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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Dem gegenüber war es nun stets ihr Bestreben, den gerade in diesen
Nationalitäten sehr mächtigen Klerus auf ihre Seite zu ziehen und dauernd an
ihr Interesse zu fesseln. Bei den katholischen Christen sind alle ihre hierauf
gehenden Bemühungen stets vergeblich gewesen: der katholische Klerus empfing
und empfängt seine Befehle unmittelbar von der römischen Curie selbst. Um
so besser gelang es mit den griechischen Christen. Indem sich die Sultane von
vornherein die Ernennung oder wenigstens die Bestätigung des Patriarchen von
Konstantinopel, der als das Haupt der griechischen Christen angesehen wird,
vorbehielten, brachten sie den gesammten Klerus griechischer Confession in mehr
oder weniger directe Abhängigkeit von der Pforte, zumal da bei den fortwährenden
finanziellen Bedrängnissen, in denen das türkische Reich schwebt, die Bestätigung
nie ohne Erlegung einer ansehnlichen Geldsumme ertheilt wurde. Diese Summe
brachte der Patriarch auf, indem er nun seinerseits wieder die Stellen der
Bischöfe verkaufte; das System der Käuflichkeit der kirchlichen Aemter setzte sich
dann bis auf die kirchlichen Dorfobrigkeiten fort und war von um so verderb¬
licheren Einfluß, als der Klerus in den türkischen Provinzen nicht nur die
geistliche, sondern auch die weltliche Jurisdiction ausübte. Dadurch entstand
neben den türkischen Gewaltsamkeiten auch von Seiten der christlichen Geistlich¬
keit ein System der Erpressungen und Bedrückungen, das den Zustand der
christlichen Bevölkerung nahezu unerträglich machte. Für die Pforte war das
insofern ein Gewinn, als dadurch die Eintracht der Christen unter einander
vernichtet wurde; aber gar bald zeigte sich auch die Kehrseite dieses verderb¬
lichen Systems. Die vollständiger Vernichtung ausgesetzte christliche Bevölkerung
raffte sich doch zu verzweifelten Befreiungsversuchen empor, die nicht immer
erfolglos waren; man denke nur an die Befreiungskriege der Serben unter
ihrem alten Nativualhelden Kam Georg und Milosch Obrenowitsch, die Ranke
in seinem Buche "Die serbische Revolution" so anschaulich und eindringlich ge¬
schildert hat; sie sielen zeitlich mit den glorreichen Kämpfen der Deutschen gegen
die napoleonische Gewaltherrschaft zusammen und führten, wenn auch nicht zu
völliger Unabhängigkeit, doch zu einer Art von innerer Selbständigkeit und zu
einer wesentlichen Erleichterung der bedrückten Lage der christlichen Bevölkerung
in Serbien; sie sind recht eigentlich die Grundlage gewesen, auf der sich die
serbische Selbständigkeit dann bis zur völligen Emancipation weiter entwickelt hat.

Nach dem wesentlich dnrch die Hilfe der Westmächte glücklich überstandenen
Krimkriege sah sich die Pforte zu weiteren Concessionen auf dem Wege der
Reform genöthigt. Scheinbar freiwillig, thatsächlich aber durch die Haltung
der europäischen Mächte gezwungen, erließ sie den so berühmt gewordenen
Hat-Hnmayuu vom 8. Februar 185", der am 30. März in das Instrument des
Pariser Friedens aufgenommen wurde; er kann rechtlich als Grundgesetz fitr


Dem gegenüber war es nun stets ihr Bestreben, den gerade in diesen
Nationalitäten sehr mächtigen Klerus auf ihre Seite zu ziehen und dauernd an
ihr Interesse zu fesseln. Bei den katholischen Christen sind alle ihre hierauf
gehenden Bemühungen stets vergeblich gewesen: der katholische Klerus empfing
und empfängt seine Befehle unmittelbar von der römischen Curie selbst. Um
so besser gelang es mit den griechischen Christen. Indem sich die Sultane von
vornherein die Ernennung oder wenigstens die Bestätigung des Patriarchen von
Konstantinopel, der als das Haupt der griechischen Christen angesehen wird,
vorbehielten, brachten sie den gesammten Klerus griechischer Confession in mehr
oder weniger directe Abhängigkeit von der Pforte, zumal da bei den fortwährenden
finanziellen Bedrängnissen, in denen das türkische Reich schwebt, die Bestätigung
nie ohne Erlegung einer ansehnlichen Geldsumme ertheilt wurde. Diese Summe
brachte der Patriarch auf, indem er nun seinerseits wieder die Stellen der
Bischöfe verkaufte; das System der Käuflichkeit der kirchlichen Aemter setzte sich
dann bis auf die kirchlichen Dorfobrigkeiten fort und war von um so verderb¬
licheren Einfluß, als der Klerus in den türkischen Provinzen nicht nur die
geistliche, sondern auch die weltliche Jurisdiction ausübte. Dadurch entstand
neben den türkischen Gewaltsamkeiten auch von Seiten der christlichen Geistlich¬
keit ein System der Erpressungen und Bedrückungen, das den Zustand der
christlichen Bevölkerung nahezu unerträglich machte. Für die Pforte war das
insofern ein Gewinn, als dadurch die Eintracht der Christen unter einander
vernichtet wurde; aber gar bald zeigte sich auch die Kehrseite dieses verderb¬
lichen Systems. Die vollständiger Vernichtung ausgesetzte christliche Bevölkerung
raffte sich doch zu verzweifelten Befreiungsversuchen empor, die nicht immer
erfolglos waren; man denke nur an die Befreiungskriege der Serben unter
ihrem alten Nativualhelden Kam Georg und Milosch Obrenowitsch, die Ranke
in seinem Buche „Die serbische Revolution" so anschaulich und eindringlich ge¬
schildert hat; sie sielen zeitlich mit den glorreichen Kämpfen der Deutschen gegen
die napoleonische Gewaltherrschaft zusammen und führten, wenn auch nicht zu
völliger Unabhängigkeit, doch zu einer Art von innerer Selbständigkeit und zu
einer wesentlichen Erleichterung der bedrückten Lage der christlichen Bevölkerung
in Serbien; sie sind recht eigentlich die Grundlage gewesen, auf der sich die
serbische Selbständigkeit dann bis zur völligen Emancipation weiter entwickelt hat.

Nach dem wesentlich dnrch die Hilfe der Westmächte glücklich überstandenen
Krimkriege sah sich die Pforte zu weiteren Concessionen auf dem Wege der
Reform genöthigt. Scheinbar freiwillig, thatsächlich aber durch die Haltung
der europäischen Mächte gezwungen, erließ sie den so berühmt gewordenen
Hat-Hnmayuu vom 8. Februar 185«, der am 30. März in das Instrument des
Pariser Friedens aufgenommen wurde; er kann rechtlich als Grundgesetz fitr


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[0146] Dem gegenüber war es nun stets ihr Bestreben, den gerade in diesen Nationalitäten sehr mächtigen Klerus auf ihre Seite zu ziehen und dauernd an ihr Interesse zu fesseln. Bei den katholischen Christen sind alle ihre hierauf gehenden Bemühungen stets vergeblich gewesen: der katholische Klerus empfing und empfängt seine Befehle unmittelbar von der römischen Curie selbst. Um so besser gelang es mit den griechischen Christen. Indem sich die Sultane von vornherein die Ernennung oder wenigstens die Bestätigung des Patriarchen von Konstantinopel, der als das Haupt der griechischen Christen angesehen wird, vorbehielten, brachten sie den gesammten Klerus griechischer Confession in mehr oder weniger directe Abhängigkeit von der Pforte, zumal da bei den fortwährenden finanziellen Bedrängnissen, in denen das türkische Reich schwebt, die Bestätigung nie ohne Erlegung einer ansehnlichen Geldsumme ertheilt wurde. Diese Summe brachte der Patriarch auf, indem er nun seinerseits wieder die Stellen der Bischöfe verkaufte; das System der Käuflichkeit der kirchlichen Aemter setzte sich dann bis auf die kirchlichen Dorfobrigkeiten fort und war von um so verderb¬ licheren Einfluß, als der Klerus in den türkischen Provinzen nicht nur die geistliche, sondern auch die weltliche Jurisdiction ausübte. Dadurch entstand neben den türkischen Gewaltsamkeiten auch von Seiten der christlichen Geistlich¬ keit ein System der Erpressungen und Bedrückungen, das den Zustand der christlichen Bevölkerung nahezu unerträglich machte. Für die Pforte war das insofern ein Gewinn, als dadurch die Eintracht der Christen unter einander vernichtet wurde; aber gar bald zeigte sich auch die Kehrseite dieses verderb¬ lichen Systems. Die vollständiger Vernichtung ausgesetzte christliche Bevölkerung raffte sich doch zu verzweifelten Befreiungsversuchen empor, die nicht immer erfolglos waren; man denke nur an die Befreiungskriege der Serben unter ihrem alten Nativualhelden Kam Georg und Milosch Obrenowitsch, die Ranke in seinem Buche „Die serbische Revolution" so anschaulich und eindringlich ge¬ schildert hat; sie sielen zeitlich mit den glorreichen Kämpfen der Deutschen gegen die napoleonische Gewaltherrschaft zusammen und führten, wenn auch nicht zu völliger Unabhängigkeit, doch zu einer Art von innerer Selbständigkeit und zu einer wesentlichen Erleichterung der bedrückten Lage der christlichen Bevölkerung in Serbien; sie sind recht eigentlich die Grundlage gewesen, auf der sich die serbische Selbständigkeit dann bis zur völligen Emancipation weiter entwickelt hat. Nach dem wesentlich dnrch die Hilfe der Westmächte glücklich überstandenen Krimkriege sah sich die Pforte zu weiteren Concessionen auf dem Wege der Reform genöthigt. Scheinbar freiwillig, thatsächlich aber durch die Haltung der europäischen Mächte gezwungen, erließ sie den so berühmt gewordenen Hat-Hnmayuu vom 8. Februar 185«, der am 30. März in das Instrument des Pariser Friedens aufgenommen wurde; er kann rechtlich als Grundgesetz fitr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/146>, abgerufen am 23.07.2024.