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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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wie sich aber später herausstellte, einer durch Frieselcmsschlag charakterisirten,
in Italien unter dem Namen Miliare bekannten und verrufenen Form des
Typhus angehörten.

Sobald die Krankheit als lebensgefährlich erkannt war, nahm der Mini¬
sterpräsident seine Wohnung im Quirinal. Die Kinder des Königs: die Prin¬
zessin Clotilde, die Königin Maria Pia von Portugal und der Herzog von
Aosta wurden telegraphisch von dem Zustande ihres Vaters benachrichtigt; der
Kronprinz Humbert war bei ihm, doch gaben die Aerzte noch am 7. und selbst
am 8. Januar die Hoffnung nicht auf. Aber im Volke war das Vorgefühl
des nahen Verlustes allgemein. Dichte Massen umlagerten den Palast, begierig
auf jede Kunde lauschend; flüsternde Gruppen bildeten sich an den Straßenecken,
die veröffentlichten Bulletins lesend und commentirend.

Der König war kein folgsamer Patient. Gegen den Rath der Aerzte
setzte er einen zweimaligen Aderlaß durch, der wohl nur, wie einst bei Cavour,
dazu diente, fein Ende zu beschleunigen. Am frühen Morgen des 9. war der
Ausgang entschieden. Dr. Bruno theilte es dem Kranken mit, der die Nachricht
mit großer Fassung empfing und nach den Sterbesacramenten verlangte. Sein
Großalmosenier, Kanonikus Anzino, begab sich nach der nahen Pfarrkirche Santi
Vincenzo und Anastasio, deren Pfarrer ihm die Hostie übergab, nachdem der
Cardinalvicar vorher das Interdict vom Quirinal genommen hatte. Er
hatte dabei, wie er später erklärte, den Widerruf des excommunicirten Königs
als unzweifelhaft vorausgesetzt, da sonst kein Priester von dem großen Kirchen¬
banne absolviren könne. Anzino aber hatte den König schon früher, als er in
San Rossore bei Visa totkrank darniederlag, aus Erlaubniß des Erzbischofs von
Visa hin absolvirt und erachtete sich so diesmal ohne weiteres dazu berechtigt.

Zwischen der bigotten Hofaristokratie und dem Vatican bestanden die intim¬
sten Beziehungen. Der Papst wußte genau, wie es mit dem Könige stand, und
hatte schon bei Tagesanbruch seinen Sacristan, Monsignore Marinelli, gesandt,
um den König als Bedingung für feine Absolution schriftlich zum Widerruf
feiner Thaten und speciell der Annexion Roms zu veranlassen. Aber der Prälat
wurde nicht vorgelassen, und ein zweiter, den der Papst am Nachmittage schickte,
fand den König nicht mehr am Leben. Da dictirte der Papst selbst ein Com-
munique, das im OsLörvatoro romano erschien, ehe Anzino noch dem Cardinal¬
vicar Bericht über den Verlauf der Ceremonie abgestattet hatte. Der König,
hieß es darin, habe vorher um Vergebung des Unrechts gebeten, dessen er sich
gegen den heiligen Stuhl schuldig gemacht habe. Auf Verlangen König Hun¬
derts strafte Anzino diese Nachricht ausdrücklich Lügen; auch weigerte er sich,
dein Cardinalvicar wie dem Papste gegenüber, das Beichtgeheimniß zu verletzen.
Außerhalb der Beichte habe Victor Emanuel erklärt: "Ich sterbe als Katholik.


wie sich aber später herausstellte, einer durch Frieselcmsschlag charakterisirten,
in Italien unter dem Namen Miliare bekannten und verrufenen Form des
Typhus angehörten.

Sobald die Krankheit als lebensgefährlich erkannt war, nahm der Mini¬
sterpräsident seine Wohnung im Quirinal. Die Kinder des Königs: die Prin¬
zessin Clotilde, die Königin Maria Pia von Portugal und der Herzog von
Aosta wurden telegraphisch von dem Zustande ihres Vaters benachrichtigt; der
Kronprinz Humbert war bei ihm, doch gaben die Aerzte noch am 7. und selbst
am 8. Januar die Hoffnung nicht auf. Aber im Volke war das Vorgefühl
des nahen Verlustes allgemein. Dichte Massen umlagerten den Palast, begierig
auf jede Kunde lauschend; flüsternde Gruppen bildeten sich an den Straßenecken,
die veröffentlichten Bulletins lesend und commentirend.

Der König war kein folgsamer Patient. Gegen den Rath der Aerzte
setzte er einen zweimaligen Aderlaß durch, der wohl nur, wie einst bei Cavour,
dazu diente, fein Ende zu beschleunigen. Am frühen Morgen des 9. war der
Ausgang entschieden. Dr. Bruno theilte es dem Kranken mit, der die Nachricht
mit großer Fassung empfing und nach den Sterbesacramenten verlangte. Sein
Großalmosenier, Kanonikus Anzino, begab sich nach der nahen Pfarrkirche Santi
Vincenzo und Anastasio, deren Pfarrer ihm die Hostie übergab, nachdem der
Cardinalvicar vorher das Interdict vom Quirinal genommen hatte. Er
hatte dabei, wie er später erklärte, den Widerruf des excommunicirten Königs
als unzweifelhaft vorausgesetzt, da sonst kein Priester von dem großen Kirchen¬
banne absolviren könne. Anzino aber hatte den König schon früher, als er in
San Rossore bei Visa totkrank darniederlag, aus Erlaubniß des Erzbischofs von
Visa hin absolvirt und erachtete sich so diesmal ohne weiteres dazu berechtigt.

Zwischen der bigotten Hofaristokratie und dem Vatican bestanden die intim¬
sten Beziehungen. Der Papst wußte genau, wie es mit dem Könige stand, und
hatte schon bei Tagesanbruch seinen Sacristan, Monsignore Marinelli, gesandt,
um den König als Bedingung für feine Absolution schriftlich zum Widerruf
feiner Thaten und speciell der Annexion Roms zu veranlassen. Aber der Prälat
wurde nicht vorgelassen, und ein zweiter, den der Papst am Nachmittage schickte,
fand den König nicht mehr am Leben. Da dictirte der Papst selbst ein Com-
munique, das im OsLörvatoro romano erschien, ehe Anzino noch dem Cardinal¬
vicar Bericht über den Verlauf der Ceremonie abgestattet hatte. Der König,
hieß es darin, habe vorher um Vergebung des Unrechts gebeten, dessen er sich
gegen den heiligen Stuhl schuldig gemacht habe. Auf Verlangen König Hun¬
derts strafte Anzino diese Nachricht ausdrücklich Lügen; auch weigerte er sich,
dein Cardinalvicar wie dem Papste gegenüber, das Beichtgeheimniß zu verletzen.
Außerhalb der Beichte habe Victor Emanuel erklärt: „Ich sterbe als Katholik.


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[0104] wie sich aber später herausstellte, einer durch Frieselcmsschlag charakterisirten, in Italien unter dem Namen Miliare bekannten und verrufenen Form des Typhus angehörten. Sobald die Krankheit als lebensgefährlich erkannt war, nahm der Mini¬ sterpräsident seine Wohnung im Quirinal. Die Kinder des Königs: die Prin¬ zessin Clotilde, die Königin Maria Pia von Portugal und der Herzog von Aosta wurden telegraphisch von dem Zustande ihres Vaters benachrichtigt; der Kronprinz Humbert war bei ihm, doch gaben die Aerzte noch am 7. und selbst am 8. Januar die Hoffnung nicht auf. Aber im Volke war das Vorgefühl des nahen Verlustes allgemein. Dichte Massen umlagerten den Palast, begierig auf jede Kunde lauschend; flüsternde Gruppen bildeten sich an den Straßenecken, die veröffentlichten Bulletins lesend und commentirend. Der König war kein folgsamer Patient. Gegen den Rath der Aerzte setzte er einen zweimaligen Aderlaß durch, der wohl nur, wie einst bei Cavour, dazu diente, fein Ende zu beschleunigen. Am frühen Morgen des 9. war der Ausgang entschieden. Dr. Bruno theilte es dem Kranken mit, der die Nachricht mit großer Fassung empfing und nach den Sterbesacramenten verlangte. Sein Großalmosenier, Kanonikus Anzino, begab sich nach der nahen Pfarrkirche Santi Vincenzo und Anastasio, deren Pfarrer ihm die Hostie übergab, nachdem der Cardinalvicar vorher das Interdict vom Quirinal genommen hatte. Er hatte dabei, wie er später erklärte, den Widerruf des excommunicirten Königs als unzweifelhaft vorausgesetzt, da sonst kein Priester von dem großen Kirchen¬ banne absolviren könne. Anzino aber hatte den König schon früher, als er in San Rossore bei Visa totkrank darniederlag, aus Erlaubniß des Erzbischofs von Visa hin absolvirt und erachtete sich so diesmal ohne weiteres dazu berechtigt. Zwischen der bigotten Hofaristokratie und dem Vatican bestanden die intim¬ sten Beziehungen. Der Papst wußte genau, wie es mit dem Könige stand, und hatte schon bei Tagesanbruch seinen Sacristan, Monsignore Marinelli, gesandt, um den König als Bedingung für feine Absolution schriftlich zum Widerruf feiner Thaten und speciell der Annexion Roms zu veranlassen. Aber der Prälat wurde nicht vorgelassen, und ein zweiter, den der Papst am Nachmittage schickte, fand den König nicht mehr am Leben. Da dictirte der Papst selbst ein Com- munique, das im OsLörvatoro romano erschien, ehe Anzino noch dem Cardinal¬ vicar Bericht über den Verlauf der Ceremonie abgestattet hatte. Der König, hieß es darin, habe vorher um Vergebung des Unrechts gebeten, dessen er sich gegen den heiligen Stuhl schuldig gemacht habe. Auf Verlangen König Hun¬ derts strafte Anzino diese Nachricht ausdrücklich Lügen; auch weigerte er sich, dein Cardinalvicar wie dem Papste gegenüber, das Beichtgeheimniß zu verletzen. Außerhalb der Beichte habe Victor Emanuel erklärt: „Ich sterbe als Katholik.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/104>, abgerufen am 03.07.2024.