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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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gaben über unsern Dichter gar oft an jene beiden Examinanden in der Geschichte,
von denen der eine sein ungenaues Wissen damit entschuldigte, daß er nur die Be¬
gebenheit und nicht die Jahrzahlen im Kopfe behalten könne, der Andere aber nur
die Jahrzahlen ohne die Begebenheiten wissen wollte." -- S. XVII: "Wird hier nicht
zugleich in Moliere der Soldat der Aufklärung und des Fortschritts mit aufs Korn
genommen, der sich an einem der Vorpostengefechte betheiligte zu all den heißen
Treffen, die wir in unseren Tagen als den Culturkampf bezeichnen?" Ebenda: "Unser
Museum wird, wie das bekannte Pcmopticum in Berlin, auch seine Verbrecher¬
galerie haben." -- S. XXXI: "Man wird hier an jene hygrometrischen Apparate
erinnert, jene Wetterverkünder aus einem Hüuscheu bestehend, aus dem ein Kutten¬
träger tritt, so oft schlecht Wetter im Anzüge ist. Molieres schone Tage hören
auch auf, sobald die Dunkelmänner aus dem Häuschen und frei hermnprocessiren
können." -- S. 11^: "Auguste Fontaine ... der es mit seiner Zurschaustellung der
kostbarsten Bücher inmitten des Viertels der Börse und der Wechsler auf eine per-
petuelle Herausforderung der Geldmacht durch die Geistesmacht abgesehen zu haben
scheint" -- S. OIV: "Nachdem er (Meyer Hirsch) einen Erbschaftsproceß verloren,
was blieb ihm Folgerichtigeres zu thun, als das Kammergericht zu insultiren, und
wie er demnach zu längerer Strafhaft verurtheilt ward, mit unbeugsamen Starr¬
sinn daraus zu bestehen, daß er zur Abbüßung seiner Strafe bei strengem Winterfrost
und zu Fuß (vulxo per Schub) nach Stettin.transportirt werde? . .. Nur Moliere
durchleuchtete noch von Zeit zu Zeit seine lange Nacht des Wahnsinnes." Gleich
darauf folgt eine lange Geschichte von einem kranken deutschen Arzte in Paris, der
in dem Studium Molieres Zerstreuung fand. Da heißt es: "Bald war er der von
allen Kranken in Paris am meisten aufgegebene Arzt; in seinen Sprechstunden
sprach er ungestört mit sich selber; die Armen erwiederten seine Visiten nicht mehr
durch Gegenvisiten, seine Hausglocke hörte auf zu ertönen." (Warum nicht lieber
"wurde das ungezogenste Ding in der Stadt"?)

Durch dergleichen Zuthaten soll die Darstellung gewürzt werden, denn der
Verfasser ist ernstlich darauf aus, "mit einem Buche zum Nachlesen zugleich ein
lesbares" zu schreiben. Wir meinen, er hätte der Sache, die ihm so sehr am
Herzen liegt, mehr gedient durch eine klare und übersichtliche Abhandlung ernsteren
Tones, die darum noch immer "lesbar" und keine trockene Zusammenstellung eines
bloßen Studienapparates zu sein brauchte. Hoffentlich nimmt das Moliere-Museum,
dem wir von Herzen Gedeihen wünschen, künftighin eine etwas straffere, sach¬
gemäßere Haltung an. Es ist dies schon im Interesse unseres literarischen Rufes
im Auslande, speciell in Frankreich, zu wünschen.




Grenzboten l, löst).U!

gaben über unsern Dichter gar oft an jene beiden Examinanden in der Geschichte,
von denen der eine sein ungenaues Wissen damit entschuldigte, daß er nur die Be¬
gebenheit und nicht die Jahrzahlen im Kopfe behalten könne, der Andere aber nur
die Jahrzahlen ohne die Begebenheiten wissen wollte." — S. XVII: „Wird hier nicht
zugleich in Moliere der Soldat der Aufklärung und des Fortschritts mit aufs Korn
genommen, der sich an einem der Vorpostengefechte betheiligte zu all den heißen
Treffen, die wir in unseren Tagen als den Culturkampf bezeichnen?" Ebenda: „Unser
Museum wird, wie das bekannte Pcmopticum in Berlin, auch seine Verbrecher¬
galerie haben." — S. XXXI: „Man wird hier an jene hygrometrischen Apparate
erinnert, jene Wetterverkünder aus einem Hüuscheu bestehend, aus dem ein Kutten¬
träger tritt, so oft schlecht Wetter im Anzüge ist. Molieres schone Tage hören
auch auf, sobald die Dunkelmänner aus dem Häuschen und frei hermnprocessiren
können." — S. 11^: „Auguste Fontaine ... der es mit seiner Zurschaustellung der
kostbarsten Bücher inmitten des Viertels der Börse und der Wechsler auf eine per-
petuelle Herausforderung der Geldmacht durch die Geistesmacht abgesehen zu haben
scheint" — S. OIV: „Nachdem er (Meyer Hirsch) einen Erbschaftsproceß verloren,
was blieb ihm Folgerichtigeres zu thun, als das Kammergericht zu insultiren, und
wie er demnach zu längerer Strafhaft verurtheilt ward, mit unbeugsamen Starr¬
sinn daraus zu bestehen, daß er zur Abbüßung seiner Strafe bei strengem Winterfrost
und zu Fuß (vulxo per Schub) nach Stettin.transportirt werde? . .. Nur Moliere
durchleuchtete noch von Zeit zu Zeit seine lange Nacht des Wahnsinnes." Gleich
darauf folgt eine lange Geschichte von einem kranken deutschen Arzte in Paris, der
in dem Studium Molieres Zerstreuung fand. Da heißt es: „Bald war er der von
allen Kranken in Paris am meisten aufgegebene Arzt; in seinen Sprechstunden
sprach er ungestört mit sich selber; die Armen erwiederten seine Visiten nicht mehr
durch Gegenvisiten, seine Hausglocke hörte auf zu ertönen." (Warum nicht lieber
„wurde das ungezogenste Ding in der Stadt"?)

Durch dergleichen Zuthaten soll die Darstellung gewürzt werden, denn der
Verfasser ist ernstlich darauf aus, „mit einem Buche zum Nachlesen zugleich ein
lesbares" zu schreiben. Wir meinen, er hätte der Sache, die ihm so sehr am
Herzen liegt, mehr gedient durch eine klare und übersichtliche Abhandlung ernsteren
Tones, die darum noch immer „lesbar" und keine trockene Zusammenstellung eines
bloßen Studienapparates zu sein brauchte. Hoffentlich nimmt das Moliere-Museum,
dem wir von Herzen Gedeihen wünschen, künftighin eine etwas straffere, sach¬
gemäßere Haltung an. Es ist dies schon im Interesse unseres literarischen Rufes
im Auslande, speciell in Frankreich, zu wünschen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/129>, abgerufen am 22.07.2024.