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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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höchst unerfreuliches Bild, und wenn unter König Otto insurrectionelle Putsche
auf Putsche folgten, so folgten unter seinem Nachfolger Ministerkrisen auf Mini¬
sterkrisen, denen fast lediglich der demokratische Neid, der Ehrgeiz der Partei¬
häupter und die Veränderlichkeit der Volksgunst, sehr selten der Sieg vou Grund¬
sätzen oder das Auftreten neuer, unabweislicher Bedürfnisse des Staatslebens
zu Grunde lag. Fast immer wurde die Thätigkeit der Regierung durch die
Unzuverlässigkeit der Fractionen in der Kammer gelähmt. Hatte die Opposition
ein Ministerium gestürzt und trat eins aus ihrer Mitte ans Ruder, so ließ sie
es binnen kurzem, bisweilen sofort im Stiche. 1874 hielt sich Bulgaris als
Ministerpräsident nur dadurch einige Zeit, d. h. vom Februar bis in den De¬
cember hinein, daß keiner von seinen Nebenbuhlern, weder Zaimis noch Deli-
georgis noch Kommunduros an seine Stelle zu treten Neigung hatte. Am 20.
December machte gar die Opposition die Kammer beschlußunfähig, indem sie
auftrat und zugleich eine Beschwerdeschrift an den König richtete. Nur mit
Mühe erreichte man im April 1875 durch Heranholung der gesammten Regie¬
rungspartei die Beschlußfähigkeit der Kammer und die Annahme des Vertrags
mit dem deutschen Reiche wegen der Ausgrabungen auf der Stätte von Olympia,
gegen den die Opposition sich stemmte, obwohl er bekanntlich für das Land sehr
günstige Bestimmungen enthielt. Als der König hiernach auf den Rath der
Schutzmächte Bulgaris entließ und ein neues Cabinet unter Trikupis bildete,
unterlag dasselbe drei Monate nachher schon bei den Neuwahlen vollständig,
indem nur wenige von seinen Anhängern ein Mandat erhielten, und schon im
October dankte es ab, und Kommunduros wurde Premier, während sein Neben¬
buhler Zaimis Kammerpräsident wurde.

In ähnlichem Stile ist es bis vor kurzem fortgegangen, und die Ent¬
wicklung des Landes ist bei diesen unaufhörlichen Reibungen, Wirren und
Schwankungen in vielen Beziehungen aufgehalten worden. Dem Räuberwesen
wurde nicht genügend gesteuert, so daß im August 1870 keine drei Meilen nördlich
von der Landeshauptstadt eine Klephthenbande mehrere vornehme Engländer
grausam ermorden konnte. Der Eigennutz des Volkes und sein Mangel an
Rechtsgefühl führte im Jahre darauf zu einem Scandal, der als bisher un¬
erhört in ganz Europa Aufsehen und große Entrüstung hervorrief. Die Re¬
gierung hatte einer französisch-italienischen Gesellschaft die Concession zur Aus¬
beutung der im Alterthume mit großem Erfolg betriebenen, dann verlassenen
Erzgruben von Laurion im südöstlichen Attika ertheilt, aber als diese dann aus
den alten Schlackenhalden und neuen Stollen bedeutende Mengen von Silber¬
und Bleierzen gewann, regte sich der Neid und die Habgier im Lande, und
im Mai 1873 wurden die taurischen Bergwerke durch ein Gesetz für National-
eigenthum erklärt, und von einer Entschädigung der Concessionäre war nicht


höchst unerfreuliches Bild, und wenn unter König Otto insurrectionelle Putsche
auf Putsche folgten, so folgten unter seinem Nachfolger Ministerkrisen auf Mini¬
sterkrisen, denen fast lediglich der demokratische Neid, der Ehrgeiz der Partei¬
häupter und die Veränderlichkeit der Volksgunst, sehr selten der Sieg vou Grund¬
sätzen oder das Auftreten neuer, unabweislicher Bedürfnisse des Staatslebens
zu Grunde lag. Fast immer wurde die Thätigkeit der Regierung durch die
Unzuverlässigkeit der Fractionen in der Kammer gelähmt. Hatte die Opposition
ein Ministerium gestürzt und trat eins aus ihrer Mitte ans Ruder, so ließ sie
es binnen kurzem, bisweilen sofort im Stiche. 1874 hielt sich Bulgaris als
Ministerpräsident nur dadurch einige Zeit, d. h. vom Februar bis in den De¬
cember hinein, daß keiner von seinen Nebenbuhlern, weder Zaimis noch Deli-
georgis noch Kommunduros an seine Stelle zu treten Neigung hatte. Am 20.
December machte gar die Opposition die Kammer beschlußunfähig, indem sie
auftrat und zugleich eine Beschwerdeschrift an den König richtete. Nur mit
Mühe erreichte man im April 1875 durch Heranholung der gesammten Regie¬
rungspartei die Beschlußfähigkeit der Kammer und die Annahme des Vertrags
mit dem deutschen Reiche wegen der Ausgrabungen auf der Stätte von Olympia,
gegen den die Opposition sich stemmte, obwohl er bekanntlich für das Land sehr
günstige Bestimmungen enthielt. Als der König hiernach auf den Rath der
Schutzmächte Bulgaris entließ und ein neues Cabinet unter Trikupis bildete,
unterlag dasselbe drei Monate nachher schon bei den Neuwahlen vollständig,
indem nur wenige von seinen Anhängern ein Mandat erhielten, und schon im
October dankte es ab, und Kommunduros wurde Premier, während sein Neben¬
buhler Zaimis Kammerpräsident wurde.

In ähnlichem Stile ist es bis vor kurzem fortgegangen, und die Ent¬
wicklung des Landes ist bei diesen unaufhörlichen Reibungen, Wirren und
Schwankungen in vielen Beziehungen aufgehalten worden. Dem Räuberwesen
wurde nicht genügend gesteuert, so daß im August 1870 keine drei Meilen nördlich
von der Landeshauptstadt eine Klephthenbande mehrere vornehme Engländer
grausam ermorden konnte. Der Eigennutz des Volkes und sein Mangel an
Rechtsgefühl führte im Jahre darauf zu einem Scandal, der als bisher un¬
erhört in ganz Europa Aufsehen und große Entrüstung hervorrief. Die Re¬
gierung hatte einer französisch-italienischen Gesellschaft die Concession zur Aus¬
beutung der im Alterthume mit großem Erfolg betriebenen, dann verlassenen
Erzgruben von Laurion im südöstlichen Attika ertheilt, aber als diese dann aus
den alten Schlackenhalden und neuen Stollen bedeutende Mengen von Silber¬
und Bleierzen gewann, regte sich der Neid und die Habgier im Lande, und
im Mai 1873 wurden die taurischen Bergwerke durch ein Gesetz für National-
eigenthum erklärt, und von einer Entschädigung der Concessionäre war nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/571>, abgerufen am 03.07.2024.