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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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denjenigen Nationen Frieden zu gebieten, welche auf den Gedanken kommen könnten,
uns anzugreifen. Wir sagten nur: Der Angriff, welcher in der Luft liegt, ist
nicht unvermeidlich, es giebt mehr als ein Mittel, ihn zu verhindern, z. B.
wenn der Glaube in Europa befestigt würde, daß England den Pflichten nach¬
kommen wird, die es durch Verträge übernommen hat. Und in dieser Beziehung
konnten wir uns zuschreiben, etwas erreicht zu haben, denn die "Times" schreibt
wörtlich: "Unsere vertragsmäßigen Rechte und Pflichten sind ausreichend für
unsere Zwecke." Mehr braucht es nicht. England hat durch feierliche Verträge
die Neutralität der Schweiz, Luxemburgs und Belgiens verbürgt. Bei Ver¬
bürgung der Neutralität Luxemburgs sagte freilich Lord Derby, der damalige
auswärtige Minister: Solche Bürgschaften müsse man nicht schwer nehmen;
England werde die seinige erst einlösen, nachdem es bei allen anderen Bürgen
gefragt, was sie zu thun gedächten, und erfahren, daß es ihnen sich nur anzu¬
schließen brauche. Indeß das war Lord Derby, dessen Besitz England jetzt wohl
richtig schätzt. Aber selbst ein auswärtiger Minister, der wie Lord Derby dächte,
hätte keine Ausrede, Belgien im Stich zu lassen, wenn es zur Operationsbasis
eines Angriffs auf Deutschland gemacht werden sollte, denn Deutschland würde
sicherlich dem widerrechtlich besetzten Lande zu Hilfe kommen, und England
brauchte sich nur anzuschließen. Der kurze Satz der "Times", den wir ange¬
führt, könnte uns also sehr befriedigen, wenn ein Unterschied zwischen dem Aus¬
wärtigen Amte und dem City-Blatt niemals anzunehmen wäre.

Am andern Tage gab die "Times" ihrem Pariser Korrespondenten über
denselben Gegenstand das Wort. Zwei merkwürdige Dinge sind es, die uns
Herr v. Blowitz da mittheilt. Erstlich, daß die Franzosen gar nicht daran denken,
sich mit Rußland zu verbinden, weil sie überzeugt sind, daß Rußlands gegen¬
wärtige Höflichkeit gegen sie einzig und allein den jZweck hat -- wieder in den
Dreikaiserbnnd zu gelangen, "'s ist ein feiner Diplomat" -- singt der Bürger¬
meister von Saardam in "Czaar und Zimmermann" -- Herr v. Blowitz nämlich.
Aber seine zweite Enthüllung ist noch merkwürdiger; wer würde auch den stärk¬
sten Pfeil zuerst abschießen? Sie lautet: Die Deutschen sprechen von einem
französisch-russischen Bündniß, um Mißtrauen zu säen zwischen England und
Frankreich! Aber was in aller Welt hätten wir davon? Wir schätzten die
auswärtige Leitung des Herrn Waddington darum so hoch, weil sie darauf
abzielte, Frankreich und England zu nähern, das hieß aber nichts anderes, als
Frankreich zum Theilnehmer des westeuropäischen Einverständnisses zu erheben,
welches zwischen Deutschland, Oesterreich und England gute Fortschritte macht.
Wir fürchten sehr, daß Herr Waddingtou Herrn de Freycinet vor allem darum
weichen mußte, weil das anonyme Haupt der französischen Regierung seinem
Lande die Wahl freihalten will zwischen Rußland und England. Zu dieser


denjenigen Nationen Frieden zu gebieten, welche auf den Gedanken kommen könnten,
uns anzugreifen. Wir sagten nur: Der Angriff, welcher in der Luft liegt, ist
nicht unvermeidlich, es giebt mehr als ein Mittel, ihn zu verhindern, z. B.
wenn der Glaube in Europa befestigt würde, daß England den Pflichten nach¬
kommen wird, die es durch Verträge übernommen hat. Und in dieser Beziehung
konnten wir uns zuschreiben, etwas erreicht zu haben, denn die „Times" schreibt
wörtlich: „Unsere vertragsmäßigen Rechte und Pflichten sind ausreichend für
unsere Zwecke." Mehr braucht es nicht. England hat durch feierliche Verträge
die Neutralität der Schweiz, Luxemburgs und Belgiens verbürgt. Bei Ver¬
bürgung der Neutralität Luxemburgs sagte freilich Lord Derby, der damalige
auswärtige Minister: Solche Bürgschaften müsse man nicht schwer nehmen;
England werde die seinige erst einlösen, nachdem es bei allen anderen Bürgen
gefragt, was sie zu thun gedächten, und erfahren, daß es ihnen sich nur anzu¬
schließen brauche. Indeß das war Lord Derby, dessen Besitz England jetzt wohl
richtig schätzt. Aber selbst ein auswärtiger Minister, der wie Lord Derby dächte,
hätte keine Ausrede, Belgien im Stich zu lassen, wenn es zur Operationsbasis
eines Angriffs auf Deutschland gemacht werden sollte, denn Deutschland würde
sicherlich dem widerrechtlich besetzten Lande zu Hilfe kommen, und England
brauchte sich nur anzuschließen. Der kurze Satz der „Times", den wir ange¬
führt, könnte uns also sehr befriedigen, wenn ein Unterschied zwischen dem Aus¬
wärtigen Amte und dem City-Blatt niemals anzunehmen wäre.

Am andern Tage gab die „Times" ihrem Pariser Korrespondenten über
denselben Gegenstand das Wort. Zwei merkwürdige Dinge sind es, die uns
Herr v. Blowitz da mittheilt. Erstlich, daß die Franzosen gar nicht daran denken,
sich mit Rußland zu verbinden, weil sie überzeugt sind, daß Rußlands gegen¬
wärtige Höflichkeit gegen sie einzig und allein den jZweck hat — wieder in den
Dreikaiserbnnd zu gelangen, „'s ist ein feiner Diplomat" — singt der Bürger¬
meister von Saardam in „Czaar und Zimmermann" — Herr v. Blowitz nämlich.
Aber seine zweite Enthüllung ist noch merkwürdiger; wer würde auch den stärk¬
sten Pfeil zuerst abschießen? Sie lautet: Die Deutschen sprechen von einem
französisch-russischen Bündniß, um Mißtrauen zu säen zwischen England und
Frankreich! Aber was in aller Welt hätten wir davon? Wir schätzten die
auswärtige Leitung des Herrn Waddington darum so hoch, weil sie darauf
abzielte, Frankreich und England zu nähern, das hieß aber nichts anderes, als
Frankreich zum Theilnehmer des westeuropäischen Einverständnisses zu erheben,
welches zwischen Deutschland, Oesterreich und England gute Fortschritte macht.
Wir fürchten sehr, daß Herr Waddingtou Herrn de Freycinet vor allem darum
weichen mußte, weil das anonyme Haupt der französischen Regierung seinem
Lande die Wahl freihalten will zwischen Rußland und England. Zu dieser


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/310>, abgerufen am 22.07.2024.