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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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nier, Hesncmlt, Cyrcmo de Bergerac und seinen berühmten Lehrer Gassendi, auf
die nach dem notariellen Inventar vom Januar 1633 entworfene Schilderung der
Einrichtung in Molieres Geburtshause, auf das deutsche und ins Französische
übersetzte "Todtengespräch" zwischen Sixtus V. und Moliere, zu welchem auch das
beigegebene facsimilirte Titelbild gehört. Andrerseits können wir freilich nicht ver¬
schweigen, daß der Darstellung große Breite anhaftet, und daß das Studium der
beiden Abhandlungen gerade dein ernsthaften Leser durch allerlei Wunderlichkeiten
der Form und beständige Seitensprünge wesentlich erschwert ist. Die Redseligkeit
des Alters und zugleich der Mangel an schriftstellerischer Uebung lassen den Ver¬
sasser offenbar nicht durchdringen zu dem Gesetze Weiser Beschränkung, auf das
Verleger und Redacteure im eigenen Interesse wie in demjenigen vielbeschäftigter
Leser zu halten gewohnt sind. So kommt es, daß der "ABC-Schützgreis" in¬
mitten aller seiner Notizen und über seinem ganzen Moliere - Enthusiasmus sich
nicht recht zu helfen und zu keiner knappen, klaren, übersichtlichen Darstellung zu
gelangen weiß.

Zum Belege des Gesagten geben wir außer den bereits citirten Eingangs¬
worten noch einige wenige Proben. S. XXV heißt es: "Der Lustspieldichter, für
den die Hauptagentien seiner Ueberzeugungsmacht im schlagfertigen Jncontraststellen
und Adabsurdumführen zu suchen" -- S. XXVI: "Was aber Moliere immer mit
einem ganz eigenen Reiz ausstatten wird, das ist sein naives Großsein, wie in
den Tag hinein, sein rührendes Nichtwissen von seiner Bedeutung sür alle späteren
Tage" -- S. 8: "Und wie nun 1668 den Matadoren der Pariser Facultät ...
aufgegeben ward, sich im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege über diese
Brotfrage auszusprechen, da verpaßten diese wahrlich die neue Gelegenheit nicht,
sich lächerlich zu machen, wie schon aus der Schlußfolgerung ihrer Expertise her¬
vorgeht, die ganz von der unverbesserlichen Selbstgenügsamkeit und der verknöcher¬
ten Schulfuchserei zeugt, auf Grund deren es unserm Dichter bereits mehrfach ge¬
lungen war, diese Sorte von Galenikern unter seinen kölnischen Bühnentypen aufs
Eingreifendste mitfiguriren zu lassen." -- S. 16 fg.: "Höchstens könnte man ihm
den Vorwurf machen, der die meisten Väter der sogenannten Genies trifft, daß sie
sich in ihrer Standpnnktnahme ihrem Kinde gegenüber von Hanse ans nur auf
einen Durchschnittsnienschen vorgerichtet haben, und daß in ihrer prosaischen Auf¬
fassung der Dinge (sie fragen sich ganz einfach, woher bei dieser großen Anzahl
jugendlicher Genies alle die Dummköpfe später herkommen?) sie eher an Zucht¬
häuser als Ruhmestempel für dasselbe denken, wenn sie es die gebahnten Wege
verlassen und nach eigenen und neuen abentheuern (sie), der Phantasie mehr als
denk Gebot der Pflicht und reiferer Einsicht nachleben und durch Allotriatreiben in
einer Art geregelten Müssiggcmges ein Geschäft suchen sehen."

Noch amüsanter sind theilweise die bizarren Seitensprünge, Vergleiche und
Abschweifungen des eifrigen alten Herrn. Auch davon eine kleine Blumenlese.
S. XII fg. schreibt er: "So erinnern sie mich durch die Abweichungen in ihren An-


nier, Hesncmlt, Cyrcmo de Bergerac und seinen berühmten Lehrer Gassendi, auf
die nach dem notariellen Inventar vom Januar 1633 entworfene Schilderung der
Einrichtung in Molieres Geburtshause, auf das deutsche und ins Französische
übersetzte „Todtengespräch" zwischen Sixtus V. und Moliere, zu welchem auch das
beigegebene facsimilirte Titelbild gehört. Andrerseits können wir freilich nicht ver¬
schweigen, daß der Darstellung große Breite anhaftet, und daß das Studium der
beiden Abhandlungen gerade dein ernsthaften Leser durch allerlei Wunderlichkeiten
der Form und beständige Seitensprünge wesentlich erschwert ist. Die Redseligkeit
des Alters und zugleich der Mangel an schriftstellerischer Uebung lassen den Ver¬
sasser offenbar nicht durchdringen zu dem Gesetze Weiser Beschränkung, auf das
Verleger und Redacteure im eigenen Interesse wie in demjenigen vielbeschäftigter
Leser zu halten gewohnt sind. So kommt es, daß der „ABC-Schützgreis" in¬
mitten aller seiner Notizen und über seinem ganzen Moliere - Enthusiasmus sich
nicht recht zu helfen und zu keiner knappen, klaren, übersichtlichen Darstellung zu
gelangen weiß.

Zum Belege des Gesagten geben wir außer den bereits citirten Eingangs¬
worten noch einige wenige Proben. S. XXV heißt es: „Der Lustspieldichter, für
den die Hauptagentien seiner Ueberzeugungsmacht im schlagfertigen Jncontraststellen
und Adabsurdumführen zu suchen" — S. XXVI: „Was aber Moliere immer mit
einem ganz eigenen Reiz ausstatten wird, das ist sein naives Großsein, wie in
den Tag hinein, sein rührendes Nichtwissen von seiner Bedeutung sür alle späteren
Tage" — S. 8: „Und wie nun 1668 den Matadoren der Pariser Facultät ...
aufgegeben ward, sich im Interesse der öffentlichen Gesundheitspflege über diese
Brotfrage auszusprechen, da verpaßten diese wahrlich die neue Gelegenheit nicht,
sich lächerlich zu machen, wie schon aus der Schlußfolgerung ihrer Expertise her¬
vorgeht, die ganz von der unverbesserlichen Selbstgenügsamkeit und der verknöcher¬
ten Schulfuchserei zeugt, auf Grund deren es unserm Dichter bereits mehrfach ge¬
lungen war, diese Sorte von Galenikern unter seinen kölnischen Bühnentypen aufs
Eingreifendste mitfiguriren zu lassen." — S. 16 fg.: „Höchstens könnte man ihm
den Vorwurf machen, der die meisten Väter der sogenannten Genies trifft, daß sie
sich in ihrer Standpnnktnahme ihrem Kinde gegenüber von Hanse ans nur auf
einen Durchschnittsnienschen vorgerichtet haben, und daß in ihrer prosaischen Auf¬
fassung der Dinge (sie fragen sich ganz einfach, woher bei dieser großen Anzahl
jugendlicher Genies alle die Dummköpfe später herkommen?) sie eher an Zucht¬
häuser als Ruhmestempel für dasselbe denken, wenn sie es die gebahnten Wege
verlassen und nach eigenen und neuen abentheuern (sie), der Phantasie mehr als
denk Gebot der Pflicht und reiferer Einsicht nachleben und durch Allotriatreiben in
einer Art geregelten Müssiggcmges ein Geschäft suchen sehen."

Noch amüsanter sind theilweise die bizarren Seitensprünge, Vergleiche und
Abschweifungen des eifrigen alten Herrn. Auch davon eine kleine Blumenlese.
S. XII fg. schreibt er: „So erinnern sie mich durch die Abweichungen in ihren An-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/128>, abgerufen am 22.07.2024.