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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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kann, sie bildet auch in so hohem Maße den Zweck der Kasse, daß nicht viel
erübrigt zu werden braucht, so daß das Mitglied bei seinem Ausscheiden keinen
großen Schaden erleidet. Ganz anders bei einer Altersversorgungskasse, wo die
Chance sofortigen Anspruchs nur eine kleine, die für die Zukunft anzusammelnde
Prämienreserve aber die Hauptsache ist. Hier ist es unerläßlich, das; entweder
die unbeschränkteste Kassen-Freizügigkeit herrsche, d. h. daß allenthalben gleich¬
mäßig eingerichtete Anstalten bestehen, in welche jedes irgendwo einmal beige¬
tretene Mitglied sofort wieder in bequemer Weise eintreten kann -- wobei sich
immerhin den verschiedenartigen Preisverhültnissen Rechnung tragen ließe --, oder
daß ein umständlicher Berechnungsmodus für die Abfindung der austretenden
Mitglieder festgesetzt werde. Wie man sieht, spricht diese ganze Erwägung auch
gegen die Zulassung freier, etwa gewerkschaftlicher :c. Kassen nach Art der jetzigen
"eingeschriebenen Hilfskassen", so sehr auch sonst eine Gliederung der Kassen je
nach den verschiedenen und verschiedenartig gefährlichen Gewerben sich empfehlen
würde. Alle diese Dinge drängen gewaltsam darauf hin, die ganze Sache als
eine Nationalanstalt von ungeheuersten Umfange aufzufassen, und es ist durch¬
aus nicht verwunderlich, daß schon vielen guten Leuten der Gedanke gekommen
ist: eigentlich müsse das ganze Volk zu dieser Anstalt herangezogen werden, da
ja doch Niemand wissen könne, ob er nicht vielleicht im Alter unterstützungsbe¬
dürftig sein wird, und da, sofern der Beitrag als eine Steuer für Besserung
der allgemeinen socialen Verhältnisse aufgefaßt werden müßte, die besseren
Stände sich diese Steuer recht gut gefallen lassen könnten. Da entsteht denn
freilich die Frage, ob man nicht zu dem gleichen Behufe lieber eine allgemeine
Steuererhöhung ins Werk setzen und aus dem Ertrage derselben die Lasten einer
vollständigeren und rationelleren Armenpflege bestreiten soll.

Unter solchen Umständen mag es kaum noch nöthig erscheinen, auf die
außerordentlichen technischen Schwierigkeiten hinzuweisen, welche bei Errichtung
der fraglichen Anstalt überwunden werden müßten. Obenan stehen die Beschaf¬
fung einer Rechnungsgrundlage und die Frage der Beitreibung. Ueber erstere
Schwierigkeit hat man sich dadurch hinwegzuhelfen gesucht, daß man vorschlug,
die Durchschnittsresultate der Knappschaftskassen zur Grundlage zu machen, in¬
dem man annahm, bei den allgemeinen Kassen würden die Verhältnisse sich
jedenfalls günstiger stellen als bei den Knappschaftskassen, es werde also höch¬
stens ein unnöthiger Ueberschuß erzielt werden. Aber diese Rechnung trügt nach
mehreren Seiten hin. Die Verhältnisse der Knappschaftskassen sind außerordent¬
lich verschiedenartige, und ein mechanisch aus denselben gezogener Durchschnitt
würde keineswegs einen reellen Anhaltepunkt gewähren. Ferner wird, um die
Last der Beiträge erträglich zu machen, die Reduction derselben auf das äußerste
Maß unerläßlich sein; ein Ansatz, welcher erhebliche Ueberschüsse ermöglicht,


kann, sie bildet auch in so hohem Maße den Zweck der Kasse, daß nicht viel
erübrigt zu werden braucht, so daß das Mitglied bei seinem Ausscheiden keinen
großen Schaden erleidet. Ganz anders bei einer Altersversorgungskasse, wo die
Chance sofortigen Anspruchs nur eine kleine, die für die Zukunft anzusammelnde
Prämienreserve aber die Hauptsache ist. Hier ist es unerläßlich, das; entweder
die unbeschränkteste Kassen-Freizügigkeit herrsche, d. h. daß allenthalben gleich¬
mäßig eingerichtete Anstalten bestehen, in welche jedes irgendwo einmal beige¬
tretene Mitglied sofort wieder in bequemer Weise eintreten kann — wobei sich
immerhin den verschiedenartigen Preisverhültnissen Rechnung tragen ließe —, oder
daß ein umständlicher Berechnungsmodus für die Abfindung der austretenden
Mitglieder festgesetzt werde. Wie man sieht, spricht diese ganze Erwägung auch
gegen die Zulassung freier, etwa gewerkschaftlicher :c. Kassen nach Art der jetzigen
„eingeschriebenen Hilfskassen", so sehr auch sonst eine Gliederung der Kassen je
nach den verschiedenen und verschiedenartig gefährlichen Gewerben sich empfehlen
würde. Alle diese Dinge drängen gewaltsam darauf hin, die ganze Sache als
eine Nationalanstalt von ungeheuersten Umfange aufzufassen, und es ist durch¬
aus nicht verwunderlich, daß schon vielen guten Leuten der Gedanke gekommen
ist: eigentlich müsse das ganze Volk zu dieser Anstalt herangezogen werden, da
ja doch Niemand wissen könne, ob er nicht vielleicht im Alter unterstützungsbe¬
dürftig sein wird, und da, sofern der Beitrag als eine Steuer für Besserung
der allgemeinen socialen Verhältnisse aufgefaßt werden müßte, die besseren
Stände sich diese Steuer recht gut gefallen lassen könnten. Da entsteht denn
freilich die Frage, ob man nicht zu dem gleichen Behufe lieber eine allgemeine
Steuererhöhung ins Werk setzen und aus dem Ertrage derselben die Lasten einer
vollständigeren und rationelleren Armenpflege bestreiten soll.

Unter solchen Umständen mag es kaum noch nöthig erscheinen, auf die
außerordentlichen technischen Schwierigkeiten hinzuweisen, welche bei Errichtung
der fraglichen Anstalt überwunden werden müßten. Obenan stehen die Beschaf¬
fung einer Rechnungsgrundlage und die Frage der Beitreibung. Ueber erstere
Schwierigkeit hat man sich dadurch hinwegzuhelfen gesucht, daß man vorschlug,
die Durchschnittsresultate der Knappschaftskassen zur Grundlage zu machen, in¬
dem man annahm, bei den allgemeinen Kassen würden die Verhältnisse sich
jedenfalls günstiger stellen als bei den Knappschaftskassen, es werde also höch¬
stens ein unnöthiger Ueberschuß erzielt werden. Aber diese Rechnung trügt nach
mehreren Seiten hin. Die Verhältnisse der Knappschaftskassen sind außerordent¬
lich verschiedenartige, und ein mechanisch aus denselben gezogener Durchschnitt
würde keineswegs einen reellen Anhaltepunkt gewähren. Ferner wird, um die
Last der Beiträge erträglich zu machen, die Reduction derselben auf das äußerste
Maß unerläßlich sein; ein Ansatz, welcher erhebliche Ueberschüsse ermöglicht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/166>, abgerufen am 23.07.2024.