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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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geiht, selbst nur ein kleiner Kreis in diesem großen Kreise, neben sich die kind¬
liche Seelenstufe der Pflanzen. Im göttlichen Kreise ist endlich alles Bewußt¬
sein ein- und abgeschlossen, und indeß kein nachbarlicher Kreis um den Inhalt
des andern weiß, hat der göttliche Kreis alle zum Inhalt mit Vermittelungen
zwischen allen und Vermittelungen über allen" (S. 30).

Unzählige Fragen werden sich dem aufdrängen, der uuserer Darstellung
bis hierher gefolgt ist. Die "Tagesansicht" weicht keiner Frage aus, sie giebt
auf alle eine Antwort, die sich meist gar schön ins Ganze fügt, und nirgends
fehlt das scharfsinnigste Bemühen um die Steigerung der Wahrscheinlichkeit.
Wir wollen jedoch hier nicht gleichmäßig nach allen Seiten hin folgen; wir
möchten vor allem zu eigenem Lesen anlocken. Indeß dürfte zur Abrundung
des gegebenen Gesammtbildes doch noch einiges Weitere erfordert sein, und die
Gerechtigkeit nöthigt uns wohl auch, unsere Leser an die Stellen des Gebäudes
hinanzuführen, welche am meisten die Kritik herausfordern.

Gott ist für Fechner nicht ein unbewußter, dunkler Urgrund, sondern ein
höchstes, weitestes, das All umfassendes Bewußtsein eines ewiges Urgeistes. Die
Welt ist nicht außerhalb dieses Gottes, auch nicht irgend einmal erst entstanden,
sondern ist in Gott, jenem bewußten Urgeiste, von Ewigkeit eingeschlossen, ja sie
bildet den einzigen, ewigen Gegenstand seines Bewußtseins. Unveränderlich in
seinem eigenen Grundwesen, vor allem in der geistigen Bewußtseinsform seines
Daseins, in den Gesetzen, welche die in ihn eingeschlossene Welt beherrschen, und
in dem Willen der Güte, der das Wohl dieser Welt zum Ziele hat, theilt Gott
doch auch' die Veränderlichkeit dieser Welt, den Wechsel ihrer Erscheinungen,
den Fortschritt ihrer Entwicklungen, ja er empfindet ihr Leid und ihre Freude,
indem alles dieses zu seinem eigenen Leben gehört. Obwohl ein Geist, abso¬
luter, reinster Geist, ist Gott doch zugleich auch der Inbegriff alles materiellen
Daseins, über das er nicht uur übergreift, sondern das er zugleich auch in sich
einschließt. Nur um der sprachlichen bequemeren Fassung willen kann man es
vorziehen, jene umfassende göttliche Geiflesseite des Universums für sich allein
"Gott" zu nennen und der materiellen Welt entgegenzusetzen; in Wahrheit be¬
steht dieser Gegensatz nicht, es besteht für Gott kein Außen, Alles ist ihm ein
Innen (S. 84 fg.). Aber giebt es denn überhaupt Materie? Schwindet nicht alles
Dasein zusammen zu rein geistigen Bewußtseinsobjeeten, theils Gottes direct
und unmittelbar, theils der creaturlicher, in ihm enthaltenen Bewnßtseinsträger?
So meint es Fechner in der That; er erkennt den "objectiven Idealismus" als
den letzten, consequentesten Ausdruck seiner "Tagesansicht". Der Gegensatz zwi¬
schen materiellem und geistigem Dasein, der substantiell zu Gunsten des letzteren
aufgehoben wird, muß ihm in Folge dessen zum Gegensatze gleichsam nur zweier
verschiedener Seiten werden, von welchen ein und dasselbe geistige Wesen sich


geiht, selbst nur ein kleiner Kreis in diesem großen Kreise, neben sich die kind¬
liche Seelenstufe der Pflanzen. Im göttlichen Kreise ist endlich alles Bewußt¬
sein ein- und abgeschlossen, und indeß kein nachbarlicher Kreis um den Inhalt
des andern weiß, hat der göttliche Kreis alle zum Inhalt mit Vermittelungen
zwischen allen und Vermittelungen über allen" (S. 30).

Unzählige Fragen werden sich dem aufdrängen, der uuserer Darstellung
bis hierher gefolgt ist. Die „Tagesansicht" weicht keiner Frage aus, sie giebt
auf alle eine Antwort, die sich meist gar schön ins Ganze fügt, und nirgends
fehlt das scharfsinnigste Bemühen um die Steigerung der Wahrscheinlichkeit.
Wir wollen jedoch hier nicht gleichmäßig nach allen Seiten hin folgen; wir
möchten vor allem zu eigenem Lesen anlocken. Indeß dürfte zur Abrundung
des gegebenen Gesammtbildes doch noch einiges Weitere erfordert sein, und die
Gerechtigkeit nöthigt uns wohl auch, unsere Leser an die Stellen des Gebäudes
hinanzuführen, welche am meisten die Kritik herausfordern.

Gott ist für Fechner nicht ein unbewußter, dunkler Urgrund, sondern ein
höchstes, weitestes, das All umfassendes Bewußtsein eines ewiges Urgeistes. Die
Welt ist nicht außerhalb dieses Gottes, auch nicht irgend einmal erst entstanden,
sondern ist in Gott, jenem bewußten Urgeiste, von Ewigkeit eingeschlossen, ja sie
bildet den einzigen, ewigen Gegenstand seines Bewußtseins. Unveränderlich in
seinem eigenen Grundwesen, vor allem in der geistigen Bewußtseinsform seines
Daseins, in den Gesetzen, welche die in ihn eingeschlossene Welt beherrschen, und
in dem Willen der Güte, der das Wohl dieser Welt zum Ziele hat, theilt Gott
doch auch' die Veränderlichkeit dieser Welt, den Wechsel ihrer Erscheinungen,
den Fortschritt ihrer Entwicklungen, ja er empfindet ihr Leid und ihre Freude,
indem alles dieses zu seinem eigenen Leben gehört. Obwohl ein Geist, abso¬
luter, reinster Geist, ist Gott doch zugleich auch der Inbegriff alles materiellen
Daseins, über das er nicht uur übergreift, sondern das er zugleich auch in sich
einschließt. Nur um der sprachlichen bequemeren Fassung willen kann man es
vorziehen, jene umfassende göttliche Geiflesseite des Universums für sich allein
„Gott" zu nennen und der materiellen Welt entgegenzusetzen; in Wahrheit be¬
steht dieser Gegensatz nicht, es besteht für Gott kein Außen, Alles ist ihm ein
Innen (S. 84 fg.). Aber giebt es denn überhaupt Materie? Schwindet nicht alles
Dasein zusammen zu rein geistigen Bewußtseinsobjeeten, theils Gottes direct
und unmittelbar, theils der creaturlicher, in ihm enthaltenen Bewnßtseinsträger?
So meint es Fechner in der That; er erkennt den „objectiven Idealismus" als
den letzten, consequentesten Ausdruck seiner „Tagesansicht". Der Gegensatz zwi¬
schen materiellem und geistigem Dasein, der substantiell zu Gunsten des letzteren
aufgehoben wird, muß ihm in Folge dessen zum Gegensatze gleichsam nur zweier
verschiedener Seiten werden, von welchen ein und dasselbe geistige Wesen sich


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[0543] geiht, selbst nur ein kleiner Kreis in diesem großen Kreise, neben sich die kind¬ liche Seelenstufe der Pflanzen. Im göttlichen Kreise ist endlich alles Bewußt¬ sein ein- und abgeschlossen, und indeß kein nachbarlicher Kreis um den Inhalt des andern weiß, hat der göttliche Kreis alle zum Inhalt mit Vermittelungen zwischen allen und Vermittelungen über allen" (S. 30). Unzählige Fragen werden sich dem aufdrängen, der uuserer Darstellung bis hierher gefolgt ist. Die „Tagesansicht" weicht keiner Frage aus, sie giebt auf alle eine Antwort, die sich meist gar schön ins Ganze fügt, und nirgends fehlt das scharfsinnigste Bemühen um die Steigerung der Wahrscheinlichkeit. Wir wollen jedoch hier nicht gleichmäßig nach allen Seiten hin folgen; wir möchten vor allem zu eigenem Lesen anlocken. Indeß dürfte zur Abrundung des gegebenen Gesammtbildes doch noch einiges Weitere erfordert sein, und die Gerechtigkeit nöthigt uns wohl auch, unsere Leser an die Stellen des Gebäudes hinanzuführen, welche am meisten die Kritik herausfordern. Gott ist für Fechner nicht ein unbewußter, dunkler Urgrund, sondern ein höchstes, weitestes, das All umfassendes Bewußtsein eines ewiges Urgeistes. Die Welt ist nicht außerhalb dieses Gottes, auch nicht irgend einmal erst entstanden, sondern ist in Gott, jenem bewußten Urgeiste, von Ewigkeit eingeschlossen, ja sie bildet den einzigen, ewigen Gegenstand seines Bewußtseins. Unveränderlich in seinem eigenen Grundwesen, vor allem in der geistigen Bewußtseinsform seines Daseins, in den Gesetzen, welche die in ihn eingeschlossene Welt beherrschen, und in dem Willen der Güte, der das Wohl dieser Welt zum Ziele hat, theilt Gott doch auch' die Veränderlichkeit dieser Welt, den Wechsel ihrer Erscheinungen, den Fortschritt ihrer Entwicklungen, ja er empfindet ihr Leid und ihre Freude, indem alles dieses zu seinem eigenen Leben gehört. Obwohl ein Geist, abso¬ luter, reinster Geist, ist Gott doch zugleich auch der Inbegriff alles materiellen Daseins, über das er nicht uur übergreift, sondern das er zugleich auch in sich einschließt. Nur um der sprachlichen bequemeren Fassung willen kann man es vorziehen, jene umfassende göttliche Geiflesseite des Universums für sich allein „Gott" zu nennen und der materiellen Welt entgegenzusetzen; in Wahrheit be¬ steht dieser Gegensatz nicht, es besteht für Gott kein Außen, Alles ist ihm ein Innen (S. 84 fg.). Aber giebt es denn überhaupt Materie? Schwindet nicht alles Dasein zusammen zu rein geistigen Bewußtseinsobjeeten, theils Gottes direct und unmittelbar, theils der creaturlicher, in ihm enthaltenen Bewnßtseinsträger? So meint es Fechner in der That; er erkennt den „objectiven Idealismus" als den letzten, consequentesten Ausdruck seiner „Tagesansicht". Der Gegensatz zwi¬ schen materiellem und geistigem Dasein, der substantiell zu Gunsten des letzteren aufgehoben wird, muß ihm in Folge dessen zum Gegensatze gleichsam nur zweier verschiedener Seiten werden, von welchen ein und dasselbe geistige Wesen sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/543>, abgerufen am 22.07.2024.