Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.Souveränetät errungen hatte, eingeführt, daß nicht gemischte Gerichte eingesetzt Ueberhaupt ist bei der Lage der Dinge unter den drei in unserm vorigen Als drittes dringendes Erforderniß bezeichnet Ranke, daß den Gewaltsam¬ Ranke resumirt die Forderungen, die an die Pforte zu stellen wären, in Rechtlich sind diese Forderungen im wesentlichen durch die Verfassung vom Souveränetät errungen hatte, eingeführt, daß nicht gemischte Gerichte eingesetzt Ueberhaupt ist bei der Lage der Dinge unter den drei in unserm vorigen Als drittes dringendes Erforderniß bezeichnet Ranke, daß den Gewaltsam¬ Ranke resumirt die Forderungen, die an die Pforte zu stellen wären, in Rechtlich sind diese Forderungen im wesentlichen durch die Verfassung vom <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146129"/> <p xml:id="ID_529" prev="#ID_528"> Souveränetät errungen hatte, eingeführt, daß nicht gemischte Gerichte eingesetzt<lb/> wurden, welche doch nie zur Anwendung kommen, sondern daß nach dem auch<lb/> vom Fürsten Gortschakoff aufgestellte« Princip der Trennung der verschiedenen<lb/> Nationen und Religionen zwei Gerichte, ein türkisches und ein christliches, neben<lb/> einander bestanden. Der Instanzenzug richtete sich nach der Person des Ange¬<lb/> klagten: war dieser ein Türke, so ging die Sache an das türkische Gericht, war<lb/> er ein Serbe, an das serbische. Hierdurch entstand eine Reciprocität der Rechts¬<lb/> pflege, welche Ungerechtigkeiten und Gewaltsamkeiten auf beiden Seiten verhinderte.</p><lb/> <p xml:id="ID_530"> Ueberhaupt ist bei der Lage der Dinge unter den drei in unserm vorigen<lb/> Artikel angegebenen Wegen zu einer Erleichterung der Lage der christlichen<lb/> Bevölkerung ohne Zweifel der vorzuziehen, der nicht eine Vermischung der<lb/> Populationen, welche von Türken und Christen in gleichem Maße verabscheut<lb/> wird, sondern eine Absonderung derselben erstrebt. Nur auf diesem Wege wäre<lb/> z. B. eine Heranziehung der Christen zur allgemeinen Wehrpflicht möglich; sie<lb/> müßten eben eigene Regimenter für sich unter eigenen Commandeuren bilden.<lb/> Die Gefahr, die der Pforte durch eine solche bewaffnete Organisation der christ¬<lb/> lichen Bevölkerung erwachsen könnte, wird dadurch mehr als paralysirt, daß<lb/> nur so das Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit in den Populationen der<lb/> verschiedenen Theile des türkischen Reiches entstehen könnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_531"> Als drittes dringendes Erforderniß bezeichnet Ranke, daß den Gewaltsam¬<lb/> keiten ein Ende gemacht werde, welche mit der Eintreibung der Abgaben durch<lb/> türkische Behörden verbunden sind; diese müsse ganz den christlichen Obrigkeiten,<lb/> den Ortsvorstehern oder Kuchen, überlassen werden. Am besten würde das<lb/> dadurch geschehen, daß man für jede Provinz eine fest normirte Steuersumme<lb/> (Tribut) festsetzte, etwa wie es in Aegypten geschehen ist, und dann die Ver-<lb/> theilung und Eintreibung der Steuern im Einzelnen den Christen selbst über¬<lb/> ließe. Ohne Zweifel würde die Pforte selbst hierdurch finanzielle Vortheile<lb/> erlangen, denn bei dem bisherigen Modus erhielt sie stets nur einen Theil der<lb/> Steuern, ein anderer Theil verblieb in den Taschen der türkischen Paschas.</p><lb/> <p xml:id="ID_532"> Ranke resumirt die Forderungen, die an die Pforte zu stellen wären, in<lb/> den Worten: „Den christlichen Einwohnern der Türkei soll, wie die freie Aus¬<lb/> übung ihrer Religion, so auch das Recht auf ihr Eigenthum gewährleistet sein;<lb/> sie sollen Richter und Vorsteher von ihrer Religion und Nation haben."</p><lb/> <p xml:id="ID_533" next="#ID_534"> Rechtlich sind diese Forderungen im wesentlichen durch die Verfassung vom<lb/> 23. December 1876 erfüllt worden; ja diese Verfassung ist noch weit über die¬<lb/> selben hinausgegangen, indem sie die Befähigung aller Unterthanen der Pforte<lb/> ohne Unterschied der Religionen zu allen Beamtenstellungen aussprach. Aber<lb/> die Verleihung politischer Rechte hat so lange keine reale Grundlage und daher<lb/> keinen Sinn, als die private Sicherheit der Christen nicht durch praktisch aus-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0200]
Souveränetät errungen hatte, eingeführt, daß nicht gemischte Gerichte eingesetzt
wurden, welche doch nie zur Anwendung kommen, sondern daß nach dem auch
vom Fürsten Gortschakoff aufgestellte« Princip der Trennung der verschiedenen
Nationen und Religionen zwei Gerichte, ein türkisches und ein christliches, neben
einander bestanden. Der Instanzenzug richtete sich nach der Person des Ange¬
klagten: war dieser ein Türke, so ging die Sache an das türkische Gericht, war
er ein Serbe, an das serbische. Hierdurch entstand eine Reciprocität der Rechts¬
pflege, welche Ungerechtigkeiten und Gewaltsamkeiten auf beiden Seiten verhinderte.
Ueberhaupt ist bei der Lage der Dinge unter den drei in unserm vorigen
Artikel angegebenen Wegen zu einer Erleichterung der Lage der christlichen
Bevölkerung ohne Zweifel der vorzuziehen, der nicht eine Vermischung der
Populationen, welche von Türken und Christen in gleichem Maße verabscheut
wird, sondern eine Absonderung derselben erstrebt. Nur auf diesem Wege wäre
z. B. eine Heranziehung der Christen zur allgemeinen Wehrpflicht möglich; sie
müßten eben eigene Regimenter für sich unter eigenen Commandeuren bilden.
Die Gefahr, die der Pforte durch eine solche bewaffnete Organisation der christ¬
lichen Bevölkerung erwachsen könnte, wird dadurch mehr als paralysirt, daß
nur so das Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit in den Populationen der
verschiedenen Theile des türkischen Reiches entstehen könnte.
Als drittes dringendes Erforderniß bezeichnet Ranke, daß den Gewaltsam¬
keiten ein Ende gemacht werde, welche mit der Eintreibung der Abgaben durch
türkische Behörden verbunden sind; diese müsse ganz den christlichen Obrigkeiten,
den Ortsvorstehern oder Kuchen, überlassen werden. Am besten würde das
dadurch geschehen, daß man für jede Provinz eine fest normirte Steuersumme
(Tribut) festsetzte, etwa wie es in Aegypten geschehen ist, und dann die Ver-
theilung und Eintreibung der Steuern im Einzelnen den Christen selbst über¬
ließe. Ohne Zweifel würde die Pforte selbst hierdurch finanzielle Vortheile
erlangen, denn bei dem bisherigen Modus erhielt sie stets nur einen Theil der
Steuern, ein anderer Theil verblieb in den Taschen der türkischen Paschas.
Ranke resumirt die Forderungen, die an die Pforte zu stellen wären, in
den Worten: „Den christlichen Einwohnern der Türkei soll, wie die freie Aus¬
übung ihrer Religion, so auch das Recht auf ihr Eigenthum gewährleistet sein;
sie sollen Richter und Vorsteher von ihrer Religion und Nation haben."
Rechtlich sind diese Forderungen im wesentlichen durch die Verfassung vom
23. December 1876 erfüllt worden; ja diese Verfassung ist noch weit über die¬
selben hinausgegangen, indem sie die Befähigung aller Unterthanen der Pforte
ohne Unterschied der Religionen zu allen Beamtenstellungen aussprach. Aber
die Verleihung politischer Rechte hat so lange keine reale Grundlage und daher
keinen Sinn, als die private Sicherheit der Christen nicht durch praktisch aus-
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