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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Nebenflüsse für sich, machten namentlich das Tullner Feld zum Hauptcentrum
ihrer Ansiedelungen und bauten überdies gern ihr germanisches Bauernhaus im
Schatten altrömischer Castelle. Abwärts vom Wiener Walde wurde nur die
Strecke der Donau bis Carnuntum von deutschen Ansiedlern in Besitz genommen.
Karls des Großen Awarenkrieg, die Errichtung der Ostmark und die Organi¬
sation der christlichen Kirche förderten diesen Proceß mächtig. Noch ist jedoch
damals an der Donau Lorch der einzige Handelsplatz, bis zu welchem die deut¬
schen Kaufleute vorgehen dürfen, und mit schwerer Strafe wird der Versuch,
Waffen und Rüstungen auszuführen, bedroht, noch also gelten die Ostmark und
Pannonien als unsichere Erwerbung, halb als Ausland.

Waren demnach auch diese Lande noch weit davon entfernt, wirklich deutsche
zu sein, so blühte doch in den Thälern der Ostalpen deutsches Leben fröhlich
empor. Da schlugen plötzlich die Fluthen einer neuen Völkerwanderung zer¬
störend über dem Lande zusammen. Das wilde mongolische Reitervolk der
Magyaren brach in die alten Wohnsitze der ihnen stammverwandten Awaren
ein; der Sturz des Mährenreiches, durch die Angriffe der Deutschen selbst be¬
schleunigt, riß die letzte schützende Vormauer nieder, und in einer mörderischen
Schlacht vernichteten 907 die Magyaren die Wehrkraft des bairischen Stammes.
"Nicht leicht," mit diesen Worten schließt der Verfasser diesen ersten Abschnitt
seiner Darstellung, "kann sich ein anderes Ereigniß der älteren deutschen Ge¬
schichte an verhängnißschwerer Bedeutung mit dieser Junischlacht des Jahres 907
messen. Unwiderruflich zerstört war die herrschende Stellung, welche bis dahin
Baiern im ostfränkischen Reiche behauptet hatte. Verloren war alles, was seit
mehr als hundert Jahren das Schwert und der Pflug zumeist des bairischen
Stammes dem Mutterlande gewonnen, verloren die Ostmark und ganz Panno¬
nien, die deutsche Herrschaft zurückgeschleudert bis an die Enns, das eigene
Stammland den verheerenden Einfällen barbarischer Horden wehrlos überliefert,
die politischen und kirchlichen Bande mit den deutschen Pflanzungen jenseits der
Enns zerrissen, sie selbst vernichtet oder der Verkümmerung preisgegeben. Nie¬
mals ist dieser Verlust wieder völlig eingebracht worden. Nur ein kleiner Theil
dieser Lande wurde im 10. und 11. Jahrhundert zurückgewonnen, niemals aber,
seitdem ein ungarischer Staat sich gebildet hat, ist es gelungen, das alte Panno¬
nien deutscher Herrschaft und deutschem Volksthume wieder zu erobern. Ohne
die Dazwischenkamst der Magyaren und ohne die Schlacht von 907 würden
nach menschlichem Ermessen die Marken des geschlossenen deutschen National¬
gebietes statt an der oberen Raab heute an der unteren save stehen."




Nebenflüsse für sich, machten namentlich das Tullner Feld zum Hauptcentrum
ihrer Ansiedelungen und bauten überdies gern ihr germanisches Bauernhaus im
Schatten altrömischer Castelle. Abwärts vom Wiener Walde wurde nur die
Strecke der Donau bis Carnuntum von deutschen Ansiedlern in Besitz genommen.
Karls des Großen Awarenkrieg, die Errichtung der Ostmark und die Organi¬
sation der christlichen Kirche förderten diesen Proceß mächtig. Noch ist jedoch
damals an der Donau Lorch der einzige Handelsplatz, bis zu welchem die deut¬
schen Kaufleute vorgehen dürfen, und mit schwerer Strafe wird der Versuch,
Waffen und Rüstungen auszuführen, bedroht, noch also gelten die Ostmark und
Pannonien als unsichere Erwerbung, halb als Ausland.

Waren demnach auch diese Lande noch weit davon entfernt, wirklich deutsche
zu sein, so blühte doch in den Thälern der Ostalpen deutsches Leben fröhlich
empor. Da schlugen plötzlich die Fluthen einer neuen Völkerwanderung zer¬
störend über dem Lande zusammen. Das wilde mongolische Reitervolk der
Magyaren brach in die alten Wohnsitze der ihnen stammverwandten Awaren
ein; der Sturz des Mährenreiches, durch die Angriffe der Deutschen selbst be¬
schleunigt, riß die letzte schützende Vormauer nieder, und in einer mörderischen
Schlacht vernichteten 907 die Magyaren die Wehrkraft des bairischen Stammes.
„Nicht leicht," mit diesen Worten schließt der Verfasser diesen ersten Abschnitt
seiner Darstellung, „kann sich ein anderes Ereigniß der älteren deutschen Ge¬
schichte an verhängnißschwerer Bedeutung mit dieser Junischlacht des Jahres 907
messen. Unwiderruflich zerstört war die herrschende Stellung, welche bis dahin
Baiern im ostfränkischen Reiche behauptet hatte. Verloren war alles, was seit
mehr als hundert Jahren das Schwert und der Pflug zumeist des bairischen
Stammes dem Mutterlande gewonnen, verloren die Ostmark und ganz Panno¬
nien, die deutsche Herrschaft zurückgeschleudert bis an die Enns, das eigene
Stammland den verheerenden Einfällen barbarischer Horden wehrlos überliefert,
die politischen und kirchlichen Bande mit den deutschen Pflanzungen jenseits der
Enns zerrissen, sie selbst vernichtet oder der Verkümmerung preisgegeben. Nie¬
mals ist dieser Verlust wieder völlig eingebracht worden. Nur ein kleiner Theil
dieser Lande wurde im 10. und 11. Jahrhundert zurückgewonnen, niemals aber,
seitdem ein ungarischer Staat sich gebildet hat, ist es gelungen, das alte Panno¬
nien deutscher Herrschaft und deutschem Volksthume wieder zu erobern. Ohne
die Dazwischenkamst der Magyaren und ohne die Schlacht von 907 würden
nach menschlichem Ermessen die Marken des geschlossenen deutschen National¬
gebietes statt an der oberen Raab heute an der unteren save stehen."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/246>, abgerufen am 22.07.2024.