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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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technischer Art waren. Freilich hat er der Natur gegenüber eine andere Stel¬
lung eingenommen als die Idealisten und Stilisten, zu welchen er in Gegen¬
satz trat. Indem er aber der Wahrheit, dem Ausdruck und dem Charakter die
Schönheit und den Adel künstlerischer Gestaltung opferte, war seine Stellung zur
Natur eine durchaus unselbständige. Als bloßer Nachahmer der Natur ließ er
demnach die Idee, die er sich jeweilig zu verkörpern vornahm, nicht jenen gei¬
stigen Läuterungs- und Umbildungsproceß durchmachen, der immer als die
höchste Vollendungsstufe im künstlerischen Schaffen angesehen wird. Bezeichnet
er nach dieser Richtung hin in dem historischen Entwicklungsgange der Kunst
einen Rückschritt, so sollen auf der anderen Seite seine großen Verdienste um
die Fortbildung der Technik nicht verkannt werden. Nur gelang es ihm selten
oder niemals, sein technisches Können mit den Stoffen, den Motiven, den Situa¬
tionen seiner Gemälde so in Einklang zu bringen, daß das Darstellungsmotiv
durch sich selbst eher auf uns wirkt als die Farbe. Die Wirkung seiner Ge¬
mälde ist demnach immer eine grvbsinnliche. Tiefere Empfindungen werden
von ihnen fast niemals wachgerufen. Seine Mittel find ausschließlich äußer¬
licher Natur: Farbe, Tonwirkung, ein glänzender Apparat und theatralisch¬
pathetische Bewegungen.

Piloty steht ebensosehr nach der stofflichen wie nach der technischen Seite
unter dem Einfluß der Belgier. Während die "Gründung der Liga" eine ge¬
wisse Verwandtschaft mit de Bicfves "Kompromiß der Edlen" nicht verleugnen
konnte, zeigte "Seni vor Wallensteins Leiche" das unverkennbare Bestreben des
Künstlers, mit Gallaits "Brüsseler Schützengilde vor den Leichen Egmonts
und Hoorns" zu wetteifern. Man fühlte auch seiner Zeit sehr schnell die gei¬
stige Verwandtschaft dieser beide" Leichenparadeu heraus.

Auf Veranlassung eines amerikanischen Kunstfreundes gab er dein Wallen-
steinbilde noch eine andere, bedeutend erweiterte Fassung. Er stellte den Moment
dar, wie der Leichnam von Soldaten in Gegenwart Butters aus dem Gemache
heransgeschleift wird, während einer der Mörder, der noch im Zimmer zurück¬
geblieben ist, an dem seidenen Bettvorhänge das Blut von seiner Hellebarde
wischt. Für amerikanische Nerven mag dieser brutale Zug eine willkommene
Nuance gewesen sein. In München fand man an dieser zweiten Version der
unheimlichen Katastrophe ein ungleich geringeres Vergnügen als an der ersten,
knapper und doch wirkungsvoller erzählten, die einen Ehrenplatz in der neuen
Pinakothek erhielt.

Ungefähr in dieselbe Zeit (1856--1858) fällt die Vollendung eines zweiten
figurenreichen Bildes aus der Geschichte des Herzogs Maximilian: "Der Morgen
vor der Schlacht am weißen Berge." Unter einem Zeltdache steht Maximilian
in Berathung mit seinen Feldherren. Die Entscheidung scheint eben gefallen zu


technischer Art waren. Freilich hat er der Natur gegenüber eine andere Stel¬
lung eingenommen als die Idealisten und Stilisten, zu welchen er in Gegen¬
satz trat. Indem er aber der Wahrheit, dem Ausdruck und dem Charakter die
Schönheit und den Adel künstlerischer Gestaltung opferte, war seine Stellung zur
Natur eine durchaus unselbständige. Als bloßer Nachahmer der Natur ließ er
demnach die Idee, die er sich jeweilig zu verkörpern vornahm, nicht jenen gei¬
stigen Läuterungs- und Umbildungsproceß durchmachen, der immer als die
höchste Vollendungsstufe im künstlerischen Schaffen angesehen wird. Bezeichnet
er nach dieser Richtung hin in dem historischen Entwicklungsgange der Kunst
einen Rückschritt, so sollen auf der anderen Seite seine großen Verdienste um
die Fortbildung der Technik nicht verkannt werden. Nur gelang es ihm selten
oder niemals, sein technisches Können mit den Stoffen, den Motiven, den Situa¬
tionen seiner Gemälde so in Einklang zu bringen, daß das Darstellungsmotiv
durch sich selbst eher auf uns wirkt als die Farbe. Die Wirkung seiner Ge¬
mälde ist demnach immer eine grvbsinnliche. Tiefere Empfindungen werden
von ihnen fast niemals wachgerufen. Seine Mittel find ausschließlich äußer¬
licher Natur: Farbe, Tonwirkung, ein glänzender Apparat und theatralisch¬
pathetische Bewegungen.

Piloty steht ebensosehr nach der stofflichen wie nach der technischen Seite
unter dem Einfluß der Belgier. Während die „Gründung der Liga" eine ge¬
wisse Verwandtschaft mit de Bicfves „Kompromiß der Edlen" nicht verleugnen
konnte, zeigte „Seni vor Wallensteins Leiche" das unverkennbare Bestreben des
Künstlers, mit Gallaits „Brüsseler Schützengilde vor den Leichen Egmonts
und Hoorns" zu wetteifern. Man fühlte auch seiner Zeit sehr schnell die gei¬
stige Verwandtschaft dieser beide» Leichenparadeu heraus.

Auf Veranlassung eines amerikanischen Kunstfreundes gab er dein Wallen-
steinbilde noch eine andere, bedeutend erweiterte Fassung. Er stellte den Moment
dar, wie der Leichnam von Soldaten in Gegenwart Butters aus dem Gemache
heransgeschleift wird, während einer der Mörder, der noch im Zimmer zurück¬
geblieben ist, an dem seidenen Bettvorhänge das Blut von seiner Hellebarde
wischt. Für amerikanische Nerven mag dieser brutale Zug eine willkommene
Nuance gewesen sein. In München fand man an dieser zweiten Version der
unheimlichen Katastrophe ein ungleich geringeres Vergnügen als an der ersten,
knapper und doch wirkungsvoller erzählten, die einen Ehrenplatz in der neuen
Pinakothek erhielt.

Ungefähr in dieselbe Zeit (1856—1858) fällt die Vollendung eines zweiten
figurenreichen Bildes aus der Geschichte des Herzogs Maximilian: „Der Morgen
vor der Schlacht am weißen Berge." Unter einem Zeltdache steht Maximilian
in Berathung mit seinen Feldherren. Die Entscheidung scheint eben gefallen zu


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[0350] technischer Art waren. Freilich hat er der Natur gegenüber eine andere Stel¬ lung eingenommen als die Idealisten und Stilisten, zu welchen er in Gegen¬ satz trat. Indem er aber der Wahrheit, dem Ausdruck und dem Charakter die Schönheit und den Adel künstlerischer Gestaltung opferte, war seine Stellung zur Natur eine durchaus unselbständige. Als bloßer Nachahmer der Natur ließ er demnach die Idee, die er sich jeweilig zu verkörpern vornahm, nicht jenen gei¬ stigen Läuterungs- und Umbildungsproceß durchmachen, der immer als die höchste Vollendungsstufe im künstlerischen Schaffen angesehen wird. Bezeichnet er nach dieser Richtung hin in dem historischen Entwicklungsgange der Kunst einen Rückschritt, so sollen auf der anderen Seite seine großen Verdienste um die Fortbildung der Technik nicht verkannt werden. Nur gelang es ihm selten oder niemals, sein technisches Können mit den Stoffen, den Motiven, den Situa¬ tionen seiner Gemälde so in Einklang zu bringen, daß das Darstellungsmotiv durch sich selbst eher auf uns wirkt als die Farbe. Die Wirkung seiner Ge¬ mälde ist demnach immer eine grvbsinnliche. Tiefere Empfindungen werden von ihnen fast niemals wachgerufen. Seine Mittel find ausschließlich äußer¬ licher Natur: Farbe, Tonwirkung, ein glänzender Apparat und theatralisch¬ pathetische Bewegungen. Piloty steht ebensosehr nach der stofflichen wie nach der technischen Seite unter dem Einfluß der Belgier. Während die „Gründung der Liga" eine ge¬ wisse Verwandtschaft mit de Bicfves „Kompromiß der Edlen" nicht verleugnen konnte, zeigte „Seni vor Wallensteins Leiche" das unverkennbare Bestreben des Künstlers, mit Gallaits „Brüsseler Schützengilde vor den Leichen Egmonts und Hoorns" zu wetteifern. Man fühlte auch seiner Zeit sehr schnell die gei¬ stige Verwandtschaft dieser beide» Leichenparadeu heraus. Auf Veranlassung eines amerikanischen Kunstfreundes gab er dein Wallen- steinbilde noch eine andere, bedeutend erweiterte Fassung. Er stellte den Moment dar, wie der Leichnam von Soldaten in Gegenwart Butters aus dem Gemache heransgeschleift wird, während einer der Mörder, der noch im Zimmer zurück¬ geblieben ist, an dem seidenen Bettvorhänge das Blut von seiner Hellebarde wischt. Für amerikanische Nerven mag dieser brutale Zug eine willkommene Nuance gewesen sein. In München fand man an dieser zweiten Version der unheimlichen Katastrophe ein ungleich geringeres Vergnügen als an der ersten, knapper und doch wirkungsvoller erzählten, die einen Ehrenplatz in der neuen Pinakothek erhielt. Ungefähr in dieselbe Zeit (1856—1858) fällt die Vollendung eines zweiten figurenreichen Bildes aus der Geschichte des Herzogs Maximilian: „Der Morgen vor der Schlacht am weißen Berge." Unter einem Zeltdache steht Maximilian in Berathung mit seinen Feldherren. Die Entscheidung scheint eben gefallen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/350>, abgerufen am 23.07.2024.