Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.richtiges Bild von der Art der Zusammensetzung der Programme des Instituts Grenzboten I. 1880. 27
richtiges Bild von der Art der Zusammensetzung der Programme des Instituts Grenzboten I. 1880. 27
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richtiges Bild von der Art der Zusammensetzung der Programme des Instituts
überhaupt, wenigstens seit einem Lustrum, zu geben. Vorausschicken müssen wir
noch einige allgemeine Bemerkungen über die Organisation des Instituts der Ge¬
wandhausconcerte, welche das oben über das Directorium Gesagte zu ergänzen geeignet
sind. Zur Aufführung gelangen: in erster Linie Orchesterwerke, ausgeführt von dem
sogenannten Gewandhausorchester, welches aber nicht ein selbständiges, für diesen
Zweck engagirtes Orchester ist, sondern einfach das Stadt- oder Theaterorchester,
verstärkt dnrch vorgerücktere Streichinstrumentenschüler des Conservatoriums. Ferner
werden Chorwerke (Oratorien, Cantaten :c.) aufgeführt, und zwar durch den „Ge¬
wandhauschorverein", mit dem es freilich schlecht bestellt ist, sodaß er in den Männer¬
stimmen immer durch den Universitäts-Gesangverein der „Pauliner" verstärkt werden
muß. Zu Anfang dieser Saison war der Gewandhauschorverein sogar gänzlich aufge¬
geben und die „Singakademie" für die Mitwirkung bei choralen Aufführungen gewonnen
worden, ein Verhältniß, das jedoch heute wieder gelöst ist zu Gunsten des wieder¬
belebten Gewandhauschorvereins. Endlich wird ein sehr erheblicher Bruchtheil der
Concertaufführungen ausgefüllt durch solistische Leistungen der hervorragendsten Vir¬
tuosen des In- und Auslandes. Die einzige völlig selbständig von der Concert¬
gesellschaft engagirte Kraft ist der Kapellmeister; selbst die beiden Concertmeister
gehören auch dem Theaterorchester an. Welche Mißstände daraus entstehen können,
wenn ein Concertinstitnt ersten Ranges sein Orchester nicht so bezahlt, daß dasselbe
als von ihm unterhalten angesehen werden kann, haben wir im vorigen Jahre
erlebt, wo die Möglichkeit der Fortführung der Gewandhausconcerte ernstlich dadurch
in Frage gestellt war, daß das Orchester vom Theater bis hart an die Grenze
des Erlaubten in Anspruch genommen wurde und etwa der dritte Theil der Bläser
krank lag. Nichtsdestoweniger verdankt das Gewandhaus sein Renommee der vor¬
züglichen Schulung dieses Orchesters, und wir werden g, priori geneigt sein, den
Schwerpunkt der Gewandhausconcerte in die orchestralen Aufführungen zu legen,
zumal, wie gesagt, die Chorverhältnisse nichts weniger als erfreulich sind. Wie
wunderbar, daß bei einem so wenig festen Fundamente ein so feststehender Ruf, ja
man kann sagen die Hegemonie in musikalischen Dingen erlangt werden konnte!
Entweder muß die Oberleitung eine wirklich vorzügliche gewesen sein und noch sein,
oder die Wahl der leitenden musikalischen Kräfte ist eine so glückliche gewesen, daß
durch diese die Erfolge möglich wurden. Gedenken wir der Namen Mendelssohn
und David, so werden wir zu der letzteren Annahme hinneigen, daß nämlich die
hervorragende Bedeutung der Gewandhausconcerte ihren Dirigenten und Concert¬
meistern zu verdanken ist. Da ist es denn freilich im höchsten Grade zu bedauern,
daß die Concert- und Kapellmeister nicht die eigentlich maßgebenden Factoren für
die Aufstellung der Programme sind. Mendelssohns persönlicher Einfluß war freilich
so groß, daß man ihn selbst als völlig selbständig betrachten konnte; jetzt liegen
die Verhältnisse nicht so günstig, und etwaige Gelüste des Dirigenten, ein Werk zur
Aufführung zu bringen, das er für gut hält, begegnen nur allzu häufig einem
Grenzboten I. 1880. 27
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