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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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wäre daher schwerlich durchführbar, da jeder Pfennig mehr des naturgemäß
hohen Wochenbeitrags die Schwierigkeiten progressiv steigert. Was das Ein¬
sammeln der Beiträge betrifft, so bedenke man, ein wie rascher Wechsel des
Arbeitsherrn und selbst der Beschäftigung bei einer großen Menge von Arbei¬
tern stattfindet, und wie groß ferner die Zahl derjenigen Arbeiter ist, welche
einen größeren oder kleineren Theil des Jahres hindurch überhaupt nicht in
Lohnarbeit stehen -- entweder weil sie keine finden, oder weil sie vorübergehend
auf eigene Rechnung arbeiten. Man ist wohl der Meinung gewesen, daß die
Gemeinden diese Schwierigkeit würden bewältigen tonnen, und im Allgemeinen
mag dies auch zugegeben werden. Aber so einfach ist die Sache immerhin nicht.

Muß nun also die ganze, so viel verheißende Idee mit Seufzen als unaus¬
führbar bezeichnet und bei Seite gelegt werden? Dies ist trotz allem unsere
Meinung keineswegs. Vielmehr bleibt immerhin zweierlei übrig: das Vorhan¬
densein eines concreten, nachweisbaren und abgrenzbaren Bedürfnisses bei den
Fabrikarbeitern im engeren Sinne des Wortes, insbesondere bei denjenigen
Kategorien derselben, welche entweder geschlossene, consolidirte Arbeiterschaften
darstellen, oder welche im Gegentheil rein äußerlich in neue sociale Verhältnisse
hineingerissen worden sind und gegenwärtig jedes Haltes innerhalb derselben
entbehren; fernerhin die Hoffnung, daß allenthalben locale, fachgewerbliche ?e,, da¬
bei im Cartel miteinander stehende Versorgungskassen ins Leben treten und dann
eine staatliche Verallgemeinerung dieser Anstalten und eine Unterweisung der¬
selben unter bestimmte gleichmäßige Vorschriften, eher jedenfalls als heute, sich
als ausführbar darstellen könnte.

Wir glauben demnach, daß das gegenwärtig zu erlassende Staatsgesetz sich
darauf beschränken sollte, den Gemeinden das Recht zu verleihen, durch Orts¬
statut die Arbeiter gewisser bestehender oder neu zu schaffender Industriezweige
bez. Etablissements zum Eintritts in eine Altersversorgungskasse zwangsweise
heranzuziehen. Als selbstverständlich ist hierbei vorausgesetzt, daß auch die
Wittwen- und Waisenversorgung berücksichtigt werde; daß die Arbeitgeber in
ähnlicher Weise wie bei den Knappschaftskassen ihren Beitrag leisten; daß gewisse
allgemeine Normativbestimmungen, analog denjenigen für die eingeschriebenen
Hilfskassen, von den zu gründenden Anstalten befolgt werden müssen; daß unter
diesen Bestimmungen die Möglichkeit der Uebertragung von einer Kasse auf die
andere oder des Rückkaufs eine hervorragende Rolle spiele. Was insbesondere
den letzteren Punkt anlangt, so ist ja nicht zu vergessen, daß bei den Anstalten,
wie wir sie hier im Auge haben, die erstrebte allgemeine Kassen-Freizügigkeit leider
ein unerreichtes Ideal bleiben würde. Denn wenn wir auch der Meinung sind,
daß der Erlaß eines solchen Ortsstatuts keineswegs in das ganz beliebige Er¬
messen der Gemeindevvrstände gestellt, sondern Vorsorge getroffen werden sollte,


wäre daher schwerlich durchführbar, da jeder Pfennig mehr des naturgemäß
hohen Wochenbeitrags die Schwierigkeiten progressiv steigert. Was das Ein¬
sammeln der Beiträge betrifft, so bedenke man, ein wie rascher Wechsel des
Arbeitsherrn und selbst der Beschäftigung bei einer großen Menge von Arbei¬
tern stattfindet, und wie groß ferner die Zahl derjenigen Arbeiter ist, welche
einen größeren oder kleineren Theil des Jahres hindurch überhaupt nicht in
Lohnarbeit stehen — entweder weil sie keine finden, oder weil sie vorübergehend
auf eigene Rechnung arbeiten. Man ist wohl der Meinung gewesen, daß die
Gemeinden diese Schwierigkeit würden bewältigen tonnen, und im Allgemeinen
mag dies auch zugegeben werden. Aber so einfach ist die Sache immerhin nicht.

Muß nun also die ganze, so viel verheißende Idee mit Seufzen als unaus¬
führbar bezeichnet und bei Seite gelegt werden? Dies ist trotz allem unsere
Meinung keineswegs. Vielmehr bleibt immerhin zweierlei übrig: das Vorhan¬
densein eines concreten, nachweisbaren und abgrenzbaren Bedürfnisses bei den
Fabrikarbeitern im engeren Sinne des Wortes, insbesondere bei denjenigen
Kategorien derselben, welche entweder geschlossene, consolidirte Arbeiterschaften
darstellen, oder welche im Gegentheil rein äußerlich in neue sociale Verhältnisse
hineingerissen worden sind und gegenwärtig jedes Haltes innerhalb derselben
entbehren; fernerhin die Hoffnung, daß allenthalben locale, fachgewerbliche ?e,, da¬
bei im Cartel miteinander stehende Versorgungskassen ins Leben treten und dann
eine staatliche Verallgemeinerung dieser Anstalten und eine Unterweisung der¬
selben unter bestimmte gleichmäßige Vorschriften, eher jedenfalls als heute, sich
als ausführbar darstellen könnte.

Wir glauben demnach, daß das gegenwärtig zu erlassende Staatsgesetz sich
darauf beschränken sollte, den Gemeinden das Recht zu verleihen, durch Orts¬
statut die Arbeiter gewisser bestehender oder neu zu schaffender Industriezweige
bez. Etablissements zum Eintritts in eine Altersversorgungskasse zwangsweise
heranzuziehen. Als selbstverständlich ist hierbei vorausgesetzt, daß auch die
Wittwen- und Waisenversorgung berücksichtigt werde; daß die Arbeitgeber in
ähnlicher Weise wie bei den Knappschaftskassen ihren Beitrag leisten; daß gewisse
allgemeine Normativbestimmungen, analog denjenigen für die eingeschriebenen
Hilfskassen, von den zu gründenden Anstalten befolgt werden müssen; daß unter
diesen Bestimmungen die Möglichkeit der Uebertragung von einer Kasse auf die
andere oder des Rückkaufs eine hervorragende Rolle spiele. Was insbesondere
den letzteren Punkt anlangt, so ist ja nicht zu vergessen, daß bei den Anstalten,
wie wir sie hier im Auge haben, die erstrebte allgemeine Kassen-Freizügigkeit leider
ein unerreichtes Ideal bleiben würde. Denn wenn wir auch der Meinung sind,
daß der Erlaß eines solchen Ortsstatuts keineswegs in das ganz beliebige Er¬
messen der Gemeindevvrstände gestellt, sondern Vorsorge getroffen werden sollte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/167>, abgerufen am 25.08.2024.