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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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einige" jetzigen Jenensern eingelassen. Deine Landsleute kennen Dich nicht,
und aus Bitterkeit und Aerger habe ich sie oft mit Fleiß noch über Dich irre ge¬
leitet: sie sind nicht werth, Dich zu besitzen, Du mußt weiter."

Es trieb ihn also fort, aber nach einem Orte, wo er ganz zurückgezogen
leben und völlig ungestört in das Innere der Wissenschaft würde eindringen
können, wozu er einen unwiderstehlichen innern Berus fühlte, also nicht in eine
Universitätsstadt. Er hatte sich auch schon für einen Ort entschieden, und zwar
für Rudolstadt, dessen reizende Lage und sonstige Verhältnisse, insbesondere dessen
Anstalten für Kunst und Wissenschaften, wie er schrieb, ihn anlockten, und schon
Anfang October siedelte er mit Frau, zwei Kindern und seiner Schwester dahin
über, ohne Amt und Subsistenzmittel, nur auf die Unterstützung seines Vaters
angewiesen! Dieser Wegzug von der Universität, für die er doch seine Thätigkeit
bestimmt hatte, war der zweite verhängnisvolle Fehler, den er beging; denn nun
wurde er dadurch gerade das, was er vermeiden wollte: ein außer Curs ge¬
kommener Privatdocent; erst nach sehr langer Zeit gelang es ihm unter viel
ungünstigeren Verhältnissen, in diese Laufbahn zurückzukehren. Allerdings kam
die Ungunst der Zeitumstände dazu, da die napoleonischen Kriege die Aufmerk¬
samkeit von der Wissenschaft ablenkten und auch die Mittel viel mehr auf Kanonen
als auf Lehrer der Wissenschaft verwendet wurden; aber er hätte sich doch einen
Namen machen und dadurch einen Ruf an eine andere Universität erwerben
können. Es war eine Selbsttäuschung, wenn er es für das Klügste hielt, Jena
jetzt zu verlassen, wo man ihn noch vermisse; denn so groß war doch sein Ruf,
nachdem er erst vier Semester gelesen hatte, noch nicht, daß man ihm sofort
eine Professur hätte anbieten müssen. Auch war für ihn jetzt die Familie
ohne Zweifel ein Hemmniß, die seine Freiheit im Handeln lähmte, zumal da
er sich von seiner Frau auch uicht auf einen Tag trennen wollte.

In dieser Zeit wandte er sich auch an einen Freund Kahn in Mitau und
versuchte, ob er vielleicht in Dorpat eine Professur erlangen konnte; aber der
Versuch war ohne Erfolg. In Rudolstadt wollte er jedenfalls nicht lange
bleiben; schon gegen Ende des Jahres 1804 faßte er den Entschluß, sich nach
Dresden zu wenden. Er hatte die Idee, entweder durch Gründung eines Er¬
ziehungsinstitutes oder durch öffentliche Vorträge oder endlich durch Privat¬
unterricht, insbesondere in der Musik, die er von Jugend auf immer aufs
eifrigste gepflegt hatte, die Mittel zu seinem Unterhalt zu gewinnen; sein Haupt¬
zweck aber war, diesen Aufenthalt besonders zu seiner ästhetischen Ausbildung
nach jeder Richtung hin auszunützen, was er denn auch redlich that; er ließ
keine Gelegenheit unbenutzt, die reichen Sammlungen Dresdens zu besuchen,
die Bauwerke, insbesondere die Kirchen, zu studiren und die Musik zu pflege".
Bereits Anfang April 1805 siedelte er nach Dresden über. Freilich stellte er


Grmzlwlm 1. 1880. 20

einige» jetzigen Jenensern eingelassen. Deine Landsleute kennen Dich nicht,
und aus Bitterkeit und Aerger habe ich sie oft mit Fleiß noch über Dich irre ge¬
leitet: sie sind nicht werth, Dich zu besitzen, Du mußt weiter."

Es trieb ihn also fort, aber nach einem Orte, wo er ganz zurückgezogen
leben und völlig ungestört in das Innere der Wissenschaft würde eindringen
können, wozu er einen unwiderstehlichen innern Berus fühlte, also nicht in eine
Universitätsstadt. Er hatte sich auch schon für einen Ort entschieden, und zwar
für Rudolstadt, dessen reizende Lage und sonstige Verhältnisse, insbesondere dessen
Anstalten für Kunst und Wissenschaften, wie er schrieb, ihn anlockten, und schon
Anfang October siedelte er mit Frau, zwei Kindern und seiner Schwester dahin
über, ohne Amt und Subsistenzmittel, nur auf die Unterstützung seines Vaters
angewiesen! Dieser Wegzug von der Universität, für die er doch seine Thätigkeit
bestimmt hatte, war der zweite verhängnisvolle Fehler, den er beging; denn nun
wurde er dadurch gerade das, was er vermeiden wollte: ein außer Curs ge¬
kommener Privatdocent; erst nach sehr langer Zeit gelang es ihm unter viel
ungünstigeren Verhältnissen, in diese Laufbahn zurückzukehren. Allerdings kam
die Ungunst der Zeitumstände dazu, da die napoleonischen Kriege die Aufmerk¬
samkeit von der Wissenschaft ablenkten und auch die Mittel viel mehr auf Kanonen
als auf Lehrer der Wissenschaft verwendet wurden; aber er hätte sich doch einen
Namen machen und dadurch einen Ruf an eine andere Universität erwerben
können. Es war eine Selbsttäuschung, wenn er es für das Klügste hielt, Jena
jetzt zu verlassen, wo man ihn noch vermisse; denn so groß war doch sein Ruf,
nachdem er erst vier Semester gelesen hatte, noch nicht, daß man ihm sofort
eine Professur hätte anbieten müssen. Auch war für ihn jetzt die Familie
ohne Zweifel ein Hemmniß, die seine Freiheit im Handeln lähmte, zumal da
er sich von seiner Frau auch uicht auf einen Tag trennen wollte.

In dieser Zeit wandte er sich auch an einen Freund Kahn in Mitau und
versuchte, ob er vielleicht in Dorpat eine Professur erlangen konnte; aber der
Versuch war ohne Erfolg. In Rudolstadt wollte er jedenfalls nicht lange
bleiben; schon gegen Ende des Jahres 1804 faßte er den Entschluß, sich nach
Dresden zu wenden. Er hatte die Idee, entweder durch Gründung eines Er¬
ziehungsinstitutes oder durch öffentliche Vorträge oder endlich durch Privat¬
unterricht, insbesondere in der Musik, die er von Jugend auf immer aufs
eifrigste gepflegt hatte, die Mittel zu seinem Unterhalt zu gewinnen; sein Haupt¬
zweck aber war, diesen Aufenthalt besonders zu seiner ästhetischen Ausbildung
nach jeder Richtung hin auszunützen, was er denn auch redlich that; er ließ
keine Gelegenheit unbenutzt, die reichen Sammlungen Dresdens zu besuchen,
die Bauwerke, insbesondere die Kirchen, zu studiren und die Musik zu pflege».
Bereits Anfang April 1805 siedelte er nach Dresden über. Freilich stellte er


Grmzlwlm 1. 1880. 20
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[0161] einige» jetzigen Jenensern eingelassen. Deine Landsleute kennen Dich nicht, und aus Bitterkeit und Aerger habe ich sie oft mit Fleiß noch über Dich irre ge¬ leitet: sie sind nicht werth, Dich zu besitzen, Du mußt weiter." Es trieb ihn also fort, aber nach einem Orte, wo er ganz zurückgezogen leben und völlig ungestört in das Innere der Wissenschaft würde eindringen können, wozu er einen unwiderstehlichen innern Berus fühlte, also nicht in eine Universitätsstadt. Er hatte sich auch schon für einen Ort entschieden, und zwar für Rudolstadt, dessen reizende Lage und sonstige Verhältnisse, insbesondere dessen Anstalten für Kunst und Wissenschaften, wie er schrieb, ihn anlockten, und schon Anfang October siedelte er mit Frau, zwei Kindern und seiner Schwester dahin über, ohne Amt und Subsistenzmittel, nur auf die Unterstützung seines Vaters angewiesen! Dieser Wegzug von der Universität, für die er doch seine Thätigkeit bestimmt hatte, war der zweite verhängnisvolle Fehler, den er beging; denn nun wurde er dadurch gerade das, was er vermeiden wollte: ein außer Curs ge¬ kommener Privatdocent; erst nach sehr langer Zeit gelang es ihm unter viel ungünstigeren Verhältnissen, in diese Laufbahn zurückzukehren. Allerdings kam die Ungunst der Zeitumstände dazu, da die napoleonischen Kriege die Aufmerk¬ samkeit von der Wissenschaft ablenkten und auch die Mittel viel mehr auf Kanonen als auf Lehrer der Wissenschaft verwendet wurden; aber er hätte sich doch einen Namen machen und dadurch einen Ruf an eine andere Universität erwerben können. Es war eine Selbsttäuschung, wenn er es für das Klügste hielt, Jena jetzt zu verlassen, wo man ihn noch vermisse; denn so groß war doch sein Ruf, nachdem er erst vier Semester gelesen hatte, noch nicht, daß man ihm sofort eine Professur hätte anbieten müssen. Auch war für ihn jetzt die Familie ohne Zweifel ein Hemmniß, die seine Freiheit im Handeln lähmte, zumal da er sich von seiner Frau auch uicht auf einen Tag trennen wollte. In dieser Zeit wandte er sich auch an einen Freund Kahn in Mitau und versuchte, ob er vielleicht in Dorpat eine Professur erlangen konnte; aber der Versuch war ohne Erfolg. In Rudolstadt wollte er jedenfalls nicht lange bleiben; schon gegen Ende des Jahres 1804 faßte er den Entschluß, sich nach Dresden zu wenden. Er hatte die Idee, entweder durch Gründung eines Er¬ ziehungsinstitutes oder durch öffentliche Vorträge oder endlich durch Privat¬ unterricht, insbesondere in der Musik, die er von Jugend auf immer aufs eifrigste gepflegt hatte, die Mittel zu seinem Unterhalt zu gewinnen; sein Haupt¬ zweck aber war, diesen Aufenthalt besonders zu seiner ästhetischen Ausbildung nach jeder Richtung hin auszunützen, was er denn auch redlich that; er ließ keine Gelegenheit unbenutzt, die reichen Sammlungen Dresdens zu besuchen, die Bauwerke, insbesondere die Kirchen, zu studiren und die Musik zu pflege». Bereits Anfang April 1805 siedelte er nach Dresden über. Freilich stellte er Grmzlwlm 1. 1880. 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/161>, abgerufen am 25.08.2024.