublich; bis ins intimste Privatleben
hinein verfolgt man in der Presse die einzelnen politischen Leithammel. Erklären
läßt sich ein solches Uebermaß von politischem Haß nur durch die trotz dreier


Grenzboten I. 1880. 44

den zu Grunde gegangenen Garanzinfabrikanten, den Krappwurzel-Speculanten
und allen denen, die damit zusammenhängen, als ein besonderer Fluch des Himmels.
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Herr von Quandt, der Onkel Alfred Meißners, und Moriz Hartmann, der
verbannte Dichter, sahen in den vierziger und fünfziger Jahren das schöne Land
noch im Vollgenusse seines Reichthums; besonders wer des Letzteren „Tagebuch aus
dem Leugnet'oc und der Provence" (1854) gelesen hat, dem schwebte damals
ein Paradies vor Augen — ein Paradies übrigens, das Hartmann wohl zu¬
erst in deutscher Zunge schilderte. Auch heute noch ist sein Buch wahr und
für den, der Land und Leute kennen lernen will, unerläßlich. Noch stehen sie
wie damals, als der Dichter sie begeistert schilderte, die alten Burgen mit den
ausladenden Zinnen im röthlich-weißen Lichte, umrankt von Cypressen und Oel-
bäumen; noch rauscht die blaue Niesenquelle von Vaucluse aus ihrer geheimni߬
vollen Tiefe herauf und zaubert uns Petrarca und Laura vor den Blick; noch
ragt der Coloß des Papstschlosses vielthürmig über den Rootiör 6ö8 Vora8 auf,
und weiter unten am Rhone zeichnen sich die schlanken Säulen des Augustus-
theaters und die Arena, S. Trophyme und sein unvergleichlicher Kreuzgang in
die blaue Luft. Die blendend weißen Felsen stehen noch, aus denen das uralte Les
Beaux, einst die feste Residenz der Grafen der Provence, gebrochen wurde, und
die Töchter des Landes sind noch immer gleich reizend mit ihren dunkelbewimperten
großen Augen, wie damals, als sie den landesflüchtigen deutschen Dichter ent¬
zückten. Aber Eines fehlt, das er in seinem Tagebuche einst rühmte: die sorgenlose
Heiterkeit — fast möchte man es das 8adör der Troubadours nennen
die fröhliche Lebenslust, der laute Gesang, die Freuden des Carnevals.
Lag auch schon ehedem ein melancholischer Ton, eine Vergänglichkeitsstimmung
auf allen diesen Landschaftsbildern, wenn auch vielleicht mehr vom deutschen
Gemüthe hineingetragen, dem alle geschichtlichen Greuel dieses blutgetränkten
Bodens vorschwebten — heute sind auch die Menschen trüber und finsterer
geworden, als sie waren. Unter dem Parteihader der letzten Jahre hat die
Geselligkeit, die öffentliche Freude sichtlich gelitten. Der Prooem?-ale, ohnehin
heißen Blutes und ebenso stürmisch im Hasse wie in der Liebe, hat sich seit der
Muss tsrrivls tief in die Politik verbissen. Seit der dritten Republik und ihren
Macmahonischen Peripetien fuhr Alles auseinander. Hier Republik, hier
iwxörial, hier die weiße Lilie! so hadert Alles bunt durcheinander. Die gegen¬
seitigen Ausbrüche iber Localblätter der verschiedenen Farben scheinen uns ruhiger
angelegten nordischen Naturen fast unglaublich; bis ins intimste Privatleben
hinein verfolgt man in der Presse die einzelnen politischen Leithammel. Erklären
läßt sich ein solches Uebermaß von politischem Haß nur durch die trotz dreier


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/353>, abgerufen am 22.07.2024.