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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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sich die betreffenden Aufsätze und fünfzehn über den Streit erschienene Flug¬
schriften von Carl schicken; über den Eindruck, den der einfache, streng christliche
Pfarrer erhielt, äußert er sich in einem Briefe vom 16. Juni: "Aus der Fichte¬
schen Appellation habe ich ersehen, daß der Mann mit seinem System noch nicht
aufs reine ist, und wird auch wol nicht so bald ins Reine kommen; wenigstens
wenn sein Gebäude haltbar sein soll, wird wol mancher Balken weggelassen
und haltbarer aufgenommen werden müssen." Hierauf antwortete Krause am
20. Juni:

"So viel ich die alten Systeme kenne, glaube ich, daß sie ohngefähr so weit
gekommen sind, als ein Baumeister, um mich Ihres Gleichnisses zu bedienen, der
Material auf einem Orte angefahren, und es einzeln bearbeitet hat, aus dem
gröbsten, aber noch nicht weiß, wo und wie er das Gebäude selbst anlegen solle;
hingegen Fichte hat doch schon einen festen, haltbaren Grund gelegt, einen Plan
des ganzen Gebäudes entworfen und jedem Zimmer und allen Theilen des Hanfes
seinen Platz angewiesen; ein Gebäude, das weder er noch irgend ein Mensch noch
die ganze Menschheit irgend einmal auflösen kann, welches eine unendliche Aufgabe
ist, die sich nur erweitert, je näher man ihrer Lösung zu sein denkt. Aber ists
nicht Verdienst, zu einem babylonischen Thurme den Grund gelegt, -- als bloße
Backsteine und Maschinen herbeigeschafft zu haben und über dem Auszirkeln jedes
Einzelnen den babylonischen Thurm selbst zu vergessen? Die Vergleichung des
Systemes der Wissenschaften mit einem Gebäude ist wohl in etwas deutlich, aber
unschicklich im Ganzen, da das Haus immer auf etwas anderen, auf einem Boden
beruht, das System aber der Wissenschaften sich selbst hält; wollte man es mit
etwas vergleichen, so wäre es einzig das Universum der Außendinge."

Diese Antwort des 18jährigen Studenten ist hochinteressant: vu Jo von,
vöulr, den großen Wissenschaftslehrer, der er später seinen Zuhörern war.

Nach Fichtes Abgange hörte er bei Schelling; über diesen schrieb er dem
Vater:

"Mit Schellings Vortrag bin ich wol zufrieden sowie mit seiner Philosophie.
Sein Vortrag kommt zwar in mehrerer Rücksicht dem des Professor Fichte nicht
bei, hat aber doch einiges, was ihn vortheilhaft, selbst vor dem Fichteschen, aus¬
zeichnet; besonders weiß er seine Sätze durch passende und frappante Beispiele zu
erläutern. In seiner Naturphilosophie fand ich Sätze, auf die ich schon
für mich selbst, dem Fichteschen System zu Folge, gekommen war."

Neben dem großen Eifer aber, mit dem Krause den Wissenschaften oblag,
entwickelte sich gleichzeitig immer mehr eine andere, weniger günstige Eigenschaft,
die schon in Donndorf bemerkt und getadelt worden war, und die später für
ihn so verhcingnißvoll wurde: der Maugel an Ordnungssinn in allen äußeren,
geschäftlichen Dingen und die Nichtachtung von Schwierigkeiten, die in den


sich die betreffenden Aufsätze und fünfzehn über den Streit erschienene Flug¬
schriften von Carl schicken; über den Eindruck, den der einfache, streng christliche
Pfarrer erhielt, äußert er sich in einem Briefe vom 16. Juni: „Aus der Fichte¬
schen Appellation habe ich ersehen, daß der Mann mit seinem System noch nicht
aufs reine ist, und wird auch wol nicht so bald ins Reine kommen; wenigstens
wenn sein Gebäude haltbar sein soll, wird wol mancher Balken weggelassen
und haltbarer aufgenommen werden müssen." Hierauf antwortete Krause am
20. Juni:

„So viel ich die alten Systeme kenne, glaube ich, daß sie ohngefähr so weit
gekommen sind, als ein Baumeister, um mich Ihres Gleichnisses zu bedienen, der
Material auf einem Orte angefahren, und es einzeln bearbeitet hat, aus dem
gröbsten, aber noch nicht weiß, wo und wie er das Gebäude selbst anlegen solle;
hingegen Fichte hat doch schon einen festen, haltbaren Grund gelegt, einen Plan
des ganzen Gebäudes entworfen und jedem Zimmer und allen Theilen des Hanfes
seinen Platz angewiesen; ein Gebäude, das weder er noch irgend ein Mensch noch
die ganze Menschheit irgend einmal auflösen kann, welches eine unendliche Aufgabe
ist, die sich nur erweitert, je näher man ihrer Lösung zu sein denkt. Aber ists
nicht Verdienst, zu einem babylonischen Thurme den Grund gelegt, — als bloße
Backsteine und Maschinen herbeigeschafft zu haben und über dem Auszirkeln jedes
Einzelnen den babylonischen Thurm selbst zu vergessen? Die Vergleichung des
Systemes der Wissenschaften mit einem Gebäude ist wohl in etwas deutlich, aber
unschicklich im Ganzen, da das Haus immer auf etwas anderen, auf einem Boden
beruht, das System aber der Wissenschaften sich selbst hält; wollte man es mit
etwas vergleichen, so wäre es einzig das Universum der Außendinge."

Diese Antwort des 18jährigen Studenten ist hochinteressant: vu Jo von,
vöulr, den großen Wissenschaftslehrer, der er später seinen Zuhörern war.

Nach Fichtes Abgange hörte er bei Schelling; über diesen schrieb er dem
Vater:

„Mit Schellings Vortrag bin ich wol zufrieden sowie mit seiner Philosophie.
Sein Vortrag kommt zwar in mehrerer Rücksicht dem des Professor Fichte nicht
bei, hat aber doch einiges, was ihn vortheilhaft, selbst vor dem Fichteschen, aus¬
zeichnet; besonders weiß er seine Sätze durch passende und frappante Beispiele zu
erläutern. In seiner Naturphilosophie fand ich Sätze, auf die ich schon
für mich selbst, dem Fichteschen System zu Folge, gekommen war."

Neben dem großen Eifer aber, mit dem Krause den Wissenschaften oblag,
entwickelte sich gleichzeitig immer mehr eine andere, weniger günstige Eigenschaft,
die schon in Donndorf bemerkt und getadelt worden war, und die später für
ihn so verhcingnißvoll wurde: der Maugel an Ordnungssinn in allen äußeren,
geschäftlichen Dingen und die Nichtachtung von Schwierigkeiten, die in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/154>, abgerufen am 23.07.2024.