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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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der serbischen Regierung gemeldet wurden, die nicht entfernt darnach aussahen,
als ob Ristitsch eingelenkt hätte und dem Verlangen Hahmerles gerecht werden
wollte. Man erfuhr, daß auf die Vorstellungen des russischen Ministerresiden¬
ten Persiani der Ministerrath in Nitsch beschlossen, die Concession in Bezug
auf den Bau und Betrieb der serbischen Eisenbahnen, sowie auf die Beschaffung
des Geldes für diese Zwecke dem russischen Eisenbahn-Consortium Poljakoff K
Comp. zu verleihen, und daß Poljakosf nächstens aus Paris in Risch eintreffen
werde, um den Vertrag mit Serbien abzuschließen. Sodann aber hat der ser¬
bische Finanzminister die Ausfuhr von Getreide, Mehl und Hülsenfrüchten ver¬
boten. Alles das stimmt nicht zu der Nachricht, Ristitsch wolle endlich nach¬
geben. Besonders unangenehm würde in Wien und Buda-Pest die Verleihung
der Eisenbahn-Concession an russische Unternehmer empfunden werden, da die
österreichische Staatsbahn alles aufgeboten hat, dieselbe sich zu verschaffen, und
da der gegentheilige Ausgang der Sache einen Sieg des russischen Einflusses in
Belgrad zu bedeuten hätte. Noch hofft man in Wien, es werde dem nach Risch
abgereisten Baron Herbert gelingen, den Dingen eine andere Wendung zu geben
und den Vertrag in der Skupschtina zu Falle zu bringen. Drohungen aber
würden hier schwerlich verfangen, mehr würde der Agent Oesterreich-Ungarns
vermuthlich erreichen, wenn er sich einen wohlgefüllten Beutel mit Dukaten mit¬
nähme; denn vor dem Golde pflegen serbische Sknpschtina-Mitglieder wohl nur
in sehr seltenen Fällen ihre patriotischen Bedenken zu bewahren. Hinter Serbien
steht Rußland, zunächst mit seinen Rubelspenden, und Oesterreich-Ungarn hat
zu sorgen, daß ihm die russische Agitation hier nicht wie in den Jahren vor
dem letzten Kriege über den Kopf wachse.

Vielleicht ist aber die Poljakoffsche Affaire auch nur ein Mittel der Ver¬
schleppung. Wenigstens muß man aus diesen Gedanken kommen, wenn man sich
nach dem letzten Grunde der Zögerungen und Ausweichungen Serbiens gerade
in der Eisenbahnsrage umsieht. Die Südslawen wünschen mit den Magyaren,
die sich allerdings durch schroffes Benehmen gegen sie nicht empfohlen haben,
möglichst wenig zu schaffen zu haben. Serbien will aber auch deshalb keinen
Eisenbahnanschluß an die österreichisch-ungarische Monarchie, weil es fürchtet,
der Annexion dadurch eine Handhabe zu bieten. Wenn die eigentliche und letzte
Lösung der orientalischen Frage herankommt, wird es einen großen Kampf
geben, bei welchem Oesterreich-Ungarn und Serbien wahrscheinlich nicht Seite
an Seite stehen werden, und dann kann es sich leicht ereignen, daß jenes sich
genöthigt sieht, in Serbien einzumarschiren; dazu aber sollen ihm wenigstens
nicht die Eisenbahnen zu Gebote stehen, die ihm sein Vorhaben erheblich er¬
leichtern würden.

Nach den neuesten Nachrichten hat v. Haymerle im ungarischen Delegations-


der serbischen Regierung gemeldet wurden, die nicht entfernt darnach aussahen,
als ob Ristitsch eingelenkt hätte und dem Verlangen Hahmerles gerecht werden
wollte. Man erfuhr, daß auf die Vorstellungen des russischen Ministerresiden¬
ten Persiani der Ministerrath in Nitsch beschlossen, die Concession in Bezug
auf den Bau und Betrieb der serbischen Eisenbahnen, sowie auf die Beschaffung
des Geldes für diese Zwecke dem russischen Eisenbahn-Consortium Poljakoff K
Comp. zu verleihen, und daß Poljakosf nächstens aus Paris in Risch eintreffen
werde, um den Vertrag mit Serbien abzuschließen. Sodann aber hat der ser¬
bische Finanzminister die Ausfuhr von Getreide, Mehl und Hülsenfrüchten ver¬
boten. Alles das stimmt nicht zu der Nachricht, Ristitsch wolle endlich nach¬
geben. Besonders unangenehm würde in Wien und Buda-Pest die Verleihung
der Eisenbahn-Concession an russische Unternehmer empfunden werden, da die
österreichische Staatsbahn alles aufgeboten hat, dieselbe sich zu verschaffen, und
da der gegentheilige Ausgang der Sache einen Sieg des russischen Einflusses in
Belgrad zu bedeuten hätte. Noch hofft man in Wien, es werde dem nach Risch
abgereisten Baron Herbert gelingen, den Dingen eine andere Wendung zu geben
und den Vertrag in der Skupschtina zu Falle zu bringen. Drohungen aber
würden hier schwerlich verfangen, mehr würde der Agent Oesterreich-Ungarns
vermuthlich erreichen, wenn er sich einen wohlgefüllten Beutel mit Dukaten mit¬
nähme; denn vor dem Golde pflegen serbische Sknpschtina-Mitglieder wohl nur
in sehr seltenen Fällen ihre patriotischen Bedenken zu bewahren. Hinter Serbien
steht Rußland, zunächst mit seinen Rubelspenden, und Oesterreich-Ungarn hat
zu sorgen, daß ihm die russische Agitation hier nicht wie in den Jahren vor
dem letzten Kriege über den Kopf wachse.

Vielleicht ist aber die Poljakoffsche Affaire auch nur ein Mittel der Ver¬
schleppung. Wenigstens muß man aus diesen Gedanken kommen, wenn man sich
nach dem letzten Grunde der Zögerungen und Ausweichungen Serbiens gerade
in der Eisenbahnsrage umsieht. Die Südslawen wünschen mit den Magyaren,
die sich allerdings durch schroffes Benehmen gegen sie nicht empfohlen haben,
möglichst wenig zu schaffen zu haben. Serbien will aber auch deshalb keinen
Eisenbahnanschluß an die österreichisch-ungarische Monarchie, weil es fürchtet,
der Annexion dadurch eine Handhabe zu bieten. Wenn die eigentliche und letzte
Lösung der orientalischen Frage herankommt, wird es einen großen Kampf
geben, bei welchem Oesterreich-Ungarn und Serbien wahrscheinlich nicht Seite
an Seite stehen werden, und dann kann es sich leicht ereignen, daß jenes sich
genöthigt sieht, in Serbien einzumarschiren; dazu aber sollen ihm wenigstens
nicht die Eisenbahnen zu Gebote stehen, die ihm sein Vorhaben erheblich er¬
leichtern würden.

Nach den neuesten Nachrichten hat v. Haymerle im ungarischen Delegations-


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[0140] der serbischen Regierung gemeldet wurden, die nicht entfernt darnach aussahen, als ob Ristitsch eingelenkt hätte und dem Verlangen Hahmerles gerecht werden wollte. Man erfuhr, daß auf die Vorstellungen des russischen Ministerresiden¬ ten Persiani der Ministerrath in Nitsch beschlossen, die Concession in Bezug auf den Bau und Betrieb der serbischen Eisenbahnen, sowie auf die Beschaffung des Geldes für diese Zwecke dem russischen Eisenbahn-Consortium Poljakoff K Comp. zu verleihen, und daß Poljakosf nächstens aus Paris in Risch eintreffen werde, um den Vertrag mit Serbien abzuschließen. Sodann aber hat der ser¬ bische Finanzminister die Ausfuhr von Getreide, Mehl und Hülsenfrüchten ver¬ boten. Alles das stimmt nicht zu der Nachricht, Ristitsch wolle endlich nach¬ geben. Besonders unangenehm würde in Wien und Buda-Pest die Verleihung der Eisenbahn-Concession an russische Unternehmer empfunden werden, da die österreichische Staatsbahn alles aufgeboten hat, dieselbe sich zu verschaffen, und da der gegentheilige Ausgang der Sache einen Sieg des russischen Einflusses in Belgrad zu bedeuten hätte. Noch hofft man in Wien, es werde dem nach Risch abgereisten Baron Herbert gelingen, den Dingen eine andere Wendung zu geben und den Vertrag in der Skupschtina zu Falle zu bringen. Drohungen aber würden hier schwerlich verfangen, mehr würde der Agent Oesterreich-Ungarns vermuthlich erreichen, wenn er sich einen wohlgefüllten Beutel mit Dukaten mit¬ nähme; denn vor dem Golde pflegen serbische Sknpschtina-Mitglieder wohl nur in sehr seltenen Fällen ihre patriotischen Bedenken zu bewahren. Hinter Serbien steht Rußland, zunächst mit seinen Rubelspenden, und Oesterreich-Ungarn hat zu sorgen, daß ihm die russische Agitation hier nicht wie in den Jahren vor dem letzten Kriege über den Kopf wachse. Vielleicht ist aber die Poljakoffsche Affaire auch nur ein Mittel der Ver¬ schleppung. Wenigstens muß man aus diesen Gedanken kommen, wenn man sich nach dem letzten Grunde der Zögerungen und Ausweichungen Serbiens gerade in der Eisenbahnsrage umsieht. Die Südslawen wünschen mit den Magyaren, die sich allerdings durch schroffes Benehmen gegen sie nicht empfohlen haben, möglichst wenig zu schaffen zu haben. Serbien will aber auch deshalb keinen Eisenbahnanschluß an die österreichisch-ungarische Monarchie, weil es fürchtet, der Annexion dadurch eine Handhabe zu bieten. Wenn die eigentliche und letzte Lösung der orientalischen Frage herankommt, wird es einen großen Kampf geben, bei welchem Oesterreich-Ungarn und Serbien wahrscheinlich nicht Seite an Seite stehen werden, und dann kann es sich leicht ereignen, daß jenes sich genöthigt sieht, in Serbien einzumarschiren; dazu aber sollen ihm wenigstens nicht die Eisenbahnen zu Gebote stehen, die ihm sein Vorhaben erheblich er¬ leichtern würden. Nach den neuesten Nachrichten hat v. Haymerle im ungarischen Delegations-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/140>, abgerufen am 03.07.2024.