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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Victor Emanuel neigte, französisch gebildet und erzogen, später mit Napoleon
befreundet und verschwägert, ungleich mehr nach dem stammverwandten Frank¬
reich, als nach dem wenig gekannten und schon um des altverhaßten Namens
der Isässodi willen unsympathischen Deutschland hinüber. Seit 1870 wurde
das allmählich anders. Der Fall der napoleonischen Dynastie, die schwankenden
Zustände in Paris, die für Italien so bedrohliche Herrschaft des Ultramonta¬
nismus wandte seine wie seiner Staatsmänner Blicke mehr nach dem Norden,
wo sich ihnen in dem neuen deutschen Reiche ein mächtiger Bundesgenosse mit
vielfach verwandten Schicksalen, Strebungen und Interessen darbot, mit dem
keinerlei Collision und von dem kein anmaßendes und lästiges Protectorat zu
fürchten war. Die nicht ohne schwere Ueberwindung angetretene Reise nach
Berlin im Sommer 1873, der Besuch Kaiser Wilhelms in Mailand im Herbst
1875, sowie die der beiden kronprinzlichen Paare diesseit und jenseit der Alpen
führten dann auch zu einer persönlichen Annäherung der Herrscherfamilien, die
zwischen den Thronfolgern zur wirklichen Freundschaft reifte. Der Verkehr
zwischen unserm Kaiser und der italienischen Königsfamilie in Mailand trug einen
Charakter der Herzlichkeit und Innigkeit, wie ihn die bisherigen Beziehungen
kaum hätten erwarten lassen. "Möchten wir und unsere Söhne nach uns stets
Freunde bleiben!" rief der Kaiser aus, und der König gab seiner aufrichtigen
Freude in einer Depesche an den deutschen Kronprinzen Ausdruck. In dem
Telegramm, das der zurückkehrende Kaiser von Bozen aus an seinen königlichen
Wirth sandte, hieß es: "Unsere Begegnung war ein Moment von historischer
Bedeutung, weil wir Beide von der Vorsehung an die Spitze von Nationen
gestellt sind, die nach langem Kampfe ihre Einheit errungen haben." Des Königs
Antwort umschrieb in anderen Worten denselben Gedanken. --

Das 29. Regierungsjahr des Königs nahte seinem Ende; 58 Jahre alt,
stand er noch in der Vollkraft der Männlichkeit. Wie gewöhnlich, hatte er
auch 1877 das Weihnachtsfest zu Turin im Kreise seiner morgancitischen Familie
verlebt. Aber schon auf dem Heimwege hatte er sich unwohl gefühlt: Appetit-
und Schlaflosigkeit, Neigung zum Frösteln, alles bei dem kräftigen, abgehärteten
Manne höchst ungewöhnliche Erscheinungen, wollten nicht weichen. Einen hef¬
tigen Fieberanfall auf der Rückreise coupirte er, wie schon öfters in ähnlichen
Fällen, mit einer starken Dosis Chinin. In Rom angelangt, zog er sich, bei
rauhem Wetter längere Zeit am offnen Fenster verweilend, eine starke Erkäl¬
tung zu. Am 4. Januar fühlte er sich ernstlich unwohl; sein Leibarzt fand die
Symptome bedenklich genug, um deu Professor Bvecelli zuzuziehen und am fol¬
genden Tage den berühmten Arzt Dr. Bruno aus Turin telegraphisch herbei¬
zurufen. Dieser fand eine entwickelte Plenropneumonie beider Lungen vor, mit
Erscheinungen complicirt, die ihn anfangs auf ein Malariafieber schließen ließen,


Victor Emanuel neigte, französisch gebildet und erzogen, später mit Napoleon
befreundet und verschwägert, ungleich mehr nach dem stammverwandten Frank¬
reich, als nach dem wenig gekannten und schon um des altverhaßten Namens
der Isässodi willen unsympathischen Deutschland hinüber. Seit 1870 wurde
das allmählich anders. Der Fall der napoleonischen Dynastie, die schwankenden
Zustände in Paris, die für Italien so bedrohliche Herrschaft des Ultramonta¬
nismus wandte seine wie seiner Staatsmänner Blicke mehr nach dem Norden,
wo sich ihnen in dem neuen deutschen Reiche ein mächtiger Bundesgenosse mit
vielfach verwandten Schicksalen, Strebungen und Interessen darbot, mit dem
keinerlei Collision und von dem kein anmaßendes und lästiges Protectorat zu
fürchten war. Die nicht ohne schwere Ueberwindung angetretene Reise nach
Berlin im Sommer 1873, der Besuch Kaiser Wilhelms in Mailand im Herbst
1875, sowie die der beiden kronprinzlichen Paare diesseit und jenseit der Alpen
führten dann auch zu einer persönlichen Annäherung der Herrscherfamilien, die
zwischen den Thronfolgern zur wirklichen Freundschaft reifte. Der Verkehr
zwischen unserm Kaiser und der italienischen Königsfamilie in Mailand trug einen
Charakter der Herzlichkeit und Innigkeit, wie ihn die bisherigen Beziehungen
kaum hätten erwarten lassen. „Möchten wir und unsere Söhne nach uns stets
Freunde bleiben!" rief der Kaiser aus, und der König gab seiner aufrichtigen
Freude in einer Depesche an den deutschen Kronprinzen Ausdruck. In dem
Telegramm, das der zurückkehrende Kaiser von Bozen aus an seinen königlichen
Wirth sandte, hieß es: „Unsere Begegnung war ein Moment von historischer
Bedeutung, weil wir Beide von der Vorsehung an die Spitze von Nationen
gestellt sind, die nach langem Kampfe ihre Einheit errungen haben." Des Königs
Antwort umschrieb in anderen Worten denselben Gedanken. —

Das 29. Regierungsjahr des Königs nahte seinem Ende; 58 Jahre alt,
stand er noch in der Vollkraft der Männlichkeit. Wie gewöhnlich, hatte er
auch 1877 das Weihnachtsfest zu Turin im Kreise seiner morgancitischen Familie
verlebt. Aber schon auf dem Heimwege hatte er sich unwohl gefühlt: Appetit-
und Schlaflosigkeit, Neigung zum Frösteln, alles bei dem kräftigen, abgehärteten
Manne höchst ungewöhnliche Erscheinungen, wollten nicht weichen. Einen hef¬
tigen Fieberanfall auf der Rückreise coupirte er, wie schon öfters in ähnlichen
Fällen, mit einer starken Dosis Chinin. In Rom angelangt, zog er sich, bei
rauhem Wetter längere Zeit am offnen Fenster verweilend, eine starke Erkäl¬
tung zu. Am 4. Januar fühlte er sich ernstlich unwohl; sein Leibarzt fand die
Symptome bedenklich genug, um deu Professor Bvecelli zuzuziehen und am fol¬
genden Tage den berühmten Arzt Dr. Bruno aus Turin telegraphisch herbei¬
zurufen. Dieser fand eine entwickelte Plenropneumonie beider Lungen vor, mit
Erscheinungen complicirt, die ihn anfangs auf ein Malariafieber schließen ließen,


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[0103] Victor Emanuel neigte, französisch gebildet und erzogen, später mit Napoleon befreundet und verschwägert, ungleich mehr nach dem stammverwandten Frank¬ reich, als nach dem wenig gekannten und schon um des altverhaßten Namens der Isässodi willen unsympathischen Deutschland hinüber. Seit 1870 wurde das allmählich anders. Der Fall der napoleonischen Dynastie, die schwankenden Zustände in Paris, die für Italien so bedrohliche Herrschaft des Ultramonta¬ nismus wandte seine wie seiner Staatsmänner Blicke mehr nach dem Norden, wo sich ihnen in dem neuen deutschen Reiche ein mächtiger Bundesgenosse mit vielfach verwandten Schicksalen, Strebungen und Interessen darbot, mit dem keinerlei Collision und von dem kein anmaßendes und lästiges Protectorat zu fürchten war. Die nicht ohne schwere Ueberwindung angetretene Reise nach Berlin im Sommer 1873, der Besuch Kaiser Wilhelms in Mailand im Herbst 1875, sowie die der beiden kronprinzlichen Paare diesseit und jenseit der Alpen führten dann auch zu einer persönlichen Annäherung der Herrscherfamilien, die zwischen den Thronfolgern zur wirklichen Freundschaft reifte. Der Verkehr zwischen unserm Kaiser und der italienischen Königsfamilie in Mailand trug einen Charakter der Herzlichkeit und Innigkeit, wie ihn die bisherigen Beziehungen kaum hätten erwarten lassen. „Möchten wir und unsere Söhne nach uns stets Freunde bleiben!" rief der Kaiser aus, und der König gab seiner aufrichtigen Freude in einer Depesche an den deutschen Kronprinzen Ausdruck. In dem Telegramm, das der zurückkehrende Kaiser von Bozen aus an seinen königlichen Wirth sandte, hieß es: „Unsere Begegnung war ein Moment von historischer Bedeutung, weil wir Beide von der Vorsehung an die Spitze von Nationen gestellt sind, die nach langem Kampfe ihre Einheit errungen haben." Des Königs Antwort umschrieb in anderen Worten denselben Gedanken. — Das 29. Regierungsjahr des Königs nahte seinem Ende; 58 Jahre alt, stand er noch in der Vollkraft der Männlichkeit. Wie gewöhnlich, hatte er auch 1877 das Weihnachtsfest zu Turin im Kreise seiner morgancitischen Familie verlebt. Aber schon auf dem Heimwege hatte er sich unwohl gefühlt: Appetit- und Schlaflosigkeit, Neigung zum Frösteln, alles bei dem kräftigen, abgehärteten Manne höchst ungewöhnliche Erscheinungen, wollten nicht weichen. Einen hef¬ tigen Fieberanfall auf der Rückreise coupirte er, wie schon öfters in ähnlichen Fällen, mit einer starken Dosis Chinin. In Rom angelangt, zog er sich, bei rauhem Wetter längere Zeit am offnen Fenster verweilend, eine starke Erkäl¬ tung zu. Am 4. Januar fühlte er sich ernstlich unwohl; sein Leibarzt fand die Symptome bedenklich genug, um deu Professor Bvecelli zuzuziehen und am fol¬ genden Tage den berühmten Arzt Dr. Bruno aus Turin telegraphisch herbei¬ zurufen. Dieser fand eine entwickelte Plenropneumonie beider Lungen vor, mit Erscheinungen complicirt, die ihn anfangs auf ein Malariafieber schließen ließen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/103>, abgerufen am 03.07.2024.