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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Anfang bis zu Ende gefesselt werden wie von diesem. Der Verfasser ist seinen
theologischen Grundanschauungen nach ein Jünger Richard Rothes; für den weit¬
aus größten Theil seines Stoffes konnte er aber bei diesem keine directe Beleb/
rung finden, sondern war auf die eigenen Füße gestellt. Und was für ein
reiches Gebiet alter und neuer Literatur hat er für seinen Zweck rüstigen Fußes
und gesunden Blickes durchwandert!

Das erste der fünf Kapitel, in welchen Happel seinen Stoff behandelt,
trägt die Ueberschrift: "Die Existenz der religiösen Anlage." Es führt uns
eine Reihe von Zügen vor, die sich in den verschiedensten Religionen wieder¬
finden. Hierher gehört z. B. die Zwölfzahl und die Dreizahl, die in den
meisten Göttersystemen von großer Wichtigkeit sind. "Noch weit allgemeiner ist
der Dualismus eines guten und bösen Princips" und vor allem "die Auffassung
der Gottheit als Mann und Weib" verbreitet. Mißverständlich ist es nun frei¬
lich, wenn Happel "alle Religion von diesem letzteren Dualismus ausgegangen"
sein und in Himmel und Erde zuerst Vater und Mutter aller Sterblichen ge¬
sehen haben läßt (S. 14), Wir können ihn hier selbst als Zeugen gegen sich
aufrufen, denn S. 127 schreibt er "den Naturvölkern ursprünglich eine religiöse
Richtung auf alle Naturgegenstände" zu. Dies scheint entschieden das Richtigere.
Wenn wir irgendwo eine für unser Schicksal einflußreiche Persönlichkeit zu einer
ersten Begegnung erwarten, so sehen wir jeden Eintretenden, jeden Nahenden
darauf an, ob er nicht der Erwartete seine könne, und unsere Phantasie ist sehr
geneigt, die Frage bis auf weiteres zu bejahen. So mag auch der religiöse
Trieb, die religiöse Ahnung des noch ganz kindlichen Menschen, dem ja noch
alles, was ihn umgiebt, neu und räthselhaft ist, in allen Naturdingen etwas
geheimnißvoll Göttliches gefunden und erst in zweiter Linie -- wenn auch viel¬
leicht nicht viel später -- eine Ausscheidung vorgenommen, sich von seinem
naiven Polydämonismus zu einer auszeichnenden Verehrung der Himmelsgötter
erhoben haben. Nahe lag es dann, dem obersten Himmelsgotte die Erdgöttin
als Gattin beizugesellen. Weiter zeigt Happel, wie der, so zu sagen, anarchischen
Götterwelt fast überall ein centralisirender Trieb innewohnt, wie einem Gotte
die Hegemonie übertragen wird und die übrigen Götter dann als seine Brüder,
Söhne, Schwestern, Töchter und Weiber aufgefaßt werden, gleichzeitig aber auch
die ganze Götterfamilie immer mehr vermenschlicht wird.

"Am allerallgemeinsten aber ist der Geisterglaube verbreitet." Alles ist von
guten oder bösen Geistern "bewohnt, beseelt, besessen". Unter diesen Geistern
nehmen die der Vorfahren eine hervorragende Stelle ein. Ihre Verehrung setzt
aber auch bereits einen Unsterblichkeitsglauben voraus, der am häufigsten in
Gestalt der Annahme einer Seelenwanderung auftritt. Merkwürdigerweise hingen
aber gerade die lebensvollsten Nationen in ihrer Blütheperiode dem Unsterb-


Anfang bis zu Ende gefesselt werden wie von diesem. Der Verfasser ist seinen
theologischen Grundanschauungen nach ein Jünger Richard Rothes; für den weit¬
aus größten Theil seines Stoffes konnte er aber bei diesem keine directe Beleb/
rung finden, sondern war auf die eigenen Füße gestellt. Und was für ein
reiches Gebiet alter und neuer Literatur hat er für seinen Zweck rüstigen Fußes
und gesunden Blickes durchwandert!

Das erste der fünf Kapitel, in welchen Happel seinen Stoff behandelt,
trägt die Ueberschrift: „Die Existenz der religiösen Anlage." Es führt uns
eine Reihe von Zügen vor, die sich in den verschiedensten Religionen wieder¬
finden. Hierher gehört z. B. die Zwölfzahl und die Dreizahl, die in den
meisten Göttersystemen von großer Wichtigkeit sind. „Noch weit allgemeiner ist
der Dualismus eines guten und bösen Princips" und vor allem „die Auffassung
der Gottheit als Mann und Weib" verbreitet. Mißverständlich ist es nun frei¬
lich, wenn Happel „alle Religion von diesem letzteren Dualismus ausgegangen"
sein und in Himmel und Erde zuerst Vater und Mutter aller Sterblichen ge¬
sehen haben läßt (S. 14), Wir können ihn hier selbst als Zeugen gegen sich
aufrufen, denn S. 127 schreibt er „den Naturvölkern ursprünglich eine religiöse
Richtung auf alle Naturgegenstände" zu. Dies scheint entschieden das Richtigere.
Wenn wir irgendwo eine für unser Schicksal einflußreiche Persönlichkeit zu einer
ersten Begegnung erwarten, so sehen wir jeden Eintretenden, jeden Nahenden
darauf an, ob er nicht der Erwartete seine könne, und unsere Phantasie ist sehr
geneigt, die Frage bis auf weiteres zu bejahen. So mag auch der religiöse
Trieb, die religiöse Ahnung des noch ganz kindlichen Menschen, dem ja noch
alles, was ihn umgiebt, neu und räthselhaft ist, in allen Naturdingen etwas
geheimnißvoll Göttliches gefunden und erst in zweiter Linie — wenn auch viel¬
leicht nicht viel später — eine Ausscheidung vorgenommen, sich von seinem
naiven Polydämonismus zu einer auszeichnenden Verehrung der Himmelsgötter
erhoben haben. Nahe lag es dann, dem obersten Himmelsgotte die Erdgöttin
als Gattin beizugesellen. Weiter zeigt Happel, wie der, so zu sagen, anarchischen
Götterwelt fast überall ein centralisirender Trieb innewohnt, wie einem Gotte
die Hegemonie übertragen wird und die übrigen Götter dann als seine Brüder,
Söhne, Schwestern, Töchter und Weiber aufgefaßt werden, gleichzeitig aber auch
die ganze Götterfamilie immer mehr vermenschlicht wird.

„Am allerallgemeinsten aber ist der Geisterglaube verbreitet." Alles ist von
guten oder bösen Geistern „bewohnt, beseelt, besessen". Unter diesen Geistern
nehmen die der Vorfahren eine hervorragende Stelle ein. Ihre Verehrung setzt
aber auch bereits einen Unsterblichkeitsglauben voraus, der am häufigsten in
Gestalt der Annahme einer Seelenwanderung auftritt. Merkwürdigerweise hingen
aber gerade die lebensvollsten Nationen in ihrer Blütheperiode dem Unsterb-


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[0235] Anfang bis zu Ende gefesselt werden wie von diesem. Der Verfasser ist seinen theologischen Grundanschauungen nach ein Jünger Richard Rothes; für den weit¬ aus größten Theil seines Stoffes konnte er aber bei diesem keine directe Beleb/ rung finden, sondern war auf die eigenen Füße gestellt. Und was für ein reiches Gebiet alter und neuer Literatur hat er für seinen Zweck rüstigen Fußes und gesunden Blickes durchwandert! Das erste der fünf Kapitel, in welchen Happel seinen Stoff behandelt, trägt die Ueberschrift: „Die Existenz der religiösen Anlage." Es führt uns eine Reihe von Zügen vor, die sich in den verschiedensten Religionen wieder¬ finden. Hierher gehört z. B. die Zwölfzahl und die Dreizahl, die in den meisten Göttersystemen von großer Wichtigkeit sind. „Noch weit allgemeiner ist der Dualismus eines guten und bösen Princips" und vor allem „die Auffassung der Gottheit als Mann und Weib" verbreitet. Mißverständlich ist es nun frei¬ lich, wenn Happel „alle Religion von diesem letzteren Dualismus ausgegangen" sein und in Himmel und Erde zuerst Vater und Mutter aller Sterblichen ge¬ sehen haben läßt (S. 14), Wir können ihn hier selbst als Zeugen gegen sich aufrufen, denn S. 127 schreibt er „den Naturvölkern ursprünglich eine religiöse Richtung auf alle Naturgegenstände" zu. Dies scheint entschieden das Richtigere. Wenn wir irgendwo eine für unser Schicksal einflußreiche Persönlichkeit zu einer ersten Begegnung erwarten, so sehen wir jeden Eintretenden, jeden Nahenden darauf an, ob er nicht der Erwartete seine könne, und unsere Phantasie ist sehr geneigt, die Frage bis auf weiteres zu bejahen. So mag auch der religiöse Trieb, die religiöse Ahnung des noch ganz kindlichen Menschen, dem ja noch alles, was ihn umgiebt, neu und räthselhaft ist, in allen Naturdingen etwas geheimnißvoll Göttliches gefunden und erst in zweiter Linie — wenn auch viel¬ leicht nicht viel später — eine Ausscheidung vorgenommen, sich von seinem naiven Polydämonismus zu einer auszeichnenden Verehrung der Himmelsgötter erhoben haben. Nahe lag es dann, dem obersten Himmelsgotte die Erdgöttin als Gattin beizugesellen. Weiter zeigt Happel, wie der, so zu sagen, anarchischen Götterwelt fast überall ein centralisirender Trieb innewohnt, wie einem Gotte die Hegemonie übertragen wird und die übrigen Götter dann als seine Brüder, Söhne, Schwestern, Töchter und Weiber aufgefaßt werden, gleichzeitig aber auch die ganze Götterfamilie immer mehr vermenschlicht wird. „Am allerallgemeinsten aber ist der Geisterglaube verbreitet." Alles ist von guten oder bösen Geistern „bewohnt, beseelt, besessen". Unter diesen Geistern nehmen die der Vorfahren eine hervorragende Stelle ein. Ihre Verehrung setzt aber auch bereits einen Unsterblichkeitsglauben voraus, der am häufigsten in Gestalt der Annahme einer Seelenwanderung auftritt. Merkwürdigerweise hingen aber gerade die lebensvollsten Nationen in ihrer Blütheperiode dem Unsterb-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/235>, abgerufen am 29.06.2024.