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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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zu ordnen und unter einander zu verbinden.") Wenn er auch hierbei, wie der
Gegenstand es gar nicht anders zuläßt, angethan mit dem schweren Rüstzeug
gelehrter Forschung einherschreitet, so hat er es doch zugleich verstanden, ein
künstlerisch wirkendes und darum auch für den nicht fachmännischer Leser an¬
ziehendes Mosaikbild aus der Masse der einzelnen Steinchen zusammenzufügen.

Wie sich der Naturforscher von den verschiedenen geologischen Schichten des
Erdbodens die Geschichte seiner Bildung erzählen läßt, so helfen dem Historiker
die noch erkennbaren Ueberreste mehrerer über einander gelagerten Bevölkerungs¬
schichten die Schicksale dieser Gegenden in Zeiträumen ausheilen, die weit vor
dem Anfange ihrer eigentlichen Geschichte liegen. Von der unter südländischer,
vornehmlich etruskischer Einwirkung entwickelten vorrömischen Cultur der Be¬
wohner Noricums, deren keltische Nationalität nicht bloß durch die bestimmtesten
Angaben der Alten, sondern auch durch die zu Hunderten überlieferten Orts¬
lind Personennamen über allen Zweifel erhaben ist, ein Bild zu gewinnen, dies
ermöglichen uns nicht sowohl die Nachrichten antiker Schriftsteller als vielmehr
die Funde in Pfahlbauten und Gräbern, was letztere betrifft, vor allem die auf
dem großartigen Todtenfelde von Hallstatt, wo nicht weniger als 993 Gräber
bloßgelegt und 6084 Objecte aus ihnen entnommen worden sind. Durchweg
zeigen diese eine Bevölkerung mit bereits sehr mannigfachen Bedürfnissen, wie
sie nur eine höhere Cultur hervorruft, und hinter der die des östlicheren Pan-
noniens noch weit zurücksteht. Frühzeitig verstände" diese Ostkelten, die Mine¬
ralschätze ihres Landes, Salz, Kupfer, Eisen, Gold, zu gewinnen und, gleich den
Producten ihrer Herden, der Wolle und dem Leder, selbst zu verarbeiten. Seit
der zweiten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts drangen die etruski-
schen Handelsleute bis in diese Thäler vor, wo sie für die Erzeugnisse ihrer
heimischen Metallindustrie reiche Rimessen fanden an dem trefflichen steirischen'
Eisen und dem Bernstein der Ostseeküste. Denn auch für einen nordwärts ge¬
richteten Handelsweg, der die Traun hinunter zur Donau und diese überschrei¬
tend nach Böhmen und Schlesien führte, war Hallstadt der Ausgangspunkt,
während weiter nach Osten Carnuntum, das heutige Petronell, einen wichtigen
Stapelplatz des Bernsteinhandels bildete.

Allmählich wird eine Steigerung der norischen Civilisation sichtbar, einge¬
leitet durch den kräftigen Concurrenten des etruskischen Händlers, den römischen
Kaufmann, der den Wein, das Oel, die Erzeugnisse des Gewerbfleißes des
Südens, austauscht gegen Bergbauproducte, Vieh, Häute, Sclaven. Kräftiger aber
noch wirkt hier wie anderwärts die militärische Organisation des Römerreichs,



*) Die Entstehung des österreichischen Deutschthums. Von Otto Kämmel.
Erster Band. Bis zum Ausgange der Karolingerzeit. Leipzig, Duncker K Humblot, 1880.

zu ordnen und unter einander zu verbinden.") Wenn er auch hierbei, wie der
Gegenstand es gar nicht anders zuläßt, angethan mit dem schweren Rüstzeug
gelehrter Forschung einherschreitet, so hat er es doch zugleich verstanden, ein
künstlerisch wirkendes und darum auch für den nicht fachmännischer Leser an¬
ziehendes Mosaikbild aus der Masse der einzelnen Steinchen zusammenzufügen.

Wie sich der Naturforscher von den verschiedenen geologischen Schichten des
Erdbodens die Geschichte seiner Bildung erzählen läßt, so helfen dem Historiker
die noch erkennbaren Ueberreste mehrerer über einander gelagerten Bevölkerungs¬
schichten die Schicksale dieser Gegenden in Zeiträumen ausheilen, die weit vor
dem Anfange ihrer eigentlichen Geschichte liegen. Von der unter südländischer,
vornehmlich etruskischer Einwirkung entwickelten vorrömischen Cultur der Be¬
wohner Noricums, deren keltische Nationalität nicht bloß durch die bestimmtesten
Angaben der Alten, sondern auch durch die zu Hunderten überlieferten Orts¬
lind Personennamen über allen Zweifel erhaben ist, ein Bild zu gewinnen, dies
ermöglichen uns nicht sowohl die Nachrichten antiker Schriftsteller als vielmehr
die Funde in Pfahlbauten und Gräbern, was letztere betrifft, vor allem die auf
dem großartigen Todtenfelde von Hallstatt, wo nicht weniger als 993 Gräber
bloßgelegt und 6084 Objecte aus ihnen entnommen worden sind. Durchweg
zeigen diese eine Bevölkerung mit bereits sehr mannigfachen Bedürfnissen, wie
sie nur eine höhere Cultur hervorruft, und hinter der die des östlicheren Pan-
noniens noch weit zurücksteht. Frühzeitig verstände» diese Ostkelten, die Mine¬
ralschätze ihres Landes, Salz, Kupfer, Eisen, Gold, zu gewinnen und, gleich den
Producten ihrer Herden, der Wolle und dem Leder, selbst zu verarbeiten. Seit
der zweiten Hälfte des fünften vorchristlichen Jahrhunderts drangen die etruski-
schen Handelsleute bis in diese Thäler vor, wo sie für die Erzeugnisse ihrer
heimischen Metallindustrie reiche Rimessen fanden an dem trefflichen steirischen'
Eisen und dem Bernstein der Ostseeküste. Denn auch für einen nordwärts ge¬
richteten Handelsweg, der die Traun hinunter zur Donau und diese überschrei¬
tend nach Böhmen und Schlesien führte, war Hallstadt der Ausgangspunkt,
während weiter nach Osten Carnuntum, das heutige Petronell, einen wichtigen
Stapelplatz des Bernsteinhandels bildete.

Allmählich wird eine Steigerung der norischen Civilisation sichtbar, einge¬
leitet durch den kräftigen Concurrenten des etruskischen Händlers, den römischen
Kaufmann, der den Wein, das Oel, die Erzeugnisse des Gewerbfleißes des
Südens, austauscht gegen Bergbauproducte, Vieh, Häute, Sclaven. Kräftiger aber
noch wirkt hier wie anderwärts die militärische Organisation des Römerreichs,



*) Die Entstehung des österreichischen Deutschthums. Von Otto Kämmel.
Erster Band. Bis zum Ausgange der Karolingerzeit. Leipzig, Duncker K Humblot, 1880.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/243>, abgerufen am 23.07.2024.