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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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gebrauchen, sie können nicht davon leben. Bei unseren jetzigen Löhnen können
die Arbeiter uicht bestehen." Trotz des geschäftlichen Aufschwunges in der
Monden-Jndustrie und des schwindelnden Emporschnellens ihrer Papiere stehen
auch heute die Arbeitslöhne noch immer auf dem alten Flecke. Gleichviel also
ob die Ueberproduction an Stahl in Rheinland-Westfalen bleibt, oder durch
Luxemburg und Lothringen vermehrt wird oder sich dahin verschiebt, eine Hoff¬
nung auf Erlösung aus der Arbeiter- und Arbeitsnoth erscheint dnrch nichts
begründet.

Weitreichende peeuniäre Vortheile stehen freilich auch den Minette-Districten
bez. den Luxemburger und Lothringer Werken keineswegs in Aussicht. Da an
eine lohnende Export-Industrie in Bessemer-Stahl, selbst auf weitere Zukunft
hinaus, nicht zu denken ist und der deutsche Markt nicht einmal die ganze Pro-
duction der Minette-Districte wird aufnehmen können, so wird es nur dann ge¬
lingen, einigermaßen lohnende Preise zu erzielen, wenn die Production nicht
mehr wie bisher in tollem Eifer auf das Gernthewohl hin arbeitet, sondern durch
weise Beschränkung auf den thatsächlichen Bedarf die Sicherung des heimischen
Marktes sich ermöglicht.

Der einzige Zweig der Monden-Jndustrie in Deutschland, auf welchen die
Erfindung der Entphosphorung des Eisens fructisicirend einwirken wird und
muß, ist die Kohlenförderung im Saarbrücker Kohlenbecken, denn auf die Saar¬
kohle sind die Luxemburger und Lothringer Werke hauptsächlich angewiesen.
Aber auch hier ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen,
denn durch den Niedergang der rheinisch-westfälischen Werke werden die Kohlen¬
zechen der Ruhr gezwungen werden, ihre Ueberproduction nach entfernteren
Absatzgebieten zu führen und den Saargruben starke Concurrenz zu machen.
Die Förderung der Saargruben also wird und muß eine sehr intensive werden;
die Kohlen preise aber dürften die gegenwärtige Höhe schwerlich weit übersteigen.

Wie wird also voraussichtlich die nächste Generation urtheilen über die
Erfolge, welche die Entphosphorung des Eisens auf unsere Culturentwicklung,
unsere Volkswohlfahrt haben wird? --Sie wird sagen: Die Cnlturentwicklung
hat mit der Entphosphorung des Eisens einen mächtigen Schritt vorwärts ge¬
than, die Wohlfahrt des Volkes aber, indem sie auf dem alte" Fleck stehen blieb
und die Culturentwickluug an sich mußte vorüberrauschen lassen, ist gegen diese
wiederum einen weiteren Schritt zurückgeblieben.

Sollte der Pessimismus doch am Ende Recht behalten, wenn er sagt, daß
Cnlturentwicklung und Volkswohlfahrt sich uicht decken?*)


Eduard Braun.



Wir haben den vorstehenden instructiven Artikel unverändert zum Abdruck gebracht,
wiewohl uns der Verfasser die Zukunft der westfälischen Industrie mit etwas zu düsteren

gebrauchen, sie können nicht davon leben. Bei unseren jetzigen Löhnen können
die Arbeiter uicht bestehen." Trotz des geschäftlichen Aufschwunges in der
Monden-Jndustrie und des schwindelnden Emporschnellens ihrer Papiere stehen
auch heute die Arbeitslöhne noch immer auf dem alten Flecke. Gleichviel also
ob die Ueberproduction an Stahl in Rheinland-Westfalen bleibt, oder durch
Luxemburg und Lothringen vermehrt wird oder sich dahin verschiebt, eine Hoff¬
nung auf Erlösung aus der Arbeiter- und Arbeitsnoth erscheint dnrch nichts
begründet.

Weitreichende peeuniäre Vortheile stehen freilich auch den Minette-Districten
bez. den Luxemburger und Lothringer Werken keineswegs in Aussicht. Da an
eine lohnende Export-Industrie in Bessemer-Stahl, selbst auf weitere Zukunft
hinaus, nicht zu denken ist und der deutsche Markt nicht einmal die ganze Pro-
duction der Minette-Districte wird aufnehmen können, so wird es nur dann ge¬
lingen, einigermaßen lohnende Preise zu erzielen, wenn die Production nicht
mehr wie bisher in tollem Eifer auf das Gernthewohl hin arbeitet, sondern durch
weise Beschränkung auf den thatsächlichen Bedarf die Sicherung des heimischen
Marktes sich ermöglicht.

Der einzige Zweig der Monden-Jndustrie in Deutschland, auf welchen die
Erfindung der Entphosphorung des Eisens fructisicirend einwirken wird und
muß, ist die Kohlenförderung im Saarbrücker Kohlenbecken, denn auf die Saar¬
kohle sind die Luxemburger und Lothringer Werke hauptsächlich angewiesen.
Aber auch hier ist dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen,
denn durch den Niedergang der rheinisch-westfälischen Werke werden die Kohlen¬
zechen der Ruhr gezwungen werden, ihre Ueberproduction nach entfernteren
Absatzgebieten zu führen und den Saargruben starke Concurrenz zu machen.
Die Förderung der Saargruben also wird und muß eine sehr intensive werden;
die Kohlen preise aber dürften die gegenwärtige Höhe schwerlich weit übersteigen.

Wie wird also voraussichtlich die nächste Generation urtheilen über die
Erfolge, welche die Entphosphorung des Eisens auf unsere Culturentwicklung,
unsere Volkswohlfahrt haben wird? —Sie wird sagen: Die Cnlturentwicklung
hat mit der Entphosphorung des Eisens einen mächtigen Schritt vorwärts ge¬
than, die Wohlfahrt des Volkes aber, indem sie auf dem alte» Fleck stehen blieb
und die Culturentwickluug an sich mußte vorüberrauschen lassen, ist gegen diese
wiederum einen weiteren Schritt zurückgeblieben.

Sollte der Pessimismus doch am Ende Recht behalten, wenn er sagt, daß
Cnlturentwicklung und Volkswohlfahrt sich uicht decken?*)


Eduard Braun.



Wir haben den vorstehenden instructiven Artikel unverändert zum Abdruck gebracht,
wiewohl uns der Verfasser die Zukunft der westfälischen Industrie mit etwas zu düsteren
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/304>, abgerufen am 22.07.2024.