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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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der Minister v. Bismarck den Generaladjutanten des Königs Wilhelm, v. Tres-
kow, zu dem in Dresden sich aufhaltenden Agenten der sogenannten polnischen
Nationalregierung Klolmchowski abgesandt haben, um ihm mitzutheilen, er,
Bismarck, habe die Absicht, nach Petersburg zu reisen, wo er Gelegenheit finden
werde, an maßgebender Stelle über die Geschicke Polens zu verhandeln. Es
frage sich nun, ob die Polen nicht eine Schwenkung nach preußischer Seite hin
machen und sich lieber deutscher Herrschaft unterwerfen als unter russischer
Botmäßigkeit bleiben wollten. Im ersteren Falle werde er in Petersburg ein
Abkommen vorschlagen, nach welchem Rußland wahrscheinlich die zum Weichsel,
gebiet gehörigen Landstriche Polens abtreten werde. Klolmchowski habe darcm-
hiu mit dem vielgefeierten polnischen Schriftsteller Kraszewski gesprochen, um
ihn zu einer Kundgebung in der von Bismarck gewünschten Richtung zu ver¬
anlassen, und Kraszewski habe jenem zwar erwiedert, er besitze weder Vollmachten
noch gehöre er einer Partei an, ihm aber doch angerathen, sich an den Fürsten
Czartoryski in Paris zu wenden, und ihm zu diesem Zwecke einen Empfehlungs¬
brief an letzteren übergeben. Mit diesem Schreiben sei Klolmchowski in der
That nach Paris gereist, der Fürst aber habe dasselbe nicht einmal bis zu
Ende gelesen, sondern ausgerufen: "Zu deu Deutschen? Nimmermehr!" Ob
Bismarck dann wirklich Verhandlungen in Petersburg angeknüpft, sei unbekannt
geblieben.

So die "Enthüllung" des panslawistischen Journalisten in der "Rußkaja
Stariua". Sie ist, wie wir wiederholen und sogleich mit einer offenbar aus
bester Quelle geflossenem bündigen Erklärung der "Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung" begründen werden, von Anfang bis zu Ende erlogen^), und zwar zu
dem Zwecke erlogen, den Reichskanzler bei der russischen Regierung und der öffent¬
lichen Meinung zu verdächtigen und den Haß aller slawischen Stämme gegen
Deutschland zu schüren; auch scheint die sensationelle Erfindung im Einklange
mit gewissen polenfreundlichen Artikeln der panslawistischen Presse Rußlands zu
stehen, die auf eine Versöhnung mit den Polen hinstrebten und als Zeichen der
Zeit angesehen wurden. Wenn aber deutsche fortschrittliche Blätter das Berg-
hase Geschichtchen brachten und sich den Anschein gaben, es zu glauben, so wußte
man sofort, daß dabei die Absicht obwaltete, gegen den Reichskanzler daraus in
gewohnter Weise Kapital zu schlagen. Sie haben indeß damit die Rechnung
ohne den Wirth gemacht und ein Dementi hervorgerufen, das nicht bloß ihnen
in verschiedener Beziehung recht unangenehm sein muß, sondern auch weiter im
Osten durch seine offene Sprache zu denken geben wird.



") Dasselbe gilt von der später vom "Djen. Poznanski" gebrachten Version der Ge¬
schichte, die dieselbe ins Jahr 1864 verlegt und Klobuchowski direct mit Bismarck verhan¬
deln läßt.

der Minister v. Bismarck den Generaladjutanten des Königs Wilhelm, v. Tres-
kow, zu dem in Dresden sich aufhaltenden Agenten der sogenannten polnischen
Nationalregierung Klolmchowski abgesandt haben, um ihm mitzutheilen, er,
Bismarck, habe die Absicht, nach Petersburg zu reisen, wo er Gelegenheit finden
werde, an maßgebender Stelle über die Geschicke Polens zu verhandeln. Es
frage sich nun, ob die Polen nicht eine Schwenkung nach preußischer Seite hin
machen und sich lieber deutscher Herrschaft unterwerfen als unter russischer
Botmäßigkeit bleiben wollten. Im ersteren Falle werde er in Petersburg ein
Abkommen vorschlagen, nach welchem Rußland wahrscheinlich die zum Weichsel,
gebiet gehörigen Landstriche Polens abtreten werde. Klolmchowski habe darcm-
hiu mit dem vielgefeierten polnischen Schriftsteller Kraszewski gesprochen, um
ihn zu einer Kundgebung in der von Bismarck gewünschten Richtung zu ver¬
anlassen, und Kraszewski habe jenem zwar erwiedert, er besitze weder Vollmachten
noch gehöre er einer Partei an, ihm aber doch angerathen, sich an den Fürsten
Czartoryski in Paris zu wenden, und ihm zu diesem Zwecke einen Empfehlungs¬
brief an letzteren übergeben. Mit diesem Schreiben sei Klolmchowski in der
That nach Paris gereist, der Fürst aber habe dasselbe nicht einmal bis zu
Ende gelesen, sondern ausgerufen: „Zu deu Deutschen? Nimmermehr!" Ob
Bismarck dann wirklich Verhandlungen in Petersburg angeknüpft, sei unbekannt
geblieben.

So die „Enthüllung" des panslawistischen Journalisten in der „Rußkaja
Stariua". Sie ist, wie wir wiederholen und sogleich mit einer offenbar aus
bester Quelle geflossenem bündigen Erklärung der „Norddeutschen Allgemeinen
Zeitung" begründen werden, von Anfang bis zu Ende erlogen^), und zwar zu
dem Zwecke erlogen, den Reichskanzler bei der russischen Regierung und der öffent¬
lichen Meinung zu verdächtigen und den Haß aller slawischen Stämme gegen
Deutschland zu schüren; auch scheint die sensationelle Erfindung im Einklange
mit gewissen polenfreundlichen Artikeln der panslawistischen Presse Rußlands zu
stehen, die auf eine Versöhnung mit den Polen hinstrebten und als Zeichen der
Zeit angesehen wurden. Wenn aber deutsche fortschrittliche Blätter das Berg-
hase Geschichtchen brachten und sich den Anschein gaben, es zu glauben, so wußte
man sofort, daß dabei die Absicht obwaltete, gegen den Reichskanzler daraus in
gewohnter Weise Kapital zu schlagen. Sie haben indeß damit die Rechnung
ohne den Wirth gemacht und ein Dementi hervorgerufen, das nicht bloß ihnen
in verschiedener Beziehung recht unangenehm sein muß, sondern auch weiter im
Osten durch seine offene Sprache zu denken geben wird.



») Dasselbe gilt von der später vom „Djen. Poznanski" gebrachten Version der Ge¬
schichte, die dieselbe ins Jahr 1864 verlegt und Klobuchowski direct mit Bismarck verhan¬
deln läßt.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/186>, abgerufen am 22.07.2024.