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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Wiener Cabinet auf Erfüllung des Vertrags, und ein Jahr nach dessen Abschluß
schien die serbische Regierung nachgeben zu wollen, indem sie den General Aliin-
pitsch nach Wien schickte, der dort mit den Vertretern Oesterreich-Ungarns eine
neue, mehr ins Einzelne eingehende Vereinbarung traf. Man nannte dieselbe
eine "Präliminar-Convention", insofern an ihrem Detail noch geändert werden
konnte und sie überhaupt der Sanction der bezüglichen Regierungen bedürfte.
Bald aber erfuhr man in Wien, daß man in Belgrad darunter uoch etwas
anderes verstand: ein neues Mittel zur Verschleppung der Sache. Ristitsch er¬
klärte nämlich, Alimpitsch sei nur beauftragt gewesen, sich über die Wünsche und
Absichten der österreichisch-ungarischen Regierung Gewißheit zu verschaffen. Die
"Präliminar-Convention" sollte also ein zu nichts verbindendes Protokoll, bloßes
Material zu weiteren Verhandlungen sein.

In Wien war man aber nicht gemeint, sich diese Auffassung anzueignen.
Man drang vielmehr auf eine wenigstens generelle Anerkennung der Präliminar-
Convention seitens der Belgrader Regierung. Diese ließ nun den Streit um
die Bedeutung der Convention vorerst ruhen, indem sie wieder auf Lösung der
Handelsvertragssrage zusteuerte und in Betreff der Eisenbahnen die Behauptung
aufstellte, zur Erledigung dieser Angelegenheit bedürfe es der Mitwirkung der
Türkei und Bulgariens -- eine nur scheinbar glückliche Ausrede; denn aller¬
dings sollen nach dem Berliner Juli-Vertrage zu der Commission, welche die
Eisenbahnanschlüsse zu regeln hat, Vertreter der Pforte und der bulgarischen
Regierung herangezogen werden, aber erst dann, wenn es sich um Eisenbahnen
auf türkischem und bulgarischen Gebiete handelt, nicht schon jetzt, wo die Frage
des Anschlusses der österreichisch-ungarischen Bahnen an die serbische auf der
Tagesordnung' steht. So konnte der Baron v. Haymerle in den Einwürfen
des serbischen Ministers nur ein neues Manöver der Verzögerung erblicken, und
bald erfuhr man denn auch, daß man im Auswärtigen Amte zu Wien nun¬
mehr entschiedener aufzutreten entschlossen sei. Wie offieiöse Federn berichteten,
erklärte der Baron v. Haymerle dem Geschäftsträger Serbiens, wenn dessen
Regierung den in Wieir erhobenen Forderungen nicht nachkomme, so werde man
sich genöthigt sehen, zu andern Mitteln zu greifen. Darauf machte Serbien
Miene, klein beizugeben, indem Ristitsch dem Vertreter Oesterreich-Ungarns in
Belgrad, Baron Herbert, die Versicherung ertheilte, daß Serbien sich sehr bald
in der Lage sehen werde, über die in Rede stehenden Fragen Endgiltiges mit
Oesterreich-Ungarn zu vereinbaren, und indem der Repräsentant Serbiens in
Wien beauftragt wurde, sich am Ballhofsplatze in ähnlichem Sinne zu äußern.

Die Zweifel jedoch an der Aufrichtigkeit dieser Versicherungen, welche jedem
nach dem bisherigen Verlaufe der Dinge sogleich aufsteigen mußten, verstärkten
sich wenige Tage nachher, indem von Belgrad eine Reihe von Verfügungen


Wiener Cabinet auf Erfüllung des Vertrags, und ein Jahr nach dessen Abschluß
schien die serbische Regierung nachgeben zu wollen, indem sie den General Aliin-
pitsch nach Wien schickte, der dort mit den Vertretern Oesterreich-Ungarns eine
neue, mehr ins Einzelne eingehende Vereinbarung traf. Man nannte dieselbe
eine „Präliminar-Convention", insofern an ihrem Detail noch geändert werden
konnte und sie überhaupt der Sanction der bezüglichen Regierungen bedürfte.
Bald aber erfuhr man in Wien, daß man in Belgrad darunter uoch etwas
anderes verstand: ein neues Mittel zur Verschleppung der Sache. Ristitsch er¬
klärte nämlich, Alimpitsch sei nur beauftragt gewesen, sich über die Wünsche und
Absichten der österreichisch-ungarischen Regierung Gewißheit zu verschaffen. Die
„Präliminar-Convention" sollte also ein zu nichts verbindendes Protokoll, bloßes
Material zu weiteren Verhandlungen sein.

In Wien war man aber nicht gemeint, sich diese Auffassung anzueignen.
Man drang vielmehr auf eine wenigstens generelle Anerkennung der Präliminar-
Convention seitens der Belgrader Regierung. Diese ließ nun den Streit um
die Bedeutung der Convention vorerst ruhen, indem sie wieder auf Lösung der
Handelsvertragssrage zusteuerte und in Betreff der Eisenbahnen die Behauptung
aufstellte, zur Erledigung dieser Angelegenheit bedürfe es der Mitwirkung der
Türkei und Bulgariens — eine nur scheinbar glückliche Ausrede; denn aller¬
dings sollen nach dem Berliner Juli-Vertrage zu der Commission, welche die
Eisenbahnanschlüsse zu regeln hat, Vertreter der Pforte und der bulgarischen
Regierung herangezogen werden, aber erst dann, wenn es sich um Eisenbahnen
auf türkischem und bulgarischen Gebiete handelt, nicht schon jetzt, wo die Frage
des Anschlusses der österreichisch-ungarischen Bahnen an die serbische auf der
Tagesordnung' steht. So konnte der Baron v. Haymerle in den Einwürfen
des serbischen Ministers nur ein neues Manöver der Verzögerung erblicken, und
bald erfuhr man denn auch, daß man im Auswärtigen Amte zu Wien nun¬
mehr entschiedener aufzutreten entschlossen sei. Wie offieiöse Federn berichteten,
erklärte der Baron v. Haymerle dem Geschäftsträger Serbiens, wenn dessen
Regierung den in Wieir erhobenen Forderungen nicht nachkomme, so werde man
sich genöthigt sehen, zu andern Mitteln zu greifen. Darauf machte Serbien
Miene, klein beizugeben, indem Ristitsch dem Vertreter Oesterreich-Ungarns in
Belgrad, Baron Herbert, die Versicherung ertheilte, daß Serbien sich sehr bald
in der Lage sehen werde, über die in Rede stehenden Fragen Endgiltiges mit
Oesterreich-Ungarn zu vereinbaren, und indem der Repräsentant Serbiens in
Wien beauftragt wurde, sich am Ballhofsplatze in ähnlichem Sinne zu äußern.

Die Zweifel jedoch an der Aufrichtigkeit dieser Versicherungen, welche jedem
nach dem bisherigen Verlaufe der Dinge sogleich aufsteigen mußten, verstärkten
sich wenige Tage nachher, indem von Belgrad eine Reihe von Verfügungen


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[0139] Wiener Cabinet auf Erfüllung des Vertrags, und ein Jahr nach dessen Abschluß schien die serbische Regierung nachgeben zu wollen, indem sie den General Aliin- pitsch nach Wien schickte, der dort mit den Vertretern Oesterreich-Ungarns eine neue, mehr ins Einzelne eingehende Vereinbarung traf. Man nannte dieselbe eine „Präliminar-Convention", insofern an ihrem Detail noch geändert werden konnte und sie überhaupt der Sanction der bezüglichen Regierungen bedürfte. Bald aber erfuhr man in Wien, daß man in Belgrad darunter uoch etwas anderes verstand: ein neues Mittel zur Verschleppung der Sache. Ristitsch er¬ klärte nämlich, Alimpitsch sei nur beauftragt gewesen, sich über die Wünsche und Absichten der österreichisch-ungarischen Regierung Gewißheit zu verschaffen. Die „Präliminar-Convention" sollte also ein zu nichts verbindendes Protokoll, bloßes Material zu weiteren Verhandlungen sein. In Wien war man aber nicht gemeint, sich diese Auffassung anzueignen. Man drang vielmehr auf eine wenigstens generelle Anerkennung der Präliminar- Convention seitens der Belgrader Regierung. Diese ließ nun den Streit um die Bedeutung der Convention vorerst ruhen, indem sie wieder auf Lösung der Handelsvertragssrage zusteuerte und in Betreff der Eisenbahnen die Behauptung aufstellte, zur Erledigung dieser Angelegenheit bedürfe es der Mitwirkung der Türkei und Bulgariens — eine nur scheinbar glückliche Ausrede; denn aller¬ dings sollen nach dem Berliner Juli-Vertrage zu der Commission, welche die Eisenbahnanschlüsse zu regeln hat, Vertreter der Pforte und der bulgarischen Regierung herangezogen werden, aber erst dann, wenn es sich um Eisenbahnen auf türkischem und bulgarischen Gebiete handelt, nicht schon jetzt, wo die Frage des Anschlusses der österreichisch-ungarischen Bahnen an die serbische auf der Tagesordnung' steht. So konnte der Baron v. Haymerle in den Einwürfen des serbischen Ministers nur ein neues Manöver der Verzögerung erblicken, und bald erfuhr man denn auch, daß man im Auswärtigen Amte zu Wien nun¬ mehr entschiedener aufzutreten entschlossen sei. Wie offieiöse Federn berichteten, erklärte der Baron v. Haymerle dem Geschäftsträger Serbiens, wenn dessen Regierung den in Wieir erhobenen Forderungen nicht nachkomme, so werde man sich genöthigt sehen, zu andern Mitteln zu greifen. Darauf machte Serbien Miene, klein beizugeben, indem Ristitsch dem Vertreter Oesterreich-Ungarns in Belgrad, Baron Herbert, die Versicherung ertheilte, daß Serbien sich sehr bald in der Lage sehen werde, über die in Rede stehenden Fragen Endgiltiges mit Oesterreich-Ungarn zu vereinbaren, und indem der Repräsentant Serbiens in Wien beauftragt wurde, sich am Ballhofsplatze in ähnlichem Sinne zu äußern. Die Zweifel jedoch an der Aufrichtigkeit dieser Versicherungen, welche jedem nach dem bisherigen Verlaufe der Dinge sogleich aufsteigen mußten, verstärkten sich wenige Tage nachher, indem von Belgrad eine Reihe von Verfügungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/139>, abgerufen am 23.07.2024.