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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Jerusalem reiste.*) Aber oft war es auch nichts als frommer Sinn, der
deutsche Männer trieb, nach den heiligen Orten zu pilgern und die Erinnerung
daran auch bei späteren Geschlechtern durch Werke der Kunst zu verewigen. Wer
kennt nicht die Heiligekrenz-Kapelle vor den Thoren von Görlitz und ihren Er¬
bauer, deu wackeren Bürgermeister Georg Emmerich, der in den Jahren 1465
und 1475 mit einigen Künstlern nach Jerusalem reiste, um seine Stadt mit
jener getreuen Nachbildung der Kapelle des heiligen Grabes zu beschenken, die
wir noch heute als ein Denkmal der frommen Opferfreudigkeit früherer Zeiten
bewundern?

Aber nicht nur in Stein und Erz haben jene gläubigen Pilger in ihrer
Heimat das Andenken an ihre Wallfahrt der Nachwelt zu überliefern gesucht;
sie haben auch ihre Erlebnisse aufgezeichnet und so durch die Schrift die Erinne¬
rung daran wach zu erhalten gesucht. Eine ganze Reihe solcher Reisebeschreibungen
deutscher Männer ist erhalten, in denen sie in treuherziger Weise die Erfah-
rungen, die sie in dem fernen und fremden Lande und unter Völkern anderer
Zunge und Sitte gesammelt, geschildert haben. Manches Märlein, das sie er¬
zählen, gewoben aus naiver Frömmigkeit und leichtgläubigen -- oder manchmal
vielleicht auch abergläubischen -- Staunen über die neue, ihnen unverständliche
Welt, die ihnen entgegentrat, entlockt uns heute ein Lächeln. So, wenn der
jüdische Kaufmann Rabbi Benjamin von Tudela aus Ncwcirra, welcher in den
Jahren 1160--1173 seine Reise unternahm, berichtet, wie zwei Männer auf
Wunsch des Patriarchen in einem zufällig entdeckten unterirdischen Gange bis
zu den Gräbern Davids und seiner Nachkommen vorgedrungen, dort aber plötz¬
lich von einem heftigen Windstöße zu Boden geworfen worden seien, wobei sie
ein Brausen vernahmen und in diesem Brausen eine Stimme, die ihnen gebot,
diesen heiligen Ort für immer zu verlassen. Solche und ähnliche Geschichten,
bei denen es uns heute nicht schwer wird, die natürliche Erklärung zu finden,
berichten auch unsere Vorfahren, und die naive Sprache, der treuherzige Ton,
in dem sie ihre abenteuerlichen Fabeln zu Nutz und Frommen ihrer staunenden
Landsleute berichteten, erhöht noch den Reiz ihrer anspruchslosen "Reißbeschrei¬
bungen". Unter den Verfassern dieser Pilgerbücher überwiegt der geistliche
Stand, von dem aus England stammenden Bischof von Eichstädt Willibald im
8. Jahrhundert an bis herab zu den: Paderborner Kirchherrn zu Sudheim
Ludolf (de Sudhem) im 14. und dem Ulmer Predigermönche Felix Fabri aus
Zürich sowie dem Mainzer Domdechanten Bernhard von Breydenbach gegen



") Manche dieser Säulen mögen allerdings anderen Ursprung haben. Einzelne scheinen
die Stationen von Knlvarienbcrgen bezeichnet zu haben, wie sich ja noch heute solche Ab¬
bildungen der Todesstütte Christi mit ihren Kreuzen, Statuen und Bildern in katholische"
Ländern finden! andere, und zwar besonders solche, welche an Kreuzwegen stehen, mögen
nichts als einfache Marksteine für das Weichbild eines Ortes sein.

Jerusalem reiste.*) Aber oft war es auch nichts als frommer Sinn, der
deutsche Männer trieb, nach den heiligen Orten zu pilgern und die Erinnerung
daran auch bei späteren Geschlechtern durch Werke der Kunst zu verewigen. Wer
kennt nicht die Heiligekrenz-Kapelle vor den Thoren von Görlitz und ihren Er¬
bauer, deu wackeren Bürgermeister Georg Emmerich, der in den Jahren 1465
und 1475 mit einigen Künstlern nach Jerusalem reiste, um seine Stadt mit
jener getreuen Nachbildung der Kapelle des heiligen Grabes zu beschenken, die
wir noch heute als ein Denkmal der frommen Opferfreudigkeit früherer Zeiten
bewundern?

Aber nicht nur in Stein und Erz haben jene gläubigen Pilger in ihrer
Heimat das Andenken an ihre Wallfahrt der Nachwelt zu überliefern gesucht;
sie haben auch ihre Erlebnisse aufgezeichnet und so durch die Schrift die Erinne¬
rung daran wach zu erhalten gesucht. Eine ganze Reihe solcher Reisebeschreibungen
deutscher Männer ist erhalten, in denen sie in treuherziger Weise die Erfah-
rungen, die sie in dem fernen und fremden Lande und unter Völkern anderer
Zunge und Sitte gesammelt, geschildert haben. Manches Märlein, das sie er¬
zählen, gewoben aus naiver Frömmigkeit und leichtgläubigen — oder manchmal
vielleicht auch abergläubischen — Staunen über die neue, ihnen unverständliche
Welt, die ihnen entgegentrat, entlockt uns heute ein Lächeln. So, wenn der
jüdische Kaufmann Rabbi Benjamin von Tudela aus Ncwcirra, welcher in den
Jahren 1160—1173 seine Reise unternahm, berichtet, wie zwei Männer auf
Wunsch des Patriarchen in einem zufällig entdeckten unterirdischen Gange bis
zu den Gräbern Davids und seiner Nachkommen vorgedrungen, dort aber plötz¬
lich von einem heftigen Windstöße zu Boden geworfen worden seien, wobei sie
ein Brausen vernahmen und in diesem Brausen eine Stimme, die ihnen gebot,
diesen heiligen Ort für immer zu verlassen. Solche und ähnliche Geschichten,
bei denen es uns heute nicht schwer wird, die natürliche Erklärung zu finden,
berichten auch unsere Vorfahren, und die naive Sprache, der treuherzige Ton,
in dem sie ihre abenteuerlichen Fabeln zu Nutz und Frommen ihrer staunenden
Landsleute berichteten, erhöht noch den Reiz ihrer anspruchslosen „Reißbeschrei¬
bungen". Unter den Verfassern dieser Pilgerbücher überwiegt der geistliche
Stand, von dem aus England stammenden Bischof von Eichstädt Willibald im
8. Jahrhundert an bis herab zu den: Paderborner Kirchherrn zu Sudheim
Ludolf (de Sudhem) im 14. und dem Ulmer Predigermönche Felix Fabri aus
Zürich sowie dem Mainzer Domdechanten Bernhard von Breydenbach gegen



») Manche dieser Säulen mögen allerdings anderen Ursprung haben. Einzelne scheinen
die Stationen von Knlvarienbcrgen bezeichnet zu haben, wie sich ja noch heute solche Ab¬
bildungen der Todesstütte Christi mit ihren Kreuzen, Statuen und Bildern in katholische»
Ländern finden! andere, und zwar besonders solche, welche an Kreuzwegen stehen, mögen
nichts als einfache Marksteine für das Weichbild eines Ortes sein.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/551>, abgerufen am 22.07.2024.