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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Kurz vorher war in Frankreich die Julirevolution ausgebrochen und zuckte nun
fast in ganz Europa nach; überall fand sich Zündstoff. In Braunschweig hatte
man den Herzog Karl verjagt; in Sachsen war die constitutionelle Verfassung
eingeführt worden, in Hessen sollte die Einführung derselben am 9. Januar
gefeiert werden. Als die Göttinger Studentenschaft um Mitternacht auf dem
Marktplatze dem alten Jahre ein Pereat und dem neuen ein Vivat gebracht
hatte und dann durch das Weenderthor hinaus zum alten Prorector gezogen
war, um ihm gleichfalls ein Vivat zu bringen, schloß sich ihnen auf dem Rückwege
eine ungewöhnlich große Zahl von Bürgern an. Dieser so vermehrte Zug
brachte erst dem Polizeicommissar Westphal, dann dem Justizrath von dem
Knesebeck ein Pereat. Mit ersterem hatte die Studentenschaft gar nichts zu
thun, aber er war bei der Bürgerschaft verhaßt; der letztere aber hatte vor
kurzem den Souveränen Europas eine Schrift gewidmet, in der als Mittel
gegen alle Revolutionen empfohlen wurde, die Jugend aller Staaten auf Schulen
und Universitäten nach einem Loyalitäts-Katechismus zu erziehen. Schon vorher
waren drei junge Privatdocenten, Dr. Rauschenplat, Dr. Schuster und Dr. Ahrens,
letzterer Krauses Schüler, unter polizeiliche Aufsicht gestellt worden; nach dem
erwähnten Nachtsccmdal wurde Dr. Schulz, ebenfalls Krauses Schüler, der in
jenem Winter ein sehr besuchtes Colleg über den deutschen Bund las, aufgefordert,
das Heft zu demselben sofort dem Curatorium einzureichen; denn einer seiner
Zuhörer, über dessen Eifer im Nachschreiben sich Schulz besonders gefreut hatte,
hatte dieses Heft allemal an einen Geheimen Hofrath nach Hannover geschickt,
und dieser fand darin äußerst bedenkliche Dinge. Schulz erwiederte, er habe
gar kein Heft; außerdem erklärte er in seiner nächsten Vorlesung: er Protestire
dagegen, daß die Wissenschaft unter Censur gestellt werde. Da brach plötzlich
am 8. Januar eine Bewegung ans. Bürger und Studenten bildeten eine Bürger¬
und eine akademische Garde, und diese setzten die Entlassung des Polizeicom-
missars durch. An der Spitze standen unter anderen Eggeling, ein Freund
Krauses, und Dr. Ahrens; betheiligt war jedenfalls auch Dr. Plath, Krauses
Schwiegersohn. Als Dr. Ahrens in dem neugewählten Gemeinderäthe als
einziger Schriftführer nicht fertig werden konnte, nöthigte man Gottfried Schulz,
zu seiner Hilfe gleichfalls in den Gemeinderath einzutreten. Die tolle Wirth¬
schaft dauerte aber nicht lange; sie hätte sich selbst in Wohlgefallen aufgelöst,
auch wenn der Herzog v. Cambridge nicht ein Heer von 8000 Mann unter
dem General von dem Bussche gegen die "Aufwiegler" geschickt hätte. Als
dieser sich näherte, war es aus mit der Revolution. Der General verlangte die
Auslieferung der Rädelsführer; die meisten flohen, unter ihnen Ahrens, Schulz
und Plath; der letztere wurde wenige Tage darauf in Gotha verhaftet und
büßte durch jahrelange Haft und Vernichtung seines häuslichen Glückes eine


Kurz vorher war in Frankreich die Julirevolution ausgebrochen und zuckte nun
fast in ganz Europa nach; überall fand sich Zündstoff. In Braunschweig hatte
man den Herzog Karl verjagt; in Sachsen war die constitutionelle Verfassung
eingeführt worden, in Hessen sollte die Einführung derselben am 9. Januar
gefeiert werden. Als die Göttinger Studentenschaft um Mitternacht auf dem
Marktplatze dem alten Jahre ein Pereat und dem neuen ein Vivat gebracht
hatte und dann durch das Weenderthor hinaus zum alten Prorector gezogen
war, um ihm gleichfalls ein Vivat zu bringen, schloß sich ihnen auf dem Rückwege
eine ungewöhnlich große Zahl von Bürgern an. Dieser so vermehrte Zug
brachte erst dem Polizeicommissar Westphal, dann dem Justizrath von dem
Knesebeck ein Pereat. Mit ersterem hatte die Studentenschaft gar nichts zu
thun, aber er war bei der Bürgerschaft verhaßt; der letztere aber hatte vor
kurzem den Souveränen Europas eine Schrift gewidmet, in der als Mittel
gegen alle Revolutionen empfohlen wurde, die Jugend aller Staaten auf Schulen
und Universitäten nach einem Loyalitäts-Katechismus zu erziehen. Schon vorher
waren drei junge Privatdocenten, Dr. Rauschenplat, Dr. Schuster und Dr. Ahrens,
letzterer Krauses Schüler, unter polizeiliche Aufsicht gestellt worden; nach dem
erwähnten Nachtsccmdal wurde Dr. Schulz, ebenfalls Krauses Schüler, der in
jenem Winter ein sehr besuchtes Colleg über den deutschen Bund las, aufgefordert,
das Heft zu demselben sofort dem Curatorium einzureichen; denn einer seiner
Zuhörer, über dessen Eifer im Nachschreiben sich Schulz besonders gefreut hatte,
hatte dieses Heft allemal an einen Geheimen Hofrath nach Hannover geschickt,
und dieser fand darin äußerst bedenkliche Dinge. Schulz erwiederte, er habe
gar kein Heft; außerdem erklärte er in seiner nächsten Vorlesung: er Protestire
dagegen, daß die Wissenschaft unter Censur gestellt werde. Da brach plötzlich
am 8. Januar eine Bewegung ans. Bürger und Studenten bildeten eine Bürger¬
und eine akademische Garde, und diese setzten die Entlassung des Polizeicom-
missars durch. An der Spitze standen unter anderen Eggeling, ein Freund
Krauses, und Dr. Ahrens; betheiligt war jedenfalls auch Dr. Plath, Krauses
Schwiegersohn. Als Dr. Ahrens in dem neugewählten Gemeinderäthe als
einziger Schriftführer nicht fertig werden konnte, nöthigte man Gottfried Schulz,
zu seiner Hilfe gleichfalls in den Gemeinderath einzutreten. Die tolle Wirth¬
schaft dauerte aber nicht lange; sie hätte sich selbst in Wohlgefallen aufgelöst,
auch wenn der Herzog v. Cambridge nicht ein Heer von 8000 Mann unter
dem General von dem Bussche gegen die „Aufwiegler" geschickt hätte. Als
dieser sich näherte, war es aus mit der Revolution. Der General verlangte die
Auslieferung der Rädelsführer; die meisten flohen, unter ihnen Ahrens, Schulz
und Plath; der letztere wurde wenige Tage darauf in Gotha verhaftet und
büßte durch jahrelange Haft und Vernichtung seines häuslichen Glückes eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/335>, abgerufen am 23.07.2024.