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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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lichkeitsglauben nicht an. "Solange die Völker auf der Oberwelt etwas Rechtes
zu thun haben, bleibt ihnen keine Zeit, über den Tod zu träumen, und zu sinnen
auf das, was Hernachmals kommen wird" -- eine Bemerkung, die lebhaft an
die Anschauungsweise des alten Goethe erinnert, der zwar "keineswegs das
Glück entbehren" mochte, "an eine künftige Fortdauer zu glauben", und mit
Lorenzo von Medici alle diejenigen auch für dieses Leben für todt erklärte,
welche kein anderes hoffen, der aber doch allem Grübeln und Reden über diese
Dinge abhold war. "Die Beschäftigung mit Unsterblichkeitsideen," sagte er, "ist
für vornehme Stände und besonders für Frauenzimmer, die nichts zu thun
haben. Ein tüchtiger Mensch aber, der schon hier etwas Ordentliches zu sein
gedenkt, und der daher täglich zu streben, zu kämpfen und zu wirken hat, läßt
die kiwftige Welt auf sich beruhen und ist thätig und nützlich in dieser." (Ecker¬
mann, Gespräche mit Goethe I S. 85 und 86.)

Außer dem Ueberblick über das Gleichmäßige in den religiösen Vorstellungen
der verschiedenen Völker giebt nun Happel auch einen lehrreichen Hinweis auf
die Aehnlichkeiten in ihren religiösen Handlungen. "Hauptsächlich um dreier
Zwecke willen macht sich der Mensch mit seiner Gottheit zu schaffen: er will
die Gottheit erforschen, er will sie genießen, er will damit wirken; darum sind
das Orakeln, das Opfern und die Zauberei die wesentlichsten und am allge¬
meinsten verbreiteten religiösen Thätigkeiten." Man sieht, daß dieselben in der
dreifachen Function des menschlichen Geistes überhaupt begründet sind, in Er¬
kenntniß, Gefühl und Willen -- beiläufig auch ein Zeugniß dafür, daß die
Religion nicht bloß Sache einer Seite des Menschen, sondern des ganzen
Menschen ist. Und wenn wir statt der etwas speciellen und mehr auf untergeord¬
nete Religionsstufen hinweisenden Ausdrücke "Orakel, Opfer und Zauberei"
etwa die anderen einsetzen: Gottessprüche, Gottesdienste und Gotteswerke
(Wunder), so können wir geradezu behaupten, daß alle Religionen dieselben in
irgend einer Form zu ihrem Wesen rechnen.

Ohne auf die reiche, concrete Ausfüllung jenes Schemas mit religionsge¬
schichtlichem Material einzugehen, wollen wir nur darauf hinweisen, wie Happel
in ebenso wissenschaftlicher wie religiöser Weise niemals über die vielleicht rohe
und ungeschlachte Außenseite solcher Erscheinungen plump aburtheilt, sondern
auch aus ihnen noch gleichsam den Herzschlag wirklicher Religion heraushört,
auch in ihnen die freilich noch unbeholfenen Regungen einer höheren Kraft in:
Menschen erblickt. So fagt er: "Man kann darüber spotten, daß der Mensch
auf der Naturstufe vom Lispeln der Blätter des Baumes Orakel nimmt, aber
geht nicht eben daraus hervor, daß in ihm noch etwas anderes und specifisch
höheres als im bloßen Thiere arbeitet?" Oder: "Weit entfernt davon, in der
Zauberei nur ein sinnloses Unternehmen zu sehen, legt sie vielmehr das Ursprung-


lichkeitsglauben nicht an. „Solange die Völker auf der Oberwelt etwas Rechtes
zu thun haben, bleibt ihnen keine Zeit, über den Tod zu träumen, und zu sinnen
auf das, was Hernachmals kommen wird" — eine Bemerkung, die lebhaft an
die Anschauungsweise des alten Goethe erinnert, der zwar „keineswegs das
Glück entbehren" mochte, „an eine künftige Fortdauer zu glauben", und mit
Lorenzo von Medici alle diejenigen auch für dieses Leben für todt erklärte,
welche kein anderes hoffen, der aber doch allem Grübeln und Reden über diese
Dinge abhold war. „Die Beschäftigung mit Unsterblichkeitsideen," sagte er, „ist
für vornehme Stände und besonders für Frauenzimmer, die nichts zu thun
haben. Ein tüchtiger Mensch aber, der schon hier etwas Ordentliches zu sein
gedenkt, und der daher täglich zu streben, zu kämpfen und zu wirken hat, läßt
die kiwftige Welt auf sich beruhen und ist thätig und nützlich in dieser." (Ecker¬
mann, Gespräche mit Goethe I S. 85 und 86.)

Außer dem Ueberblick über das Gleichmäßige in den religiösen Vorstellungen
der verschiedenen Völker giebt nun Happel auch einen lehrreichen Hinweis auf
die Aehnlichkeiten in ihren religiösen Handlungen. „Hauptsächlich um dreier
Zwecke willen macht sich der Mensch mit seiner Gottheit zu schaffen: er will
die Gottheit erforschen, er will sie genießen, er will damit wirken; darum sind
das Orakeln, das Opfern und die Zauberei die wesentlichsten und am allge¬
meinsten verbreiteten religiösen Thätigkeiten." Man sieht, daß dieselben in der
dreifachen Function des menschlichen Geistes überhaupt begründet sind, in Er¬
kenntniß, Gefühl und Willen — beiläufig auch ein Zeugniß dafür, daß die
Religion nicht bloß Sache einer Seite des Menschen, sondern des ganzen
Menschen ist. Und wenn wir statt der etwas speciellen und mehr auf untergeord¬
nete Religionsstufen hinweisenden Ausdrücke „Orakel, Opfer und Zauberei"
etwa die anderen einsetzen: Gottessprüche, Gottesdienste und Gotteswerke
(Wunder), so können wir geradezu behaupten, daß alle Religionen dieselben in
irgend einer Form zu ihrem Wesen rechnen.

Ohne auf die reiche, concrete Ausfüllung jenes Schemas mit religionsge¬
schichtlichem Material einzugehen, wollen wir nur darauf hinweisen, wie Happel
in ebenso wissenschaftlicher wie religiöser Weise niemals über die vielleicht rohe
und ungeschlachte Außenseite solcher Erscheinungen plump aburtheilt, sondern
auch aus ihnen noch gleichsam den Herzschlag wirklicher Religion heraushört,
auch in ihnen die freilich noch unbeholfenen Regungen einer höheren Kraft in:
Menschen erblickt. So fagt er: „Man kann darüber spotten, daß der Mensch
auf der Naturstufe vom Lispeln der Blätter des Baumes Orakel nimmt, aber
geht nicht eben daraus hervor, daß in ihm noch etwas anderes und specifisch
höheres als im bloßen Thiere arbeitet?" Oder: „Weit entfernt davon, in der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/236>, abgerufen am 01.07.2024.